Rhesusaffen suchen Nähe.
Foto: Lauren Brent

Wer wohnort- oder krankheitsbedingt viel Zeit damit verbringt, Onlinekontakte zu pflegen, weiß: Physische Nähe kann bei der Interaktion einen großen Unterschied machen. Man erfährt auf vielen verschiedenen Sinnesebenen mehr vom Gegenüber, muss zum akustischen Verständnis nicht auf eine stabile Netzverbindung hoffen. Körperkontakt – ob beifällig oder entschieden – kann das Vertrauen zueinander stärken, aber auch behindern.

Manche der Mechanismen, die dahinterstecken, sind evolutionsbiologisch in uns verankert. Unsere Verwandten im Tierreich setzen im wichtigen sozialen Zusammenspiel vor allem auf eine Strategie, die als "Grooming" bekannt ist: Die Affen kraulen und entlausen sich gegenseitig. Diese Fellpflege stärkt nicht nur die Beziehungen, wie eine aktuelle Studie im Fachjournal "Frontiers in Microbiology" verdeutlicht, an der auch der renommierte Psychologe Robin Dunbar mitwirkte. Das gegenseitige Kraulen scheint auch gut für die Gesundheit zu sein, da es das Mikrobiom im Verdauungstrakt verbessert.

Erforschte Affenkolonie

"Wir zeigen, dass die geselligeren Affen mehr nützliche Darmbakterien und weniger potenziell krankmachende Bakterien haben", sagt Erstautorin Katerina Johnson von der Universität Oxford in Großbritannien. Bei den untersuchten Affen handelt es sich genauer um Rhesusaffen auf einer Insel an der puerto-ricanischen Ostküste. Die Spezies aus der Gattung der Makaken stammt eigentlich aus Asien. Mittlerweile haben sich einige Gruppen aber auch in freier Wildbahn auf anderen Kontinenten ausgebreitet, etwa in Florida und auf Puerto Rico.

Auf der "Affeninsel" Cayo Santiago werden die freilebenden Affen von neugierigen Forschenden untersucht.
Foto: Lauren Brent

Die Makakenbevölkerung auf der 15 Hektar großen "Affeninsel" Cayo Santiago, die zu Puerto Rico gehört, geht auf rund 400 Tiere zurück, die 1938 aus Indien nach Amerika gebracht wurden. Während sich die Tiere in unterschiedlichen Sozialgruppen prinzipiell frei bewegen und großteils selbstständig für ihre Ernährung sorgen, werden sie von Forschenden beobachtet.

Der Zusammenhang zwischen Sozialverhalten und Darmmikrobiom interessierte das Team, weil die sogenannte "Darm-Hirn-Achse" zunehmend erforscht wird. Sie beschreibt die Signalwege zwischen Verdauungstrakt und Gehirn, die auch von den Darmbakterien – also dem dortigen Mikrobiom – beeinflusst werden. Diese Verbindung ist wichtig für die Gesundheit des Körpers und wird auch durch soziale Interaktionen geprägt: Immerhin werden bei Körperkontakt auch Bakterien ausgetauscht.

Soziale Darmbakterien

Für ihre Studie sammelte die Forschungsgruppe Stuhlproben von einer Rhesusaffengruppe, zu der 22 männliche und 16 weibliche Tiere gehören. Die darin befindliche DNA liefert einen Einblick in die mikroskopisch kleine Bevölkerung im Verdauungstrakt der Individuen. Der Fokus lag auf Bakterien, die besonders häufig oder selten bei Menschen und Nagetieren auftreten, welche wenig Sozialkontakt haben oder Autismus-artige Symptome zeigen.

Diese Daten verglich das Team mit dem Sozialverhalten der Affen. Dabei stellte sich heraus, dass es einen statistisch bedeutsamen Zusammenhang gibt. Gesundheitsgefährdende Streptokokken, die beim Menschen beispielsweise für Lungenentzündungen sorgen können, kamen öfter bei jenen Affen vor, die weniger kontaktfreudig waren. Andersherum sei es etwa beim Faecalibacterium gewesen, das entzündungshemmende Eigenschaften habe und mit einem gesunden Darmmikrobiom in Verbindung gebracht werde, sagt Johnson.

"Grooming"-Reihen, bei denen sich mehrere Affen gegenseitig das Fell pflegen und kraulen, sind bei Rhesusaffen keine Seltenheit.
Foto: Alyssa Arre

Daher liegt die Schlussfolgerung nahe, dass bestimmte Bakterien verstärkt im Zuge des Sozialverhaltens – vor allem durch die gegenseitige Fellpflege – übertragen werden. "Es könnte sich aber auch um einen indirekten Effekt handeln, da Affen mit weniger Freunden möglicherweise gestresster sind, was sich wiederum auf die Menge dieser Mikroben auswirkt", merkt die Psychologin an. "Wenn es um den Einfluss von Verhalten auf das Mikrobiom geht, wissen wir außerdem, dass es sich dabei um eine wechselseitige Beziehung handelt: Das Mikrobiom kann sich wiederum auf Gehirn und Verhalten auswirken."

Menschliche Interaktionen off- und online

Etliche Fachleute im Bereich der evolutionären Psychologie sind der Ansicht, dass beim Menschen die verbale Kommunikation eine wichtige Rolle des Groomings übernommen hat. Das hat den Vorteil, dass es in der Regel weniger Zeit benötigt, sich beim Smalltalk auszutauschen, als einander sorgfältig das Fell zu durchstöbern. Auf diese Weise – so die Theorie – könnte sich die Bezugsgruppe beim Menschen vergrößert haben. Ein Faktor, der übrigens auch bei der Entwicklung hoher Intelligenz eine Rolle gespielt haben könnte.

Robin Dunbar von der Universität Oxford prägte in diesem Zusammenhang eine Zahl, die als "Dunbar's number" bekannt wurde, nämlich 150. Ihm zufolge können Menschen gut in einem Verbund von maximal 150 Personen leben, mit denen sie in regelmäßigem Austausch stehen. Inwiefern sich diese Zahl heute – im Zeitalter der sozialen Onlinenetzwerke – halten lässt und wie dies das menschliche Verhalten verändert, wird erforscht.

Auch bei der neuen Rhesusaffenstudie gehörte Dunbar zum Forschungsteam. Er suggeriert, dass sich die Resultate auf Menschen übertragen ließen: "Da unsere Gesellschaft zunehmend reale Interaktionen durch Onlineinteraktionen ersetzt, unterstreichen diese wichtigen Forschungsergebnisse die Tatsache, dass wir uns als Primaten nicht nur in einer sozialen, sondern auch in einer mikrobiellen Welt entwickelt haben", sagt der Wissenschafter.

Demnach ist es auch möglich, dass uns gesundheitlich etwas abgeht, wenn wir vermehrt auf virtuelle Kontakte setzen. Andererseits können gerade Orte wie Millionenstädte, an denen sehr viele Menschen zusammenkommen, ein Risiko für die schnelle Verbreitung von Krankheitserregern darstellen. Weiterführende Studien wären jedenfalls wünschenswert. (Julia Sica, 14.11.2022)