Bei der Auszählung in Clark County, Nevada, könnte sich in den kommenden Stunden die US-Senatswahl entscheiden.

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Washington – Und wieder dauert es Tage: Nach den Marathon-Auszählungen von 2020, als offiziell tagelang unklar war, wie das Rennen um die US-Präsidentschaft ausgegangen ist, gibt es nach den Wahlen in den USA erneut keine schnelle Entscheidung. Sowohl das Rennen um den Senat als auch jenes um das Repräsentantenhaus gelten weiterhin als unentschieden. Wie lange es diesmal noch dauert, bis Klarheit herrscht, ist unsicher. Ein genauerer Blick auf den aktuellen Stand lässt allerdings in einigen Fällen bereits Abschätzungen der möglichen Ergebnisse zu.

  • Eher deutlich nehmen sich die Wahrscheinlichkeiten beim Kampf um das Repräsentantenhaus aus. Zwischen 208 (AP) und 211 (ABC) Sitze sind hier von den Hochrechnern bereits den Republikanern zugesprochen worden – deutlich mehr als den Demokraten, die sich im Bereich von rund 190 Sitzen befinden. 218 Sitze braucht es für die Kontrolle in der größeren Kammer des US-Parlaments. Von jenen Rennen, die die Republikaner gewinnen müssten, gibt es einige, die auf Messers Schneide stehen und deren Ergebnisse auf sich warten lassen wird.

    So liegt etwa die radikale Verschwörungstheoretikerin Lauren Boebert in ihrem Wahlkreis in Colorado aktuell nach fast vollständiger Auszählung mit einem Rückstand von 64 Stimmen hinter ihrem demokratischen Konkurrenten Adam Frisch. Beide haben über 164.000 Stimmen erhalten, eine Entscheidung könnte dauern und am Ende auch Gerichte beschäftigen. Lange unklar bleiben wird auch das Rennen in Alaska, wo drei Kandidatinnen angetreten sind (darunter die demokratische Amtsinhaberin Mary Peltola und die rechte Republikanerin Sarah Palin). Sollte niemand über 50 Prozent kommen, wird nach dem komplizierten Ranked-Choice-Verfahren ausgezählt.

    Ob es nötig sein wird, auf diese Ergebnisse zu warten, hängt von den genauen Wahltrends in Kalifornien, Oregon und Washington ab. Die drei Westküsten-Staaten stimmen überwiegend mit Briefwahl ab, die Auszählung dauert traditionell sehr lang. Schneiden die Demokraten dort besonders gut ab, könnte es sein, dass sie das Rennen bis zum Ende offenhalten. Ganz unmöglich ist das nicht, allerdings bleiben auch einige Wahlkreise auszuzählen, die stark republikanisch geprägt sind. Die Republikaner müssten also schon einige Matchbälle vergeben, um die schon sicher geglaubte Kontrolle über das Repräsentantenhaus noch zu verlieren. Unmöglich ist das aber nicht.

  • Leichter zu überblicken ist das Rennen um den Senat. 96 der hundert Sitze sind bereits vergeben, beide Parteien halten bei 48. Einer dieser Sitze, nämlich der von Alaska, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an die Republikaner gehen. Unklar ist hier nur, ob ihn die radikalere Kandidatin Kelly Tshibaka oder die moderatere Amtsinhaberin Lisa Murkowski gewinnt, die unter anderem für das Impeachment Donald Trumps gestimmt hatte. Beide halten bei 44 Prozent. Eine Auszählung nach dem Ranked-Choice-Verfahren ist daher wahrscheinlich – und damit ist auch eher ein erneuter Sieg Murkowskis zu vermuten, die wohl mehr Zweitstimmen von Anhängern der drittplatzierten Demokratin Pat Chesbro erhalten wird als Tshibaka. Damit steht es also 48:49.

    Ein weiterer Sitz, nämlich jener in Georgia, wird erst am 6. Dezember in einer Stichwahl entschieden. Beide Kandidaten, der demokratische Amtsinhaber Raphael Warnock und sein republikanischer Gegner Herschel Walker, haben es nicht über die in Georgia nötige Grenze von 50 Prozent geschafft, weil es einen dritten Kandidaten gab. Ob ihr Duell in vier Wochen am Ende über die Kontrolle im Senat entscheidet, hängt vom Ausgang zweier weiterer Rennen ab – nämlich jener in Arizona und Nevada, die wegen einer Mischung aus Tradition und Briefwahlsystem ihre Stimmen langsam zählen.

    Die aktuelle Lage ist in beiden Fällen nicht ganz einfach einzuschätzen. Nach Auszählung von rund 70 Prozent der Stimmen liegt der demokratische Amtsinhaber, Ex-Astronaut Mark Kelly, mit 51,4 Prozent stattlich vor seinem Konkurrenten Blake Masters (46,4 Prozent). Dass noch Unsicherheiten bleiben, hat damit zu tun, dass in das bisherige Ergebnis viele Briefwahlstimmen eingeflossen sind, zahlreiche Resultate von später abgegebenen Wahlkarten aber noch fehlen. Erstere sind stark demokratisch, Letztere neigen oft eher den Republikanern zu. 60.000 zuletzt ausgezählte Stimmen aus dem größten Wahlkreis, Maricopa County (mit der Stadt Phoenix), haben allerdings Kelly leicht bevorzugt. Seinen Sieg hat sich dennoch noch niemand zu prognostizieren getraut – es gilt als wahrscheinlich, dass bis Donnerstagabend mehr Klarheit herrscht.

    Bleibt das Rennen in Nevada, wo die demokratische Amtsinhaberin Catherin Cortez Masto nach Auszählung von 80 Prozent der Stimmen rund zwei Prozentpunkte hinter ihrem republikanischen Gegner Adam Laxalt liegt. Dort fehlen noch rund 110.000 Briefwahlstimmen, die in großen Teilen aus dem Wahlkreis Clark County (mit Las Vegas) und Washoe County (mit Reno) stammen. Der Journalist Jon Ralston, der als vielleicht profundester Zahlenakrobat im Wahlsystem von Nevada gilt, rechnet mit einem knappen Rennen – die jüngsten Resultate lassen ihn aber eher davon ausgehen, dass die Aufholjagd der Demokratin gelingen könnte. Auch hier ist Donnerstagabend mit mehr Klarheit zu rechnen. Gewinnen die Demokraten tatsächlich beide dieser Rennen, haben sie auch ohne Sieg in Georgia 50 der hundert Sitze im Senat. Weil bei Gleichstand die US-Vizepräsidentin Kamala Harris, die zugleich Senatsvorsitzende ist, über das Ergebnis von Abstimmungen entscheidet, würde das die Kontrolle über die Parlamentskammer bedeuten.

  • Weiter offen sind vier Gouverneursrennen. Das in Alaska wird vermutlich der Republikaner Mike Dunleavy gewinnen, das in Oregon wahrscheinlich – knapp, aber doch – die demokratische Kandidatin Tina Kotek. Äußerst knapp dürften die Rennen in Arizona und Nevada ausgehen. In beiden Fällen sind derzeit aber die republikanischen Kandidaten im Vorteil. In Arizona liegt die radikale Trump-Anhängerin und frühere Fox-News-Moderatorin Kari Lake nur sehr knapp hinter der Demokratin Katie Hobbs. Angesichts der noch fehlenden Stimmen ist aber eher davon auszugehen, dass sie Hobbs noch überholen wird. In Nevada liegt Gouverneur Steve Sisolak vier Prozentpunkte hinter dem Republikaner Joe Lombardo. Dass ihm eine ähnliche Aufholjagd gelingen kann wie Senatskandidatin Cortez Masto, scheint angesichts seines größeren Rückstands unwahrscheinlicher.

  • Noch offen ist schließlich auch das Schicksal zweier besonders kontroverser Referenden. In Montana deuten die Dinge derzeit aber darauf hin, dass ein bewusst verwirrend formulierter Entwurf der Republikaner, der nach Wortlaut "die Tötung lebendig geborener Babys" verhindern soll, scheitert. Sie hatten damit insinuiert, dass dies bisher erlaubt sei und bei Abtreibungen der Fall wäre – was aber natürlich nicht der Fall ist. Ärztinnen und Ärzte hatten die Befürchtung geäußert, dass eine Annahme palliativmedizinische Maßnahmen für nicht lebensfähig geborene Babys verunmöglichen würde. Äußerst knapp lag in Colorado die Initiative zur Dekriminalisierung mancher psychedelischer Drogen und Magic Mushrooms voran. Drei Vorschläge zum leichteren Verkauf von Alkohol hingegen standen dort vor dem Scheitern. (Manuel Escher, 10.11.2022)
Videoporträt: Der Republikaner Ron DeSantis wurde in Florida mit mehr als 20 Prozentpunkten Vorsprung in seinem Amt als Gouverneur bestätigt. DeSantis gilt als Hardliner, möglicher Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2024, und Konkurrent Donald Trumps.
DER STANDARD