Hier geht's zum neuen ORF-Newsroom für gut 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Foto: APA/ORF/Thomas Ramstorfer

Wien – Dem Rücktritt von Matthias Schrom als TV-Chefredakteur als Reaktion auf seine Chats mit Heinz-Christian Strache folgen Forderungen der ORF-Redakteurinnen und Redakteure, alle drei Chefredakteursjobs im ORF-Newsroom neu auszuschreiben. Donnerstag beriet eine Redaktionsversammlung die Folgen der Chat-Affäre. Die bei der Versammlung beschlossene Redaktion liegt dem STANDARD nun vor.

Update: Die Resolution der Redaktion an ORF-General Weißmann

Die einstimmig beschlossene Resolution der ORF-Journalistinnen und -Journalisten im Wortlaut:

"Die Ereignisse der vergangenen Tage haben die Glaubwürdigkeit des ORF massiv erschüttert. Daher muss jetzt alles unternommen werden, das Vertrauen unseres Publikums wieder zurückzugewinnen. Das geht nur, wenn wir die Chat-Affäre transparent und öffentlich aufarbeiten. Wir wollen nicht unter einen politischen Generalverdacht gestellt werden. Es geht um unser höchstes Gut: journalistische Integrität und politische Unabhängigkeit.

Wir begrüßen daher die Entscheidung von Matthias Schrom, seine Funktion als Chefredakteur zurückzulegen. Damit hat er weiteren Schaden vom Unternehmen abgehalten und der Redaktion eine Entscheidung erspart. Dass im ORF derartige Vorgänge nicht unter den Teppich gekehrt, sondern transparent behandelt werden – und das auch in der eigenen Berichterstattung – dient jedenfalls der Glaubwürdigkeit.

Die Forderungen der Redaktionsversammlung:

• Alle drei Chefredaktions-Positionen im Multimedialen Newsroom sollen unverzüglich ausgeschrieben werden.

• Die Ausschreibung bedarf einer unabhängigen, externen Begleitung.

• Die Bestellung muss im Konsens mit der Redaktion getroffen werden, frei von politischer Einflussnahme.

• Die Einführung eines regelmäßigen Medien-Magazins im TV.

Ausschreibungen und Neubesetzungen CR-Funktionen müssen jetzt möglichst rasch erfolgen. Klar ist auch, dass diese Besetzungen frei sein müssen von jeder Form von Parteien-Einfluss. Absprachen und Sideletter dürfen dabei keine Rolle spielen. Es geht darum, möglichst schnell die Besten für die Leitung der Redaktion zu finden und zu besetzen.

Wünsche und Begehrlichkeiten aus dem Stiftungsrat dürfen bei diesen Besetzungen keine Rolle spielen. Denn wir finden die Dreistigkeit verstörend, mit der der frühere Vizekanzler und Chef der Freiheitlichen Partei, Heinz Christian Strache und der damalige Vorsitzende des Stiftungsrates Norbert Steger, ebenfalls FPÖ, versucht haben, Einfluss auf Personalentscheidungen im ORF zu nehmen. Die Idee, im ORF müsse jemand "rausgeschmissen" werden, damit die Berichterstattung im Sinne ihrer Partei "freundlicher" wird, macht uns fassungslos. Und zeigt, wie wichtig es ist, den politischen Einfluss auf den ORF zurückzudrängen.

Ein korrekter Ausschreibungsvorgang und eine Entscheidung nach fachlichen, sachlichen Kriterien, die dem ORF-Gesetz und dem Redaktionsstatut auf Punkt und Beistrich entsprechen, müssen selbstverständlich sein. Jeder Geruch von Parteipolitik, Verhaberung oder Freunderlwirtschaft würde unserer Redaktion und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Ganzes großen Schaden zufügen. Vielmehr muss der ORF als wichtigstes Medienunternehmen des Landes gerade jetzt seiner Verantwortung gerecht werden, das Vertrauen des Publikums in unsere Redaktion und in seriöse Berichterstattung zu stärken."

Drei Ausschreibungen

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann dürfe keine Entscheidung zum Newsroom und seiner Führung ohne Einbindung der redaktionellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treffen.

Forderungen nach Neuausschreibung aller drei Chefpositionen im Newsroom kamen laut STANDARD-Informationen auch aus dem Radio und von Online. Radio-Chefredakteur ist Hannes Aigelsreiter, Online-Chefredakteur Christian Staudinger. Staudinger wurde noch unter ORF-General Alexander Wrabetz und Roland Weißmann als ORF.at-Geschäftsführer 2020 dem langjährigen, politikfernen ORF.at-Chefredakteur Gerald Heidegger zur Seite gestellt.

Teilnehmer der Versammlung vom Donnerstag forderten auch eine eigene Informationsdirektion unabhängig vom ORF-Generaldirektor, der derzeit auch für die Information zuständig ist.

Politeinfluss im Stiftungsrat

Teilnehmerinnen und Teilnehmer sahen ein Grundübel im Verhältnis zur Politik in der Konstruktion des Stiftungsrats. Ein Normenkontrollantrag des Burgenlands über den Politeinfluss im obersten ORF-Gremium liegt zur Prüfung beim Verfassungsgerichtshof. Die Redaktionsversammlung solle ihre Forderungen nach Entpolitisierung der ORF-Gremien '"mit den schärfsten uns zur Verfügung stehenden Mitteln" unterstreichen , hieß es bei der Redaktionsversammlung.

Moniert wurde in der Sitzung auch, dass es bisher keine Stellungnahme des ORF-Stiftungsrats zu den Vorfällen gebe. Im STANDARD äußerte sich dazu Heinz Lederer (SPÖ), der etwa einen neuen Verhaltenskodex für ORF-Journalistinnen und -Journalisten fordert – und eine Entschuldigung des ORF-Generals Roland Weißmann bei den Gebührenzahlern.

Während der Redaktionsversammlung äußerte sich Stiftungsratsvorsitzender Lothar Lockl (Grüne) via APA: Man möge den Stiftungsrat an seinen Taten messen: "Ich bin sehr froh, dass der Stiftungsrat einer Stärkung des Redakteursstatuts zugestimmt hat". Das habe die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit jedenfalls gestärkt. Auch habe man bei wesentlichen Personalentscheidungen im Unternehmen auf Qualifikation an oberster Stelle geachtet. "Parteinähe war in keiner Weise ausschlaggebend."

Es sei "natürlich" auch Aufgabe von Stiftungsräten, die Interessen des ORF zum Wohle des Unternehmens gegenüber der Politik zu vertreten. Er selbst habe aber "eine andere Vorstellung" als Steger davon, wie man als Stiftungsratsvorsitzender die Unabhängigkeit des ORF sicherstellt. (odg, fid, 10.11.2022)