Behörden sollen in sechs Monaten über den Ausbau von Windkraft entscheiden. Für Solaranlagen ist eine Monatsfrist vorgesehen.

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Es ist ein ungewöhnliches Mittel, mit dem die EU-Kommission den Ausbau erneuerbarer Energien drastisch beschleunigen will: Eine Notfallverordnung soll dafür sorgen, dass neue Solaranlagen, Wärmepumpen und Ausbauten von Windrädern innerhalb weniger Monate genehmigt werden. Zwar hatte die EU-Behörde bereits im Mai eine neue Richtlinie vorgeschlagen; deren Umsetzung könnte aber Jahre dauern.

Angesichts der "verschärften" Energiekrise stützt sich die Kommission nun auf eine Notfallkompetenz in Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Demnach darf die EU "angemessene Maßnahmen" beschließen, wenn "gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren, vor allem im Energiebereich, auftreten". Notwendig ist zwar noch die Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten, diese hatten die Verordnung aber Ende Oktober selbst gefordert. Nicht zustimmen muss dagegen das Europäische Parlament. Gelten soll das Regelwerk vorerst ein Jahr lang.

"Aus meiner Sicht wäre das ein Game-Changer", sagt Florian Stangl, Rechtsanwalt für Umweltrecht bei NHP. "Damit könnte es wirklich schnell gehen." Die Verordnung wäre die erste, die in diesem Bereich das Verfahrensrecht direkt regelt. Projektwerber könnten sich gegenüber Behörden und Gerichten unmittelbar auf das Regelwerk stützen.

Automatische Genehmigung

Solaranlagen sowie die zugehörigen Speicheranlagen und Netzanschlüsse sollen demnach spätestens nach einem Monat genehmigt werden – und das automatisch. Diese "Genehmigungsfiktion" für Anlagen bis zu 50 KW hätte in der Praxis deutliche Auswirkungen, sagt Stangl. Stellt etwa ein Hauseigentümer einen Antrag und trifft die Behörde nicht rechtzeitig eine Entscheidung, darf der Bau nach einem Monat beginnen. Die Verordnung nimmt zudem auch die Netzbetreiber in die Pflicht: Sie müssten dem Netzanschluss der Anlage innerhalb eines Monats zustimmen.

Für Wärmepumpen soll laut dem Vorschlag eine Frist von drei Monaten gelten; für Repowering – also den Ausbau bestehender Anlagen – eine Frist von sechs Monaten. Hier gibt es keine Automatik wie bei Solaranlagen; die Vorgaben würden aber dennoch Druck auf die Behörden ausüben, sagt Stangl. Auch für große, neue Anlagen wie Wind- oder Wasserkraftwerke sieht die Verordnung Erleichterungen vor. Erneuerbare sollen künftig explizit im besonderen öffentlichen Interesse stehen. Damit würden Artenschutz und Naturschutz bei Abwägungsfragen häufiger den Kürzeren ziehen, erklärt der Jurist.

Kritik an "umfassendem Eingriff"

"Das ist ein umfassender Eingriff in unser gesamtes System", kritisiert Thomas Alge, Geschäftsführer des Ökobüros, einer Dachorganisation für mehrere Umweltorganisationen. "Die Erneuerbaren jetzt um jeden Preis auszubauen ist viel zu kurzfristig gedacht. Gleichzeitig fehlen Maßnahmen, um den Gasverbrauch nachhaltig zu reduzieren." Je größer der Druck auf die Biodiversität, desto eher beschleunige sich auch der Klimawandel, betont Alge. Der Umweltschützer befürchtet, dass die Notverordnung zum Präzedenzfall für eine weitere Einschränkung von Parteirechten und Grundrechten werden könnte. (Jakob Pflügl, 13.11.2022)