Die Zeiten, in denen es "goldene Sonntage" im Handel gab, sind in Österreich längst vorbei. Seit 1958 ist generelles Einkaufen an diesem Tag tabu.

Foto: APA

Wien – Ein Jahr ist es her, dass sich Österreichs Sozialpartner auf einen offenen Einkaufssonntag im Advent einigten. Warum heuer nicht fortsetzen, was sich ohne Kollateralschäden bewährte? Zumal Österreich mit seinen strikten Ladenöffnungszeiten in Europa nahezu allein auf weiter Flur steht.

Der Ball liegt bei den Sozialpartnern. Die Chancen für eine stärkere Liberalisierung sind gering. Auch wenn Unternehmer Richard Lugner regelmäßig alle Hebel dafür in Bewegung setzt. Nicht nur die Gewerkschaft mauert. Auch in den eigenen Reihen des Handels ist der Widerstand groß.

FÜR

Andere Länder leben vor, was in Österreich tabu ist. Deutschland lässt vier offene Einkaufssonntage im Jahr zu. Berlin stellt seinen Händlern gar zehn Sonn- und Feiertage frei, an denen sie sechs Stunden lang verkaufen dürfen. Nicht zu reden von Italien, das auf den gesetzlichen Ladenschluss überhaupt verzichtet.

Österreich mauert derweil gegen stärkere Liberalisierung, obwohl diese durch die Hintertür ohnehin längst Einzug in die Geschäfte hielt. In vielen Bundesländern darf aufgrund von Tourismusregelungen sonntags munter eingekauft werden.

Tankstellen mit Supermarktketten als Partner machte die Sieben-Tage-Woche zu neuen Nahversorgern. Für kleinere Händler wurde die Gastronomiekonzession der Schlüssel zum Feiertag.

Lebensgewohnheiten ändern sich, die Grenzen der Arbeitszeit lösen sich auf. Eine halbe Million Österreicher arbeitet bereits sonntags. Warum also sollen Unternehmer nicht selbst darüber entscheiden dürfen, wann sie Geschäfte machen wollen und wann nicht?

Internet schläft nicht

Internationalen Onlinekonzernen das Feld zu überlassen, die hierzulande weder Jobs schaffen noch Steuern zahlen, ist ein Luxus, den sich der Handel nicht mehr leisten kann. Wochenendtouristen in Einkaufsstraßen Samstag um 18 Uhr die Tür vor der Nase zuzuknallen, ebenso wenig.

Der Dezember bringt traditionell um gut 50 Prozent mehr Umsätze als Monate unter dem Jahr. Warum die Konsumlust im Advent nicht nutzen und für ein, zwei Sonntage den Riegel lockern? Abgesehen von weniger Gedränge für Kunden unter der Woche wäre dies auch für Beschäftigte kein Verlust: Wer sonntags arbeitet, verdient das Doppelte und erhält Zeitausgleich. Aufgabe der Sozialpartner ist es, dafür faire Spielregeln festzulegen.

An die 150 Millionen Euro Umsatz brutto könnte ein Einkaufssonntag bringen, erhob die Kepler-Uni im Vorjahr. Das ist angesichts der Kosten zwar kein Vermögen – der 8. Dezember etwa spült rund 400 Millionen Euro in die Kassen. Aber es unterstützt Händler im Wettlauf um Geld, das sonst in Freizeit- und Tourismusbetriebe fließen würde.

WIDER

Der Preis eines Einkaufssonntages ist hoch. Gut 70 Prozent der Handelsmitarbeiter sind Frauen. 37 Prozent arbeiten in Teilzeit. Viele sind Alleinerzieherinnen. Beruf und Familie zu vereinen ist für sie ein Kraftakt. Denn Jobs im Verkauf verlangen enorme Flexibilität ab. Vor allem die Corona-Zeit forderte ihren Tribut.

Doppeltes Gehalt am Sonntag klingt gut. Aber was, wenn einem aufgrund mager bezahlter Teilzeitstellen wenig anderes übrigbleibt, als das Einkommen durch zusätzliche Sonntagsarbeit aufzubessern? Mit freiwilliger Arbeit an Feiertagen ist es oft nicht weit her. Wer kontrolliert, dass niemand zu Wochenenddiensten gezwungen wird?

Dass die guten finanziellen Zulagen von Dauer sind, ist unrealistisch. Arbeitgeber werden daran rütteln: Leisten können sich Sieben-Tage-Wochen aufgrund der hohen Personalkosten nur wenige.

Flucht aus dem Handel

Schon jetzt fehlen im Handel tausende Mitarbeiter. Nicht jeder Unternehmer kann sich an Sonntagen selbst ins Geschäft stellen. Verlockender würde Arbeit im Einzelhandel in Zukunft durch längeres Offenhalten jedenfalls nicht. Ein Blick in die Gastronomie zeigt, wie widrige Arbeitszeiten Beschäftigte in andere Branchen flüchten lassen. Auch ein Jobwunder ist durch Sonntagsarbeit nicht zu erwarten. Geschaffen werden damit vor allem Teilzeitstellen, von denen kaum einer leben kann.

Mehr Wunsch als Wirklichkeit ist die Entscheidungsfreiheit der Unternehmer: Auf den Sonntag nicht aufzuspringen, wird kaum einer wagen. Dafür ist die Konkurrenz zu groß. Wer in Einkaufszentren aus der Reihe tanzt, dem drohen Pönalen.

Von vielgepriesenen Touristen können nur wenige Händler in Innenstadtlagen leben. Größere Umsatzsprünge sind heuer auch ohnedies nicht drin: Die stark gestiegenen Energiepreise engen nicht nur den Spielraum der Händler ein. Sie schwächen auch die Kaufkraft der Konsumenten. Geschenke gibt es für den Handel heuer keine.

Ob es das wert ist, die soziale Errungenschaft eines weitgehend gemeinsamen freien Tages aufs Spiel zu setzen, ist eine Frage des Standpunkts. (Verena Kainrath, 13.11.2022)