Foto: REUTERS/CAMILLE MARTIN JUAN/SOS MEDITERRANEE

Rom/Paris – Zwischen Frankreich und Italien eskaliert der Streit über die Aufnahme von geflüchteten Personen. Die französische Regierung will mehr als 3.500 Migranten, die in Italien angekommen waren und zu deren Aufnahme sie sich zuvor bereiterklärt hatte, nun doch nicht aufnehmen. Außerdem wird es die Kontrollen an seinen Grenzen zu Italien verstärken, teilte das französische Innenministerium am Donnerstag mit.

Frankreich bekräftigte seine Haltung in Sachen Aufnahme von Migranten und besteht darauf, dass die europäische Regel, wonach Schiffe, die Migranten retten, im nächstgelegenen Hafen anlegen müssen, eingehalten wird. "Die europäische Regel besagt, dass das Schiff den nächstgelegenen Hafen anlaufen muss, und das ist ein italienischer Hafen", sagte Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire dem Sender France 2.

Aufnahme sei "italienische Verantwortung"

Innenminister Gérald Darmanin bezeichnete am Donnerstag die Entscheidung Italiens, dem Rettungsschiff Ocean Viking der französischen NGO SOS Méditerranée mit ihren 234 im Mittelmeer aufgegriffenen Migranten keinen Sicherheitshafen zuzuweisen, als "unverständlich". Er kündigte an, dass Frankreich dem Schiff erlauben werde, am Freitag in Toulon anzulegen. Die Ocean Viking befindet sich derzeit unweit der Insel Korsika. Vier Menschen wurden aus Gesundheitsgründen von dem Schiff evakuiert.

Verkehrsminister Clement Beaune bekräftigte gegenüber dem Sender LCI, dass die Aufnahme des Rettungsschiffs "eine italienische Verantwortung" sei. Eine Verletzung des Grundsatzes, dass Schiffe mit Migranten den nächstgelegenen Hafen anlaufen müssen, habe zur Folge hat, dass sie tage- und wochenlang auf dem Mittelmeer umherirren. "Es muss eine Lösung gefunden werden, die den europäischen Vereinbarungen entspricht", so Beaune.

Le Pen gegen Aufnahme

Ähnlich sieht die Lage Arbeitsminister Olivier Dussopt. "Es gibt Regeln in Europa, die man respektieren muss. Die Regel in Europa ist die Solidarität, und sie besagt, dass der Staat mit dem nächstgelegenen Hafen das Schiff aufnehmen muss, in diesem Fall ist es Italien", sagte Dussopt. Italien habe von der europäischen Solidarität profitiert: "Das kann keine Einbahnstraße sein".

Marine Le Pen vom rechten Rassemblement National stellte sich entschieden gegen die Aufnahme von Rettungsschiffen. "Unsere entschlossene Einwanderungspolitik ist die einzige, die Männer und Frauen davon abhalten kann, ihr Leben zu riskieren, um unseren Kontinent zu erreichen. Wir müssen uns weigern, Komplizen von Menschenhändlern zu sein, und der Ocean Viking die Landung in Frankreich verweigern", erklärte Le Pen in einem Tweet.

Italien: Frankreichs Haltung "unbegreiflich"

Der italienische Innenminister Matteo Piantedosi bezeichnete Frankreichs Haltung als total unbegreiflich. "Die Reaktion Frankreichs auf das Ersuchen um Aufnahme von 234 Migranten – während Italien allein in diesem Jahr 90.000 aufgenommen hat – ist angesichts der ständigen Aufrufe zur Solidarität mit diesen Menschen völlig unverständlich. Es zeigt aber auch, dass die Haltung anderer Nationen gegenüber der illegalen Einwanderung fest und entschlossen ist. Was wir nicht verstehen, ist, warum Italien bereitwillig etwas akzeptieren sollte, was andere nicht akzeptieren wollen", sagte der parteilose Innenminister.

Außenminister Antonio Tajani bezeichnete die französische Reaktion als "unverhältnismäßig". Verkehrsminister und Vizepremier Matteo Salvini kommentierte lakonisch auf Twitter: "Das ist die europäische Solidarität."

Die Ocean Viking ist seit Dienstag auf dem Weg nach Frankreich. "Der Einwanderungsnotstand ist eine europäische Angelegenheit und muss als solche unter voller Achtung der Menschenrechte und des Legalitätsprinzips angegangen werden", erklärte Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni. Die Rechts-außen-Politikerin verfolgt in der Migrations- und Flüchtlingspolitik einen harten Kurs. (APA, red, 10.11.2022)