Flussaufwärts am Datenstrom einer verdummten Gegenwart, in der es nichts mehr zu gewinnen gibt: Das Bernhard Ensemble mit "Jeder.Now" im Off-Theater Wien.

Foto: Barbara Pálffy

Für die Verheiratung von Klassikstoffen mit Kultfilmen hat das Bernhard Ensemble von Regisseur Ernst K. Weigel immer schon weite Bögen spannen müssen. Im Vorjahr traf etwa Ridley Scott auf Werner Schwab. Illustre Paare davor waren David Lynch und Arthur Schnitzler, Lars von Trier und Jura Soyfer, David Fincher und Franz Molnár, und die Coen-Brüder machten mit Johann Nestroy Bekanntschaft. In der aktuellen Produktion Jeder.Now injiziert das Ensemble Ideen und Verse aus Hugo von Hofmannsthals Jedermann in die Episode aus dem Antikriegsfilm Apocalypse Now von Francis Ford Coppola.

Zur Erinnerung: Apocalypse Now (1979) basiert u. a. auf Joseph Conrads Erzählung Herz der Finsternis und schildert im militärischen Auftrag an Captain Benjamin Willard, der den abtrünnigen, angeblich wahnsinnig gewordenen Colonel Walter Kurtz im kambodschanischen Dschungel töten soll, die Absurdität des Krieges. Kurtz herrscht in seinem Versteck angeblich wie ein König außer Rand und Band.

Stattliche Armee

Im Off-Theater in der Wiener Kirchengasse liegen die dafür notwendigen Utensilien weit verstreut: Polyester-Tigerfelle, Stofftiergeparden, Rettungsreifen und ein Schlauchboot, in dem Willard (Weigel) seine an Camouflage-Teilen erkennbare, allen Ernstes in Wien zusammengefangene Mann- und Frauschaft bei Laune hält (Bühne und Kostüme: Pia Stross). Über eine in der Bühnenmitte von unendlichen Social-Media-Einträgen geflutete und offensichtlich nicht Intelligenz fördernde Bahn rudern sie flussaufwärts auf das Ungewisse zu, eine Leinwand, von der der ominöse Kurtz (Hubsi Kramar) zwischendurch schon einmal gespensterhaft winkt. Doch es dauert noch.

Die Soldatinnen und Soldaten im Boot wirken verhaltensauffällig, jeder trägt seine Probleme sichtbar am Leib. Hingegen heißt es in verheißungsvollem Hofmannsthal-Tonfall: "Unsere Armee hat ein gut Ansehen, das ist wahr, steht stattlich da, ist vornehm und reich! Kommt auf der Welt keiner anderen gleich!"

Das ist durchaus zum Lachen, vor allem dank der Individualisten-Schauspieler: Kristina Bangert, Yvonne Brandstetter, Sophie Resch, Kajetan Dick, Gerald Walsberg. Mit Wiener Slang wird nicht hinterm Berg gehalten, Weigel als Willard mit Pilotenbrille kommandiert seine Leute mit nasalem "Soldatna!". Die turnübungshafte Choreografie ergibt aber keinen rechten Sinn.

Mission unmöglich

Man wird auf seitlichen Sitzreihen (es gibt sogar Bänke zum Fläzen) Zeugin einer himmelschreienden Mission (den Dschungel zum Safe Space zu machen), die in gebührlichen Abständen menschliche Verluste hinnehmen muss. Das berühmte Salzburger Domplatzgeläute ereilt die Ruderer im Lianendickicht ebenso. Auch den Kurtz holt der Tod noch ab, in einer dramatischen Sterbensszene Hubsi Kramars. Er legt die Rolle gar nicht verulkt an, mit erschütterndem Ernst geht er im weißen Anzug vor die Hunde der verdummten westlichen Welt. (Margarete Affenzeller, 12.11.2022)