Smartphones und Kameras – stehen sie wirklich in Konkurrenz zueinander?

Foto: Reuters / Carlos Barria

Es gab eine Zeit, da fand man keinen Weg vorbei an klassischen Kameras, wenn man hochwertige Fotos schießen wollte. Touristinnen und Touristen waren dazu gezwungen, klobige DSLRs mit sich herumzuschleppen, deren Bedienung für Laien alles andere als selbsterklärend ist. All das ist inzwischen Geschichte, massiven Fortschritten im Bereich der Smartphone-Fotografie sei Dank. Immer mehr Menschen tragen eine Weitwinkel- und eine Telekamera in der Hosentasche mit sich – die ihnen dank leistungsstarker Prozessoren auch die Bildverarbeitung abnehmen und zunehmend beeindruckende Ergebnisse liefern.

Manch einen Branchenvertreter verleitet das zur Prognose, Smartphones könnten herkömmliche Kameras in Sachen Bildqualität bald schon hinter sich lassen. Unter ihnen zum Beispiel Terushi Shimizu, Chef von Sony Semiconductor Solutions, und Judd Heape vom Chiphersteller Qualcomm. Ermöglichen soll das ihnen zufolge Computational Photography, also die softwareseitige Verarbeitung von Bildern. Diese ermöglicht mittlerweile einwandfrei belichtete Nachtaufnahmen aus der Hand, verbessert den Autofokus und stellt allerlei Berechnungen im Hintergrund an, um die Bildqualität als Ganzes zu verbessern.

Den "CNET"-Journalisten Stephen Shankland verleiteten diese Innovationen kürzlich sogar zu einem Vergleich zwischen dem Pixel 7 Pro und seinem 10.000 Dollar teuren DSLR-Set-up. Sein Ergebnis: Das Smartphone mache seiner Kamera Konkurrenz, da es seine Schwächen geschickt durch Softwareberechnungen auszugleichen weiß. Eine Behauptung, die er mit unzähligen Beispielfotos untermalt. Abgesehen davon, dass die Vollformatkamera die Konkurrenz in diesem Test in Wirklichkeit fast immer übertrumpft, stellt sich eine wichtige Frage: Warum überhaupt der Vergleich zwischen "echten" Kameras und Smartphones?

Anderer Zweck, andere Mittel

Beide bedienen eine klare Zielgruppe und sind auf unterschiedliche Art technologisch ausgereifte Maschinen, abgestimmt auf die Bedürfnisse möglichst vieler ihrer Kundinnen und Kunden. In Wirklichkeit geht es nicht darum, ob Smartphones irgendwann bessere Bilder machen als ein Fotoapparat. Dieser Aufgabe sind sie aus rein physikalischen Gründen nicht gewachsen, ganz egal, wie clever die unterstützende KI auch sein mag. Viel wichtiger ist es, dass Handys Jahr für Jahr zur besseren Wahl für jene Menschen werden, die zwar schöne Fotos genießen, aber keine Zeit in den Prozess der Fotografie stecken wollen oder können. Ihnen – und natürlich auch allen anderen – wird die Arbeit abgenommen, wird das bestmögliche Ergebnis geliefert, das mit kleinen Sensoren und meist aus Kunststoff gefertigten Objektiven erzielt werden kann.

Der Unterschied zu DSLRs und spiegellosen Kameras ist eigentlich simpel: Diese sind primär ein Werkzeug für eine professionelle Kundschaft, die durch gezielte Einstellungen, Kompositionen und eine bedachte Objektivauswahl spezifische Effekte erzielen möchte (zumindest im Optimalfall). Es geht nur selten darum, einen Schnappschuss aufzunehmen – und viel öfter um die volle Kontrolle über den Arbeitsprozess.

Kaum umzusetzen

Ganz abgesehen davon dürften einige der Smartphone-Tricksereien aufgrund der Sensorgröße bei klassischen Kameras gar nicht funktionieren. Zum Beispiel der Nachtmodus von Herstellern wie Google oder Apple. Ist dieser aktiviert, werden bei Nacht mehrere Fotos mit unterschiedlicher Belichtungszeit geschossen, um möglichst viele Informationen zu sammeln. Die Auswahl an Kameras, die es einem ermöglichen, entsprechend langsame Belichtungszeiten ohne Verwacklung aufzunehmen, ist allerdings begrenzt. Je größer der Sensor und die Auflösung, desto schneller sieht man außerdem die kleinsten Verwacklungen und Bildfehler.

Die meisten Hersteller setzen mittlerweile auf spiegellose Systeme.
Foto: APA/AFP/DAVID MCNEW

Vergleichbare Modi liefern die meisten Kameras in Form eines Bracketing-Features sowieso. Im Kern macht dieses nichts anderes, als eine vorgegebene Anzahl an Belichtungen mit unterschiedlichen Verschlusszeiten aufzunehmen – und der Person hinter dem Sucher volle Kontrolle darüber zu geben, welche davon verwendet werden sollen.

Hinzu kommt, dass sie viele Schwächen kleiner Sensoren und Objektive schlicht deshalb nicht ausgleichen werden müssen, weil sie meist gar nicht bestehen. Aktuelle Sony-, Nikon- und Canon-Sensoren für klassische Foto- und Videokameras liefern in der Regel einen Dynamikumfang von mindestens zwölf Belichtungsstufen. Das erlaubt einem in der Nachbearbeitung (zumindest, wenn man im Raw-Format fotografiert) selbst dann die eigenen Fehler zu korrigieren, wenn man die Belichtung falsch eingeschätzt hat. Farben können grundlegend verändert, einzelne Bildbereiche hervorgehoben oder in den Hintergrund gestellt werden. All das einfach deshalb, weil entsprechend viele Details vorhanden sind, die bei Smartphones fehlen. Und das ist auch in Ordnung.

Positive Entwicklungen

Denn mit der unaufhaltsamen Weiterentwicklung und Verbesserung von Handykameras geht eine Demokratisierung des gesamten Mediums einher. Schöne Familien- oder Urlaubsfotos sind kein Luxusgut mehr, das den Anhängern einer Profession oder gar Enthusiasten mit tiefen Taschen vorbehalten ist. Eine Verlangsamung der technologischen Innovationen ist nicht absehbar. Eine Tatsache, die sich auch am jährlich sinkenden Umsatz mit Digitalkameras erkennen lässt. Das ist allerdings eine andere Baustelle, die Zeiten von klobigen Geräten für die Masse sind vorbei.

An Innovation mangelt es im Bereich der klassischen Kameras dennoch nicht, vor allem seit eigentlich alle nennenswerten Hersteller ihre Karten auf spiegellose Systeme setzen. Diese bieten deutlich mehr Assistenzsysteme als noch DSLRs, sei es im Bereich der Belichtungsmessung oder beim Autofokus. Es ist mittlerweile Usus, dass menschliche Gesichter und Augen zuverlässig getrackt werden, teilweise trifft dies sogar auf Tiere zu.

Sony tastet sich mit der kürzlich vorgestellten A7R V sogar in den Bereich des Deep Learnings vor. Der Autofokus soll dank algorithmischer Berechnungen menschliche Posen erkennen und vorhersagen können, um Gesichter und Augen auch dann nicht aus dem Blick zu verlieren, wenn diese von einer Maske oder anderweitig verdeckt werden. Ein Feature, das im Test des STANDARD zuverlässig funktionierte. Auch Natur-, Tier- und Sportfotografen sollen mit vergleichbaren Funktionen für Tiere, Vögel, Insekten und sogar Autos, Züge und Flugzeuge in das eigene Ökosystem gelockt werden – erfolgreich, wie der Marktanteil des japanischen Herstellers zeigt.

Äpfel und Birnen

Im Grunde lässt sich eine Parallelentwicklung der beiden Technologien erkennen, mit deren Fortschritt diese immer seltener in Konkurrenz zueinander treten. Während Smartphones dank intelligenter Software immer schönere Ergebnisse für die breite Masse liefern, richten sich moderne Digitalkameras an eine immer spezifischer werdende Zielgruppe aus Fotografinnen und Videografen. Die jeweiligen Tricks kann das Gegenüber oft nicht umsetzen, und zwar aus rein physikalischen Gründen. Die Frage sollte deshalb nicht mehr lauten, ob Mobiltelefone bald besser sein werden als Kameras, sondern ob die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe erfüllt werden können. (Mickey Manakas, 12.11.2022)