Proteste in Montenegros Hauptstadt Podgorica.

Foto: REUTERS/Stevo Vasiljevic

Diese Woche demonstrierten tausende Anhänger des montenegrinischen Präsidenten Milo Đukanović vor dem Parlament in Podgorica. Sie forderten Neuwahlen und die Rücknahme eines Gesetzes, das die Kompetenzen des Staatschefs einschränken soll. Dieses Gesetz wurde am 1. November mit einer hauchdünnen Parlamentsmehrheit von 41 von 81 Stimmen beschlossen und auch von unabhängigen Nichtregierungsorganisationen scharf kritisiert, weil es eigentlich einer Zweidrittelmehrheit im Parlament bedarf, um in die Verfassung des Staates einzugreifen, zu welcher die Kompetenzen des Präsidenten gehören.

Tatsächlich ist das umstrittene Präsidentengesetz, das auf Vorschlag der prorussischen und proserbischen Partei Demokratska Fronta beschlossen wurde, vor allem ein Ausdruck des langjährigen Machtkampfs zwischen der Partei von Đukanović und anderen eher konservativen Kräften in Montenegro. Nach dem neuen Gesetz wäre der Präsident dazu verpflichtet, einen designierten Premierminister vorzuschlagen, wenn dieser die Unterstützung von 41 Abgeordneten im Parlament hat. Đukanović verweigerte dem Gesetz die Unterschrift und bezeichnete es als verfassungswidrig.

Neuwahlen oder Weiterregieren

Die proserbischen Kräfte kamen erstmals Ende 2020 an die Regierung, diese stürzte allerdings im Februar 2021. Zuletzt war der Grüne Dritan Abazović Premier einer Minderheitsregierung und dann einer technischen Übergangsregierung, nachdem die Minderheitsregierung im August die Unterstützung verloren hatte. Abazović gilt als politisches Leichtgewicht, das vor allem vom albanischen Premier Edi Rama beeinflusst wird.

Die Demokratska Fronta, die Partei Ura von Abazović und die Partei Demos wollten zuletzt den Demos-Chef Miodrag Lekić zum neuen Premier machen. Doch Präsident Đukanović weigerte sich, Lekić das Mandat zu geben. Đukanovićs Partei DPS möchte offensichtlich stattdessen Teil einer neuen Koalition nach etwaigen Wahlen sein. Im Hintergrund spielen auch geopolitische Überlegungen eine Rolle. Đukanović hat Montenegro in die Nato geführt und wird seit Jahrzehnten von westlichen Kräften unterstützt, die die Regierungsbeteiligung der prorussischen und proserbischen Kräfte kritisch sehen.

Drei Richter im Ruhestand

Montenegro befindet sich aber nun nicht nur in einem politischen Machtkampf, sondern in einer veritablen Verfassungskrise, denn der Verfassungsgerichtshof, der entscheiden sollte, ob das Präsidentengesetz verfassungsgemäß ist oder nicht, ist nicht handlungsfähig, weil das nötige Quorum fehlt. Seit dem 20. September hat das Verfassungsgericht die Beschlussfähigkeit verloren, weil drei der sechs Richter in den Ruhestand gingen. Ohne Verfassungsrichter bleibt aber der gesamte politische Prozess rund um eine Regierungsbildung oder etwaige Neuwahlen blockiert.

Für die Ernennung der neuen Verfassungsrichter braucht es im Parlament eine Zweidrittelmehrheit, also auch die Zustimmung von Đukanovićs DPS. Die bisher vorgeschlagenen Kandidaten haben diese Unterstützung nicht bekommen. Die EU forderte die montenegrinischen Parteien nun auf, am 22. November bei der nächsten Parlamentssitzung endlich neue Verfassungsrichter zu ernennen.

Destabilisierung und Verfassungstreue

"Das Problem ist, dass der Präsident Montenegro in eine institutionelle Destabilisierung und dann in ein Vakuum drängt", machte indes Abazović Staatschef Đukanović für das Patt verantwortlich. Dieser konterte, dass die Glaubwürdigkeit und Legitimität der staatlichen Institutionen in Montenegro geschützt werden müssten. "Die gefährlichste Untergrabung von Institutionen besteht darin, dass das Parlament die Verfassung nicht respektiert und die verfassungsmäßige Ordnung zerstört." (Adelheid Wölfl, 10.11.2022)