Elon Musk macht was mit Twitter.

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Nur weil Elon Musk vor wenigen Tagen fast die Hälfte der Belegschaft von Twitter gekündigt hat, heißt das noch nicht, dass der verbliebene Rest bei dem Unternehmen bleiben will. Nun werden erste größere Abwanderungen öffentlich. Innerhalb weniger Stunden hat Twitter am Donnerstag sowohl die Sicherheitschefin als auch den Leiter der Datenschutzabteilung verloren – und offenbar folgen ihnen zahlreiche Mitarbeiter.

Geht es nach den Meldungen von US-Medien könnte es aber noch viel heftiger kommen: Musk soll vor Mitarbeitern eine Zahlungsunfähigkeit des Kurznachrichtendiensts 2023 nicht ausgeschlossen haben. Twitter könnte im kommenden Jahr einen negativen Cashflow von mehreren Milliarden Dollar aufweisen, berichtete die Nachrichtensite "The Information" am Donnerstag. Sollte der Konzern nicht mehr Geld einnehmen, als er ausgebe, "ist eine Pleite nicht ausgeschlossen", hieß es.

Auch eine Mitarbeiterin des Branchennewsletters "Platformer" zitierte auf Twitter eine entsprechende Aussage von Musk. Eine Stellungnahme des Twitter-Chefs selbst lag zunächst nicht vor. Die Nachrichtenagentur Reuters erfuhr von einem Insider, dass er ein Treffen mit der Belegschaft abgehalten hat.

Abgang

Zurück zu den Kündigungen: Den Anfang machte mit Lea Kissner die bisherige Chief Information Security Officer des Unternehmens. Kissner tweetete am Donnerstagnachmittag, dass sie die "schwere Entscheidung" getroffen habe zu kündigen. Einen Grund nannte sie zwar nicht, ein Zusammenhang mit den aktuellen Entwicklungen bei dem Unternehmen ist aber unübersehbar, zumal sie nicht die Einzige blieb.

Medienberichten zufolge verließen am Donnerstag auch vier weitere Manager in Schlüsselpositionen die Firma: der für das Herausfiltern anstößiger Inhalte verantwortliche Yoel Roth, der Datenschutzbeauftragte Damien Kieran, der Softwareentwicklungschef John Debay und die Leiterin der Abteilung Compliance, Marianne Fogarty. Darüber hinaus sollen sich zahlreiche Mitarbeiter der jeweiligen Abteilungen angeschlossen haben.

Ebenfalls ihre Kündigung eingereicht haben soll zeitgleich dazu die erst seit kurzem für die Beziehungen zu Werbekunden zuständige Robin Wheeler. Wie US-Medien berichten soll diese aber kurz danach von Musk persönlich zum Bleiben überredet worden sein. Tatsächlich tweetete sie ein paar Stunden später "Ich bin noch da".

Gerade der Abgang von Roth hat großen Symbolcharakter. War er es doch, der noch vor wenigen Tagen gemeinsam mit Musk den Rauswurf der Hälfte der Belegschaft öffentlich verteidigte, und dabei versicherte, dass dies keinen Einfluss auf die Qualität der Moderation haben werde. Gemeinsam mit Wheeler hatte er zudem jenen Twitter Space geleitet, in dessen Rahmen Musk vor gerade einmal zwei Tagen seine Vision für das Unternehmen zu erläutern versuchte.

Schwierige Situation

All das bringt Twitter in eine ziemlich prekäre Situation: Neben der generellen Sicherheitsproblematik darf nicht vergessen werden, dass das Unternehmen zahlreichen Datenschutz- und Sicherheitsauflagen der US-Handelsbehörde FTC unterliegt. Diese wurden bereits im Jahr 2011 verhängt, und zwar nach Vorwürfen, dass Twitter E-Mail-Adressen und Telefonnummern seiner Nutzer unter dem Vorwand der Sicherheit für Werbezwecke gesammelt habe.

Was die Angelegenheit noch brisanter macht: Das Unternehmen wurde bereits im Mai wegen eines Verstoßes gegen ebendiese Vorschriften zu einer Strafe von 150 Millionen Dollar verdonnert. Bei einem weiteren Vorfall könnten jetzt Milliardenstrafen drohen.

Augen zu und durch

Genau für diese sensiblen Aufgaben scheint jetzt aber niemand mehr zuständig zu sein. Jedenfalls berichtet US-Journalist Casey Newton, dass Mitarbeitern mitgeteilt wurde, dass sie die Compliance mit den FTC-Anordnungen und anderen Gesetzen vorerst selbst garantieren sollen.

Sorgen von Mitarbeitern, dass sie sich damit strafbar machen könnten, begegnet man offenbar mit einer kreativen Strategie. So soll Alex Spiro, aktueller Chef der Rechtsabteilung bei Twitter und Musks persönlicher Anwalt, laut "The Verge" vorliegenden Informationen betont haben: "Elon bringt Raketen ins Weltall, er hat keine Angst vor der FTC."

Gefahren

Der "Washington Post" vorliegende Nachrichten aus internen Slack-Kanälen bei Twitter sollen belegen, dass viele der Mitarbeiter aus Protest gekündigt haben – und zwar explizit aus Protest gegen das aktuelle Chaos. So habe etwa die Sicherheitsabteilung betont, dass die aktuelle Vorgehensweise, neue Features ohne irgendeine ernsthafte Überprüfung rasch zu veröffentlichen, komplett verantwortungslos sei – und extrem gefährlich für die Nutzer.

Die erwähnte "Selbstzertifzierung" der Einhaltung gesetzlicher Vorlagen berge zudem substanzielle rechtliche Risiken für die Mitarbeiter, die viele offenbar nicht tragen wollen. Dazu kommt, dass laut internen Informationen für Anfang Jänner eine Überprüfung durch die FTC ansteht und die Personen, die über das notwendige Know-how verfügen, nun weg sind.

Es geht weiter

Gerade der Abgang von Kissner dürfte bei Twitter für weitere Aufregung sorgen – genießt sie doch nicht nur bei dem Unternehmen selbst, sondern auch in der weiteren Sicherheitscommunity großes Ansehen. So hatte sie dafür gesorgt, dass viele strukturelle Probleme, die bei Twitter angeblich lange ungelöst geblieben waren, zuletzt bereinigt wurden – wozu Twitter im Rahmen der FTC-Auflagen auch verpflichtet ist. (apo, APA, 11.11.2022)