Nach dem Zusammenbruch von Terra/Luna erlebt die Kryptowelt den nächsten Super-GAU.

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Es ist der zweite Super-GAU, den die Kryptobranche nach dem Zusammenbruch von Terra/Luna im Mai heuer bereits erlebt: Zahlungsprobleme der drittgrößten Kryptobörse FTX sorgten zuletzt nicht nur für große Kursschwankungen, sondern auch dafür, dass Gründer Sam Bankman-Fried die Börse verkaufen muss. Und zwar nicht an irgendwen, sondern ausgerechnet an den Marktführer Binance.

Das ist insofern brisant, als dass Binance-CEO Changpeng Zhao selbst die Probleme von FTX beschleunigte, indem er am Sonntag ankündigte, die restlichen Bestände an FTT-Token, das ist die Währung der Kryptobörse FTX, in der Höhe von mehr als 530 Millionen Dollar abzustoßen. Was würde eine Übernahme durch Binance bedeuten? DER STANDARD hat beim österreichischen Krypto-Experten Florian Wimmer nachgefragt.

STANDARD: Was sagt das über den Kryptomarkt aus, wenn die größte Börse die drittgrößte kaufen will, um sie vor dem drohenden Bankrott zu retten, den sie selbst beschleunigt hat?

Florian Wimmer: Das sagt aus, dass der Markt intransparent und definitiv auch noch zu wenig reguliert ist. Da werden Spiele gespielt, die in einer regulierten Umgebung nicht mehr so leicht funktionieren würden. Und es sagt natürlich auch aus, dass der Markt nicht so dezentral funktioniert, wie er eigentlich sollte.

STANDARD: War der Beitrag von Coindesk als Auslöser ein gezielter Angriff auf FTX?

Wimmer: Die Berichterstattung war sicherlich nicht ganz neutral und objektiv. Dass alles so gut zusammenpasst, erscheint schon sehr merkwürdig. Es erscheint also durchaus möglich, dass im Hintergrund schon länger etwas geplant war und die Karten dann nach der Reihe ausgespielt worden sind. Das ist aber nur eine Vermutung, unterstellen würde ich das niemandem.

STANDARD: Kann die Methode von Binance einfach durchgehen, mit dem Verkauf seiner FTT-Bestände den Druck auf FTX zum Verkauf zu erhöhen?

Wimmer: Das ist nichts, was illegal wäre. Es ist keine Marktmanipulation, da solche Kryptotoken keinen Regularien unterliegen. Das ist auch einfach das Risiko, dem sich FTX ausgesetzt hat, indem sie Binance die Token zur Abfindung gezahlt haben. Daran wird eine Übernahme also bestimmt nicht scheitern.

STANDARD: Warum hielt Binance überhaupt so viele FTT-Token?

Wimmer: Binance war einer der ersten Investoren in FTX. Dann ist FTX gewachsen und zum Konkurrenten für Binance geworden. FTX konnte die Anteile von Binance zurückkaufen, aber eben nicht nur in US-Dollar, sondern zum Teil eben auch in FTT-Token. Diese Token hat Binance seit diesem Tag gehalten.

STANDARD: Wieso will CEO Sam Bankman-Fried FTX ausgerechnet an Binance verkaufen?

Wimmer: Es gäbe theoretisch schon andere Bieter, die genügend Mittel hätten. Ob jemand die Börse außerhalb der Kryptoszene kaufen will, ist aber anzuzweifeln. Innerhalb der Kryptoszene hätten tatsächlich nur Binance und vielleicht auch noch Coinbase die Mittel zum Kauf. Ich denke aber nicht, dass das der Grund ist. Es ist eher anzunehmen, dass gewisse Themen gar nicht an die Oberfläche kommen sollen, indem man an Binance verkauft. Ein Due-Diligence-Prozess, den Binance durchführt wird vermutlich auch nicht gleich sein wie einer von Goldman Sachs.

STANDARD: Man spricht jetzt schon von einer Übernahme: Aber steht der Deal wirklich schon fest?

Wimmer: Chanpeng Zhao, der CEO von Binance, hat schon mitgeteilt, dass die Übernahme vorbehaltlich einer Prüfung stattfinden wird. Ob das jetzt Teil seines Plans ist, das Geschäft doch noch platzen zu lassen, um einfach den größten Konkurrenten durch News und Spekulationen auszuschalten, oder ob er einfach nur prüfen lassen will, keine Leichen im Keller zu kaufen, wird sich erst zeigen. Grundsätzlich ist Zhao aber einer, der nach außen hin bedacht ist auf die Krypto-Community und die Investoren. Ich glaube nicht, dass er sein öffentliches Image aufs Spiel setzt, indem er Leuten Hoffnungen macht und diese dann erst recht schädigt.

STANDARD: Gibt es außer dem Due-Diligence-Prozess noch etwas, wovon die Übernahme abhängt?

Wimmer: Da Binance bei einer Übernahme ungefähr 80 Prozent des Marktes kontrollieren würde, ist die mögliche Monopolstellung der Börse schon ein Thema. Da Geschäfte in Europa, in den USA und in Asien geführt werden, kann es schon sein, dass sich entsprechende Regulierer noch einschalten werden.

STANDARD: Was würde eine Übernahme für FTX-Kundinnen und -Kunden bedeuten?

Wimmer: Sollte der Deal durchgehen, werden die Börsen weiterlaufen wie bisher. Die Withdrawls bei FTX werden wieder eröffnet, das heißt Kundinnen und Kunden können ihre Funds wieder abheben. Die Funds, die jetzt bei FTX offenbar nicht vorhanden sind, wo man auch noch nicht weiß warum, würden dann von Binance gestellt. Sehr wahrscheinlich würde die Börse danach nicht mehr weiterbetrieben werden, es ist ja alles an Liquidität von FTX an Binance geflossen. Woran Zhao von Binance auch interessiert sein könnte, sind die Lizenzen, die FTX in den verschiedensten Ländern schon hat, vor allem für den Tausch nationaler Währungen zu Krypto und umgekehrt.

STANDARD: Welche Auswirkungen könnte eine Übernahme auf die Kryptobranche haben?

Wimmer: Die Übernahme von FTX wäre sicherlich positiver zu bewerten als eine Insolvenz. Letzteres würde eine weitere Talfahrt für den Kryptomarkt bedeuten, besonders für die ganzen Token, die eng mit FTX in Verbindung gebracht werden, wie zum Beispiel Solana. Aber auch Bitcoin könnte in diesem Fall unter 10.000 US-Dollar sinken, wenn die zweitgrößte Kryptobörse wie ein heißer Stein fallengelassen wird. Sicherlich wird dieses Ereignis in jedem Fall auch wieder den Aufschrei nach Regulatorik verstärken, die der Markt zwingend benötigt, vor allem, wenn es um die zentralisierten Akteure geht wie die Börsen.

STANDARD: Was hätte die für 2024 vorgesehene MiCA-Regulierung an so einem Event verändert?

Wimmer: Da MiCA ja nur die EU betrifft, werden solche Events auf globaler Ebene immer noch möglich sein. Operiert eine Börse wie FTX künftig in EU-Staaten, sieht die MiCA-Regulierung strengere Auflagen vor, unter anderem den Nachweis der finanziellen Mittel. Man könnte als Börse also nicht mehr geheim in einer Blackbox mit Funds der Nutzerinnen und Nutzer spekulieren. (Benjamin Brandtner, 9.11.2022)