Viele Stolpersteine in Berlin wurden gereinigt, sie sollen nun wieder heller leuchten.

Foto: Birgit Baumann

Berlin – Es ist still am diesem 9. November in Berlin-Marienfelde in der Emilienstraße, wo sich ein Garten mit Einfamilienhaus an den nächsten reiht. Ein Mann kniet am Boden, träufelt Putzmittel auf einen Lappen und beginnt zu wischen. Die 15 Frauen und Männer um ihn herum schauen schweigend zu.

"Jetzt leuchtet er wieder richtig", sagt eine Frau zufrieden und blickt auf den "Stolperstein". Der Name Ernst Löwe steht darauf, geboren am 19. März 1870 in Berlin. Der jüdische Kaufmann, der früher ein Spielwarenhaus besessen hatte, wurde 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und verstarb später im Vernichtungslager Treblinka.

Insgesamt mehr als 90.000 Stolpersteine in Europa

Nicht nur der Stolperstein für Ernst Löwe wird an diesem 9. November in Berlin gereinigt. In der ganzen Stadt sind "Putztrupps" unterwegs, um an den 84. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zu erinnern. Damals verwüsteten die Nationalsozialisten in Österreich und Deutschland Synagogen, jüdische Geschäfte und Einrichtungen. Für viele in der NS-Zeit ermordete Jüdinnen und Juden wurden seit 1992 in ganz Europa vom Künstler Gunter Deming geschaffene Stolpersteine verlegt, insgesamt gibt es in ganz Europa mehr als 90.000. Sie erinnern auch an Sinti und Roma, an Homosexuelle und politisch Verfolgte im Nationalsozialismus.

Neben dem Stein von Ernst Löwe in Berlin-Marienfelde wird noch eine Kerze angezündet und eine weiße Rose niedergelegt. "Es ist wichtig, dass wir die Erinnerung wachhalten und niemals vergessen, was damals passiert ist", sagt Margarete Wegner von der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Mariendorf, die das Gedenken in ihrem Kiez, wie man in Berlin zum Grätzl sagt, seit einigen Jahren initiiert.

Bevor sich die Gruppe zum nächsten Stolperstein, ein paar Straßen weiter, aufmacht, liest Wegner noch einen Text des Schriftstellers und Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel vor: "Gleichgültigkeit ist nicht der Anfang eines Prozesses, es ist das Ende eines Prozesses. Wenn Sie die Wahl haben, zwischen Verzweiflung und Gleichgültigkeit zu wählen, dann wählen Sie die Verzweiflung, nicht die Gleichgültigkeit! Denn aus Verzweiflung kann eine Botschaft hervorgehen, aber aus der Gleichgültigkeit kann per Definitionen nichts hervorgehen."

Man geht weiter, es gibt noch mehr Stolpersteine in diesem gutbürgerlichen Viertel, wo bis zu ihrer Deportation auch viele jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger lebten. Einer von ihnen war Oscar Wallach, Jahrgang 1894. Dem Internisten wurde 1938 die Approbation entzogen. Seine Spur verlor sich im Konzentrationslager Flossenbürg.

Steinmeier: "Immer wird uns der 9. November zum Kampf gegen den Antisemitismus auffordern"

"Es bleibt unbegreiflich", sagt Jutta Wagner, die etwas zum Leben der aus Mariendorf deportierten und später ermordeten Männer und Frauen erzählt. Ihre Motivation für das Steineputzen erklärt sie so: "Man möchte so eine Zeit nicht noch einmal erleben. Daher dürfen wir niemals vergessen."

Gleich drei weiße Rosen und drei Kerzen kommen auf den Gehsteig in der Kirchstraße. Dort sind die Stolpersteine des Ehepaares Adolf und Emma Schiller und der Schwester Clara Schiller. Auch die Steine werden gereinigt. Tipps, warum man putzen sollte und wie man es richtig macht, veröffentlicht die Initiative "Stolpersteine in Berlin" extra auf ihrer Website: "Das Messing der Stolpersteine läuft ohne regelmäßige Reinigung dunkel an und wird verschmutzt. Gelegentliches Polieren mit einem gängigen Metallputzmittel schafft hier schnell Abhilfe."

Niemals zu vergessen, was 1938 geschah, dazu ruft auch der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf. Er betonte bei einer Veranstaltung in Berlin: "Immer wird uns der 9. November zum Kampf gegen den Antisemitismus auffordern."

Erinnert wurde in Berlin aber auch an einen anderen 9. November, jenen des Jahres 1989. An diesem Tag fiel die Berliner Mauer, nicht einmal ein Jahr später wurde Deutschland wiedervereinigt. (Birgit Baumann aus Berlin, 9.11.2022)