Die Pride in Bukarest demonstrierte dieses Jahr gegen ein Gesetzesvorhaben der Regierung, das die Aufklärung zu Genderthemen im Rahmen des Bildungssystems massiv erschweren würde.

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George Ionesi spricht schnell, wenn er vom LGBTQ-Aktivismus in Bukarest erzählt. Nur hin und wieder lenkt ihn seine Katze ab, die während des Interviews aufmerksamkeitsheischend an der Webcam vorbeistreift. Mit einer sechsköpfigen Gruppe betreibt der 23-jährige Psychologiestudent den Verein "Campus Pride". In einem Gemeindezentrum schaffen sie einen geschützten Raum für queere Studierende.

Denn Rumänien gilt nicht gerade als Vorreiter in Gleichberechtigungsfragen, Homosexualität wurde etwa erst im Jahr 2000 legalisiert. Obwohl die Unterstützung queerer Anliegen laut Eurobarometer von Jahr zu Jahr steigt, ist immer noch ein Großteil der rumänischen Bevölkerung gegen die Anerkennung diverser Gender-Identitäten. An den Unis gibt über ein Drittel der queeren Studierenden an, bereits von Lehrenden homo- oder transphob behandelt worden zu sein.

George Ionesi betreibt in Bukarest den Verein "Campus Pride" für queere Studierende
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Im Uni-Umfeld von Bukarest fühlt sich Ionesi, der ursprünglich aus einem kleinen Dorf stammt, trotzdem wohl: "Hier gehe ich offen mit meiner sexuellen Orientierung um, ich lackiere mir sogar die Fingernägel." Zu Hause könnte er das nicht, seine Familie weiß nichts von seiner Homosexualität.

Tückisches "Kinderschutzgesetz"

Die Pride in Bukarest setzte dieses Jahr ein Zeichen gegen das seit Monaten diskutierte "Kinderschutzgesetz", auch "Anti-Homosexualität-Gesetz" genannt. Das Gesetz soll an Kinder gerichtete Aufklärung zu Geschlechts- und Genderfragen verbieten. Es ist ein neuer Vorstoß der mitregierenden Partei der ungarischen Minderheit (UDMR). 2020 hatte das rumänische Verfassungsgericht ein ähnliches Gesetz gekippt, das Lehrveranstaltungen zu Diversität in allen Bildungseinrichtungen – von Kindergarten bis Hochschule – illegalisiert hätte. Sollte das Gesetz nun zur Abstimmung kommen, ist seine Umsetzung sehr wahrscheinlich. Die Zustimmung zu antifeministischen Tendenzen ist in Rumänien parteiübergreifend – bis hin zu den großen liberalen und sozialdemokratischen Parlamentsfraktionen.

"Das Gefährliche an dem geplanten Gesetz ist seine vage Formulierung", sagt Ionela Baluta. Sie ist Professorin an der Fakultät für Politikwissenschaften der Uni Bukarest mit Schwerpunkt Gender-Studies. Der Gesetzestext ermögliche, jegliches Informationsmaterial zu verbieten, das für Kinder erreichbar sei – das könnte genauso für universitäre Arbeiten gelten.

Ionela Baluta ist Professorin an der der Uni Bukarest mit Schwerpunkt Gender-Studies
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Wissenschaftliche Zensur befürchtet auch Vlad Viski, der seine Doktorarbeit an der Uni Bukarest zu Genderpolitik schreibt: "Zu einem Thema zu arbeiten, das morgen schon illegal sein könnte, ist belastend." Dabei haben die Gender-Studies ohnehin einen schweren Stand in Rumänien. Ein eigenes Institut gibt es nicht, die Wissenschaftlichkeit der Disziplin wird angegriffen, und vermehrt trifft es deren Vertreterinnen wie Baluta auch persönlich. Ein Kollege ihrer Fakultät diffamiert etwa die Gender-Studies als akademische Abkürzung für jene, die den intellektuellen Anforderungen eines Universitätsstudiums nicht entsprächen.

Mächtige Kirche

Die Anfeindungen zeigen Wirkung. Baluta unterrichtet seit 20 Jahren Genderpolitik, in diesem Semester ist ihr Kurs erstmals nicht zustande gekommen. Zusätzlich setzen sich immer weniger Lehrende für feministische Wissenschaft ein – aus Angst vor Kritik. "Was gerade passiert, ist eine Art Selbstzensur", sagt Baluta und ortet eine "Anti-Gender-Koalition".

Konservative Akteure geben dabei vor, nationale Traditionen gegen den Einfluss des Westens zu verteidigen – allen voran gegen die queere Community. Eine der einflussreichsten antifeministischen Institutionen im rechten Spektrum ist die rumänisch-orthodoxe Kirche. Kurioserweise bauen momentan auch US-amerikanische evangelikale Kirchen ihren Einfluss in der Region aus und argumentieren das mit dem Erhalt traditioneller Werte.

Ähnliche Lage in Serbien

Wie grenzübergreifend diese Tendenzen sind, zeigt sich im Nachbarland Serbien. Im September sollte hier die erste Europride auf dem Balkan stattfinden. Nachdem die serbisch-orthodoxe Kirche und Ultrarechte gegen die Parade mobilmachten und begannen, ein Gesetz gegen "homosexuelle Propaganda" zu fordern, untersagte die rechtsnationale Regierung die Veranstaltung.

Auch an den Unis spiegelt sich diese Entwicklung wider, wie Dexi Stošić erzählt. Sie bezeichnet sich selbst als "Aktivistin, die außerdem queer ist". An der Fakultät für Politik- und Rechtswissenschaften fühlen sich queere Studierende nicht mehr wohl, meint Stošić: "Dort werden rechtsnationalistische Inhalte verbreitet." Ihren Glauben an eine inklusivere Gesellschaft trüben die Vorkommnisse aber nicht – wie in Rumänien und auf dem restlichen Balkan steige schließlich die Akzeptanz der Allgemeinbevölkerung. (Sarah Yolanda Koss, 22.11.2022)