Der Dr.-Dollfuß-Platz in Mank behält zumindest ein weiteres Jahr seinen Namen, hat der Gemeinderat beschlossen.

Foto: Michael Möseneder

Mank – Karin Gasser ist empört. "Ich will keinen neuen Namen", stellt die Unternehmerin klar, was sie von der Diskussion über ihre Firmenanschrift hält. Denn ihr Blumenladen trägt die Adresse Dr.-Dollfuß-Platz 2 und liegt in der niederösterreichischen Gemeinde Mank im Bezirk Melk – am letzten Platz Österreichs, der nach Engelbert Dollfuß, dem austrofaschistischen Diktator, der 1934 von nationalsozialistischen Putschisten im Bundeskanzleramt erschossen wurde, benannt ist.

Seit Jahrzehnten gibt es in der 3200-Einwohner-Stadt Debatten darüber, ob die Fläche an der T-Kreuzung von Herren- und Alleestraße einen neuen Namen bekommen soll. Zuletzt eskalierte die Situation: Der ehemalige SPÖ-Stadtrat Anton Hikade montierte die beiden Straßenschilder ab und sandte sie an Museen, das Haus der Geschichte Niederösterreich und das Haus der Geschichte Österreich. "Ich sah mich gezwungen, die Schilder abzuhängen. Die Gemeinde tut nichts gegen den Namen", sagt Hikade.

Umbenennung abgesagt

Die Museen gaben die Tafeln zurück, rieten aber zu einer Umbenennung. Beinahe wäre etwas daraus geworden – bis der Gemeinderat, in dem die ÖVP 18 von 23 Sitzen innehat, einen Rückzieher machte. Laut dem pensionierten SPÖ-Politiker hat seine Aktion aber den gewünschten Effekt erzielt, nämlich maximale Aufmerksamkeit. Er hält die Debatte über die Umbenennung ohnehin für überflüssig, es sei bereits alles aufgearbeitet, und "es handelt sich nicht einmal um einen richtigen Platz, sondern um eine Kreuzung. Die Hausnummern des Dollfuß-Platzes sollte man in die Herrenstraße eingliedern", erklärt Hikade.

Floristin Gasser ist wiederum über die Entscheidung des Gemeinderats froh, sagt sie. Primär aus ökonomischen Gründen: Sie habe gerade 3000 Anhänger für Blumensträuße produzieren lassen, alle mit der inkriminierten Anschrift. Auch auf 15 großen Rollen Blumenpapier prangt der Name Dollfuß, der je nach politischem Lager als "Arbeitermörder" verflucht oder als "Heldenkanzler" verherrlicht wird. Sie werde eine etwaige Umbenennung des Platzes ignorieren, kündigt Gasser an: "Ich zahle nix!" Sie sei auch persönlich gegen eine Umbenennung, verrät sie dann. Dollfuß sei lange her, "wir leben in 2022", versteht sie die Aufregung nicht.

Anrainer sorgen sich um Kosten

Auch im Bauernladen im "alten Wirtshaus", Adresse Dr.-Dollfuß-Platz 1, ist Renate Kadla gegen eine Umbenennung. "Doktor Dollfuß war so, wie er war. Man kann über jeden Gutes und Schlechtes sagen", meint sie. So wie Gasser schräg gegenüber fürchtet auch Kadla vor allem die Kosten durch eine neue Anschrift.

An der Fassade des Gebäudes, in dem auch die Bücherei untergebracht ist, ist noch immer die dunkle Stelle zu sehen, an der bis zu Hikades Aktion eines der umkämpften Straßenschilder hing. Davor hat jemand auf einer Metallsäule zwei Aufkleber angebracht – sie zeigen ein Bild von Dollfuß in Uniform, seinen Namen und ein Kruckenkreuz, das Symbol des austrofaschistischen "Ständestaats". Der Rest der Botschaft bleibt unbekannt. Der eine Sticker wurde mit einem "Fuck Nazis"-Aufkleber überdeckt, beim zweiten ist der Mittelteil abgekratzt worden.

Zwei Gebäude haben die Anschrift Dr.-Dollfuß-Platz. Die Anrainer sind strikt gegen eine Umbenennung, zeigt ein Lokalaugenschein.

Schon im März 1929 war Engelbert Dollfuß hier – in seiner Funktion als Direktor der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer. Er sprach bei einer Versammlung über die von ihm vorangetriebene Einführung der Sozialversicherung für Landwirte und Lohnarbeiter. Und stieß auf Widerstand: Der Unmut der Bauern über ihre schlechte wirtschaftliche Situation war so groß, dass Dollfuß und die anderen christlich-sozialen Redner Mank nur unter Polizeischutz unverletzt verlassen konnten. Sozialdemokratische Zeitungen berichteten von einer "Bauernrevolte", die konservative Presse wies das als "verlogene Berichte" und "Hetze" zurück.

93 Jahre später sitzt Gemeinderat Otmar Garschall von der ÖVP mit seiner Gattin im Gasthaus Schönbichler, wenige Gehminuten vom Dollfuß-Platz entfernt. Die beiden warten auf ihr verlockend aussehendes Wiener Schnitzel und sind bereit, über die Affäre zu sprechen.

Dollfuß als "tragische Figur"

Dollfuß sei "eine tragische Figur der Geschichte, der keinen Spielraum hatte", ist der Bildungsstadtrat überzeugt. Von Hikades Aktion hält er wenig: "‚Schild runter, Namen weg‘ ist ein österreichisches Schicksal", plädiert Garschall für einen anderen Weg. "Man muss sich damit beschäftigen und seine eigene Meinung bilden", ist er überzeugt. Daher sei er froh, dass bei der jüngsten Gemeinderatssitzung einstimmig ein "Prozess" dafür beschlossen wurde.

In diesem einjährigen Prozess will die Stadt gemeinsam mit dem Verein Merkwürdig den Namen reflektieren. Mit Workshops und öffentlichen Diskussionen soll über die Benennung des Platzes entschieden werden. "Die Menschen in der Region verbinden mit Dollfuß keinen schlechten Menschen, und der Austrofaschismus wurde in der Vergangenheit einfach zu wenig behandelt. Dollfuß wurde als Opfer der NS-Diktatur angesehen", erklärt Vereinsobmann Alexander Hauer. Hauptaufgabe sei es deshalb, die Geschichte von Dollfuß der Bevölkerung nahezubringen. Selbst wenn die Gemeinde den Platz sofort umbenannt hätte, hätte laut Hauer der Verein eine Aufarbeitung gestartet.

"Dieser Prozess ist mir wichtig", sagt der ÖVP-Politiker Garschall. Bei einer zweiten Abstimmung, nämlich über die Wiederanbringung der abmontierten Tafeln, war es mit der Einstimmigkeit im Gemeinderat vorbei. Die beiden SPÖ-Mandatare stimmten dagegen, eine Grünen-Abgeordnete enthielt sich.

Aber warum hält man als einziger Ort Österreichs an Dollfuß fest? "Es ist ein historischer Platz", meint der Stadtrat. Und erinnert sich an einen Disput mit einer jungen Frau zum Thema. "Die hatte ein Che-Guevara-T-Shirt an. Der hat nachweislich selbst Menschen umgebracht", ortet er Doppelmoral.

Beliebter Name

Die Schilder sollen während des Prozesses wieder zurück an ihren Platz kommen – mit einer Zusatztafel, die auf die Aufarbeitung hinweisen wird. Das ist laut Bürgermeister Martin Leonhardsberger (ÖVP) auch der Wunsch der Bevölkerung. Er verweist auf eine Umfrage, bei der über 100 Personen aus Mank Vorschläge für einen Platznamen eingereicht hatten. Die meisten Nennungen erhielt der Status quo: "Dollfuß-Platz" lag auf Rang eins.

"Es wäre somit gegen den Wunsch der Manker, die Schilder in der Zwischenzeit abzuhängen. Ein großer Teil der Bevölkerung hängt an dem Namen", erklärt der Ortschef. Von Hikades Aktion hält er nichts, er erhofft sich, die historischen Hintergründe gemeinsam mit dem Verein Merkwürdig und den Einwohnern zu erarbeiten. Sicher ist, dass Hikade nicht an der Aufarbeitung teilnehmen wird, denn, so sagt er: "Es ist zu Dollfuß alles bekannt." (Michael Möseneder, Max Stepan, 11.11.2022)