Foto: epa, CHRISTIAN BRUNA

Aber das muss man in der allgemeinen Aufregung schon auch sagen dürfen: Es ist weder eine Schande, sich mit HC Strache wertfrei über den Linksradikalismus im ORF auszutauschen, noch, ORF-Generaldirektor werden zu wollen. Man soll niemanden verurteilen, nur weil er sich bei der Bewerbung in der Adresse geirrt hat. Eine "Krone"-Kolumnistin hat das ganz richtig gesehen, als sie Dienstag schrieb, zwei Chefredakteure haben gestern ihre Funktionen ruhend gestellt ... Dafür gebührt ihnen Anerkennung. Was ihnen erst gebührte, als sie ihre Funktionen aufgaben, hat der ORF-Generaldirektor, der es schließlich geworden ist, weil Thomas Schmid nichts für "Die Presse" tun konnte, bewertet: Respekt.

Was Thomas Schmid betrifft, hat "Österreich" das Land von einer schmerzlichen Ungewissheit befreit. Großer Wirbel um Schmid: "Ja, er ist ÖVP-Mitglied". Wer hätte das gedacht! Auch in der Volkspartei selbst zögerte man mit einer Antwort auf diese Frage, und das ist im Lichte seines Hurenchats durchaus verständlich. Aber Christian Stocker, keine Hure, sondern Generalsekretär der ÖVP und als solcher ein neuer Besen, stellte auf oe24.tv mutig klar: "Thomas Schmid ist Mitglied einer Landesteilorganisation. Die Mitgliedschaft ist allerdings seit über einem Jahr ruhend gestellt."

Das verdient Anerkennung und Respekt, für wen, sagte "Österreich" nicht. Ausgerechnet bei Wolfgang Fellner hielt man mit der Entrüstung über die Chat-Affäre in anderen Medien nicht hinter dem Berg und kann mehr Skandalöses kaum erwarten. Auf dem Handy von Strache sollen sich aber noch "unzählige Chats mit Journalisten diverser Medien finden", sagt ein Insider. Mehrere Journalisten zittern weiteren Veröffentlichungen entgegen.

Ungerecht, aber auch wieder verständlich

Niemand zollte bisher Schmid Respekt, weil er seine Mitgliedschaft in der ÖVP ruhend gestellt hat. Das ist ungerecht, aber auch wieder verständlich, musste die "Kronen Zeitung" am Wochenende doch die peinliche Frage stellen: Mikl in der Schmid-Falle? Am 29. Jänner wählt Niederösterreich. Thomas Schmid ist heimlicher Spielmacher. In St. Pölten entwickelt man Strategien, und jetzt kommt die Überraschung. Eine davon: "Kurz sollte die Parteimitgliedschaft ruhend stellen."

Der Versuch, dem Ex-Kanzler auf diese Weise gleichzeitig Respekt und Anerkennung zuteilwerden zu lassen, ihn aber im Bewusstsein der niederösterreichischen Wählerinnen und Wähler ruhend zu stellen, ist ein Kunststück, das eines gewieften Wahlkampfleiters bedarf. In St. Pölten ist Schreckliches im Schwange. Hinter vorgehaltener Hand denkt man in St. Pölten auch über einen Tabubruch nach – nämlich dass sich Mikl-Leitner von den Machenschaften der Buberlpartei rund um Kurz distanziert. Derart Ungeheuerliches kann man nur denken, wenn man hinter vorgehaltener Hand denkt.

Zu einer solchen Leistung bedarf es schon eines nö. Meisterdenkers. "Kurz muss jetzt drei Schritte zurück für die Partei gehen", so ein Mastermind aus Niederösterreich, der sich stets als Kurz-Mann bezeichnet. Aber, wollte die "Krone" wissen: Was genau versteht man unter drei Schritte zurück? "Kurz sollte die Parteimitgliedschaft ruhend stellen, um die Bundespartei zu entlasten, sonst wird das Erbe zu schwer." Bloß für drei Schritte zurück könnte er keinesfalls mit Respekt rechnen.

Und wer ist schuld daran?

Von tiefer Verzweiflung diktiert war der Leitartikel im "Kurier" vom Dienstag. Da ist von der Illusion der ÖVP die Schreibe, man könnte der ideologischen Schlagseite des ORF durch einzelne Personen mit VP-Ticket in Spitzenfunktionen wirksam etwas entgegensetzen. Schlimmer noch. Es würde auch nichts bringen, irgendjemand zu "verräumen", so sehr bei einigen Moderatoren in Radio wie TV ein Spin gegen alles rechts der Mitte unverkennbar ist.

Und wer ist schuld daran? Niemand anderer als die ÖVP! Denn das Problem besteht unter anderem darin, dass bei der ÖVP (vermutete) parteipolitische Loyalität vor sachlicher Kompetenz und weltanschaulicher Haltung geht. So wie sich unter Lindner kaum etwas an inhaltlicher Ausrichtung geändert hat, so wird dies auch unter dem amtierenden ORF-Chef Roland Weißmann eher nicht der Fall sein und wäre das auch unter Rainer Nowak wohl nicht passiert. Solche Pauschalverdächtigungen, noch dazu gegen jemanden, der seine Ambitionen ohnehin schon ruhend gestellt hat, verdienen keinen Respekt.

Im Übrigen: Wenn schon in der bunten "Krone" die "Wiener Zeitung" als Stolz einer Kulturnation gepriesen wird, sollte die Regierung kulturell nicht zurückstehen. (Günter Traxler, 12.11.2022)