Die Aufgaben werden mehr, die Komplexität steigt. Wie begegnet man neuen Herausforderungen in Unternehmen auf der Führungsebene? Eine nicht neue, aber immer beliebtere Variante, dies zu tun, ist die sogenannte geteilte Führungsrolle. Zwei Personen teilen sich somit eine Managementposition. Bekannt geworden ist das Modell in letzter Zeit mitunter durch die Politik. Die Grünen in Deutschland haben eine gemeinsame Führung mit Ricarda Lang und Omid Nouripour. Doch wird das Modell auch im unternehmerischen Kontext angewendet? Das Vieraugenprinzip herrscht schon seit langem in Unternehmen vor. CEO und CFO beraten sich gemeinsam. Doch beide haben explizit unterschiedliche Aufgabenbereiche und fungieren nicht als "eine Person". Beispiele für Duos von zwei oder mehreren Gründungsmitgliedern gibt es ebenfalls viele. Interessant wird es, wenn zwei Personen einen Teilbereich des Unternehmens gemeinsam führen.

Das Softwareunternehmen SAP in Deutschland entschied sich im Jahr 2019 ebenfalls für eine Doppelspitze. Die damalige Co-Chefin Jennifer Morgan gab ihre Position allerdings bereits nach sechs Monaten wieder auf. In der offiziellen Mitteilung des Unternehmens hieß es: "Mehr denn je verlangt die aktuelle Situation von Unternehmen schnelles, entschlossenes Handeln und eine klare, hierbei unterstützende Führungsstruktur." Ist das wirklich so? Um dieser Frage nachzugehen, wurden drei Führungstandems aus den Firmen Billa, Porsche und ÖBB befragt. Im Gespräch erzählten sie, wie es zur Doppelspitze kam und welche Vor- und Nachteile in der Zusammenarbeit identifiziert wurden. Wie nehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die doppelte Führung wahr? Wieso entschieden sich alle drei Paare, das Personal gemeinsam zu führen? Was bei allen drei Unternehmen auffiel: Führungstandems sind eher noch die Ausnahme.

Verschiedene Modelle

Bei zwei der befragten Tandems arbeiten beide Vollzeit. Bei Rewe arbeitet eine der beiden Frauen Vollzeit, die andere Teilzeit. Selbst gewählt war die Zusammenarbeit nur bei der ÖBB. In den anderen beiden Fällen wurden die Personen von den Vorgesetzten vorgeschlagen und eingesetzt. Keines der Tandems war vorher je Teil einer Doppelspitze. Deshalb war es für alle "learning by doing". Ob es Zufall ist, dass die Führungsduos gerade in den Bereichen der Nachhaltigkeit und der Informatik angesiedelt sind? Sie selbst sagen, diese Bereiche eigneten sich besonders gut für Doppelspitzen. Beide Themen spielen in Unternehmen eine zunehmend wichtigere Rolle und werden komplexer. Mehr Wissen, Erfahrung und Personal für Führungsaufgaben in diesen Unternehmensgebieten anzusiedeln ist laut den Interviewten eine gute Möglichkeit, die Herausforderungen erfolgreich zu meistern. Auch spannend: Die Führungskräfte kannten einander nicht gut. Eine Geschichte über das Zusammenwachsen, Vertrauen und gelungene Kommunikation.

Tanja Dietrich-Hübner und Felicia Beck: "Zwei Führungspersonen einzusetzen sollte gut vorbereitet sein."

Tanja Dietrich-Hübner (links) und Felicia Beck (rechts) leiten gemeinsam den Bereich Nachhaltigkeit bei Billa. Was als Test startete, wollen beide nun beibehalten.
Foto: Lukas Lorenz

Ende 2021 stand es fest: Zwei Personen sollen den Bereich Nachhaltigkeit bei Billa führen. Denn die gesetzlichen Regeln werden immer komplexer, und auch das Unternehmen selbst baut diesen Bereich insgesamt aus. Die beiden dafür vorgesehenen Frauen, Tanja Dietrich-Hübner und Felicia Beck, kannten einander vorher nicht. Vor ihrem Antritt besprachen sie, wie die Zusammenarbeit aussehen sollte, und beschäftigten sich mit verschiedenen Modellen von Shared Leadership. Beide Frauen teilen sich die Aufgaben nach ihrer fachlichen Expertise auf. Trotzdem fällen sie alle Entscheidungen gemeinsam, auch Personalangelegenheiten. Dafür treffen sie sich zweimal die Woche für jeweils eine Stunde und zwischendurch für kurze Absprachen.

Von Anfang legten sie zusätzlich fest, circa alle sechs Wochen ein von einer externen Person geleitetes Coaching in Anspruch zu nehmen. "Die Zusammenarbeit in regelmäßigen Abständen zu reflektieren, auch ohne akute Problemstellungen, bringt uns ungemein weiter. Wir können das wirklich allen empfehlen, die eine gemeinsame Führungsrolle innehaben", schildert Felicia Beck. Sie hätten im Laufe ihrer Zusammenarbeit gelernt, noch transparenter und klarer zu kommunizieren. Was die Arbeit erleichtert und bereichert, sei das starke Vertrauen.

Doch wie kam die neue Führung bei den Mitarbeitenden an? Ein Wechseln von einer klassischen zu einer geteilten Führung muss auch im Team akzeptiert und angenommen werden. Ein häufig genanntes Bedenken, das auch im Team der beiden Frauen angesprochen wurde, war: Wen spricht man wofür an? Die Mitarbeitenden von Anfang an auch emotional mit einzubeziehen, die neuen Strukturen zu erklären, sodass keine Verunsicherung aufkommt, macht den Übergang für alle wesentlich einfacher, sagt Felicia Beck. "Zwei Führungspersonen einzusetzen sollte deshalb gut vorbereitet sein."

Eine gewisse Unterschiedlichkeit, auch im Alter, so sagen beide, tue der Teamdynamik gut. "Felicia hatte zuvor nur eine kleinere Führungsposition inne, ist noch jünger, aber bringt einen Esprit mit, der unglaublich ansteckend ist. Ich dagegen sehe durch meine Erfahrungswerte vieles etwas abgeklärter. Das ergänzt sich gut", sagt Tanja Dietrich-Hübner.

Ein weiterer Vorteil sei die flexible Anpassung der Rollen an die jeweiligen Lebensbedingungen. Da Felicia Beck demnächst in Mutterschutz und Karenz gehen wird, kann Tanja Dietrich-Hübner die Position eine gewisse Zeit allein weiterführen. Ein Einstieg nach der Rückkehr ist für Felicia Beck gut möglich, da sie in dieser Position, wie jetzt auch schon, in Teilzeit arbeiten kann.

Manfred Immitzer und Rainer Trischak: "Wir haben die Rollen aufgeteilt: Einer ist der Innen- und der andere Außenminister."

Manfred Immitzer (links) und Rainer Trischak (rechts) sind seit sechs Jahren ein eingespieltes Führungsteam der Porsche Informatik.
Foto: Flausen

Seit sechs Jahren sind sie ein Team, beide CEOs und sprechen beinahe stündlich miteinander: Manfred Immitzer und Rainer Trischak teilen sich die Führung der Porsche Informatik. Ihr Wissen und ihre Erfahrungswerte ergänzen einander – und das empfinden sie als sehr bereichernd: "Es ist eine natürliche Reibungsfläche und gleichzeitig eine geniale Möglichkeit, die eigene Meinung und die gemeinsamen Entscheidungen zu justieren", sagt Rainer Trischak.

Am Anfang entschieden sie fast alles gemeinsam. Mittlerweile sind ein tiefes Vertrauen und Verständnis der jeweils anderen Position gewachsen, sodass sie ihre Aufgaben mehr aufteilten. "Man könnte vereinfacht sagen: Einer ist der Innen- und der andere Außenminister", erklärt Manfred Immitzer. Er behandelt vertragliche und technologische Themen und ist damit eine Art Außenminister. Rainer Trischak dagegen sieht sich in der Innenministerrolle und überblickt den Bereich Governance und Finanzen.

Sie bewegen sich sogar teilweise außerhalb der Geschäftsordnung mit ihrer eigenen Aufteilung. Personalentscheidungen fällen sie beispielsweise gemeinsam, obwohl das anders vorgesehen wäre. Dem Vorwurf, Entscheidungen zu zweit würden mehr Zeit beanspruchen, widersprechen beide stark. "Ich denke, es ist umgekehrt: Man kann Meinungen schneller abgleichen und sich sicherer sein, wirklich den richtigen Entschluss zu fassen", ist Rainer Trischak überzeugt. Es dürfe keine "Vater-Mutter-Situation" entstehen. Wenn Mitarbeitende bei dem einen ihren Willen nicht durchsetzen können, versuchten sie ihr Glück bei der zweiten Führungsperson. Um ein Ausspielen gegeneinander zu verhindern, seien genaue Abstimmungen unumgänglich.

Damit die Zusammenarbeit als Führungstandem gut funktioniert, muss laut ihnen eine Voraussetzung unbedingt gegeben sein: Beide sollten die gleichen Werte und Prioritäten vertreten. Das erfordere aber auch, sich von dem klassischen Paradigma des Managements und alten Denkens zu lösen, alles zu wissen und alleinig der beste Chef zu sein. "Mach deine Mitarbeitenden und deinen Partner erfolgreich – dann bist du selbst erfolgreich", sagt Manfred Immitzer. Sich einzugestehen, dass auch der andere im Recht sein kann, sei gerade bei Personen im Topmanagement, die oft Alphatiere sind, ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor für die Zusammenarbeit.

Claudia Altenburger und Ricarda Breitenegger: "Wir können beide sowohl Managementaufgaben erledigen als auch operativ tätig sein."

Claudia Altenburger (links) und Ricarda Breitenegger (rechts) leiten den Bereich Informatik im ÖBB-Business-Competence-Center.
Foto: Regine Hendrich

Im nächsten Jahr werden aufgrund der vielen Renteneintritte rund 3000 neue Mitarbeiter bei der ÖBB gesucht. Um die Gunst jeder einzelnen Fachkraft wird gebuhlt. Um bei dem Wettstreit, um gutes Personal die Nase vorn zu haben, erzählt Claudia Altenburger, werden die Arbeitsbedingungen den Wünschen und Lebensrealitäten zunehmend angepasst.

In ihrem Fall musste schnell eine neue Führungskraft die Managementaufgaben übernehmen. Claudia Altenburger und Ricarda Breitenegger wurden von ihren Vorgesetzten aus dem bestehenden Team erwählt, um interimistisch die Führung zu übernehmen. Im Jänner dieses Jahres begannen beide in ihrer neuen Rolle. Der Plan: Nach ein paar Monaten nur eine von beiden als Führungskraft beizubehalten. Beide gehen zu 50 Prozent operativen Tätigkeiten nach. Die restliche Zeit übernehmen sie Führungsaufgaben. Diese haben sie sich auch nach ihren jeweiligen Schwerpunkten aufgeteilt – Ricarda Breitenegger als Projektmanagerin und Claudia Altenburger als Fachfrau für alle technischen Fragen.

Dann war es Zeit: Eine Entscheidung musste getroffen, wer von beiden alleinig die Führung und Koordination des 200-köpfigen Teams übernimmt. In der gemeinsamen Testphase entdecken die beiden Frauen allerdings, die vorher noch nicht zusammengearbeitet hatten, wie hervorragend die geteilte Führung funktionierte. Sie schätzen, dass sie auch Zeit haben, alle zwei Wochen für zwei Stunden über die Weiterentwicklung des Teams oder ihres Bereichs zusammen nachzudenken. "Es ist wirklich ein Genuss, so zu arbeiten", sagt Ricarda Breitenegger. Sie mussten zwar Überzeugungsarbeit leisten, schlussendlich wurde ihrem Wunsch stattgegeben, die Position weiterhin gemeinsam zu besetzen.

Beide hatten anfänglich die Sorge, weniger Respekt zu bekommen, da andere denken könnten, sie seien nur zu zweit, da sie die Führung nicht allein schafften. Diese Bedenken lösten sich aber ziemlich schnell auf. Sie wurden nie infrage gestellt. "Ich würde behaupten, wir trauen uns sogar vielleicht mehr als andere Führungskräfte, da wir uns gegenseitig Rückendeckung geben und unsere Ideen im Vorhinein schon diskutieren", sagt Claudia Altenburger. Noch gibt es nur wenige Vollzeitführungsduos in der ÖBB. Ob solche Doppelspitzen mehr zum Einsatz kommen werden, wie alle drei Unternehmen andeuteten, wird sich zeigen.