Am Samstag wurde bei der Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh demonstriert. Erlaubt ist dies nur an bestimmten Orten.

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Es ist Halbzeit bei der Klimakonferenz (COP) in Sharm el-Sheikh. Nachdem in der ersten Woche zahlreiche Staats- und Regierungschefs mit teils drastischen Worten vor den Auswirkungen der Klimakrise gewarnt haben, geht es in der zweiten Woche in die technische Ebene, etwa um Details des Pariser Klimaabkommens zu spezifizieren. Außerdem startet die Arbeit an einem Abschlussdokument – möglichweise zu neuen Zusagen in Sachen Klimafinanzierung und Ausstieg aus den fossilen Energien.

Teilnehmende, die sich am sitzungsfreien Sonntag eine Auszeit nehmen wollen, finden auf der offiziellen Website des Klimagipfels Vorschläge zum Zeitvertreib. Zum Beispiel einen Tagestrip per Flugzeug in die ägyptische Hauptstadt Kairo, morgens hin – abends zurück. Die Maschine von Egypt Air, der offiziellen Partnerfluglinie des Klimagipfels, braucht für die 380 Kilometer weniger als eine Stunde, bewirbt das COP-Gastgeberland.

Das ist nur eine der vielen Stellen, an denen der Klimagipfel Angriffsfläche für alle bietet, die in der gesamten Klimadiplomatie Heuchelei sehen. Der Badeort auf der Sinai-Halbinsel ist praktisch ausschließlich auf dem Luftweg zu erreichen. Selbst Klimaaktivisten, wie die deutsche Luisa Neubauer, stiegen widerwillig ins Flugzeug – allerdings erst in Istanbul. Die Gruppe war bis dorthin auf dem Landweg gereist.

Abhängig von fossiler Energie

Die Zeltstadt, die Ägypten für die zweiwöchige Konferenz hochgezogen hat, wird von hunderten Klimaanlagen, jede einzelne so groß wie ein Kleinwagen, heruntergekühlt. Alles Solarstrom, versichert allerdings ein Schild am Eingang.

So soll in Zukunft mehr Energie in Ägypten erzeugt werden. Derzeit deckt Ägypten noch 90 Prozent seines Energieverbrauchs aus fossilen Quellen – und der Energiebedarf des Schwellenlands steigt stetig an. Vor diesem Hintergrund kündigte US-Präsident Joe Biden am Freitag an, zusammen mit der EU und Deutschland 500 Millionen Dollar für die Energiewende in Ägypten bereitzustellen. Bis 2030 sollen damit Solar- und Windkraftanlagen mit einer Leistung von zehn Gigawatt gebaut werden, im Gegenzug Gaskraftwerke mit fünf Gigawatt vom Netz gehen.

Sharm el-Sheikh ist praktisch ausschließlich per Flugzeug zu erreichen.
Foto: EPA/Sedat Suna

Ägypten setzt auf Gas

Trotzdem bewertet die NGO Climate Action Tracker (CAT) Ägyptens Klimaschutzpolitik als "höchst unzureichend", der zweitschlechtesten Kategorie der fünfstufigen Bewertungsskala. Zwar hat das Land einige Pläne zum Bau von Kohlekraftwerken zurückgenommen, doch der zweitgrößte Gasförderer und drittgrößte Gasverbraucher Afrikas setzt auch weiterhin auf den fossilen Brennstoff als "Brückentechnologie". CAT warnt vor einem "Lock-in-Effekt", also der Gefahr, dass die Brücke, einmal gebaut, dann doch nicht so schnell wieder abgebrochen wird.

Ägypten als Austragungsort des Klimagipfels mag vielen skurril erscheinen. Doch die Konferenzen finden eben nicht dort statt, wo man sich besonders um Klimaschutz bemüht, sondern im Rad zwischen den Kontinenten. Man fühle sich deshalb oft am falschen Ort, scherzen Delegierte in Sharm el-Sheikh in der Schlange vor dem Kaffeestand. Großbritannien, wo die Cop vergangenes Jahr stattfindet, ist nicht gerade als Klimaschutz-Vorreiter bekannt. Auch im polnischen Katowice, mitten in einem der größten Kohleabbaugebiet Europas, fand der Gipfel ach schon einmal statt. Es wird nicht besser: 2023 holen die Vereinigten Emirate die Konferenz zu sich.

Auch die Kritik am Hauptsponsor Coca-Cola reißt nicht ab. 60 Gesundheitsorganisationen haben sich am Samstag in einem offenen Brief an die Vereinten Nationen gewandt. "Coca-Cola ist der größte Plastikverschmutzer der Welt, dessen Produkte in Verbindung gebracht werden mit Fettleibigkeit, schlechter Zahngesundheit und nichtübertragbaren Krankheiten wie Krebs und Diabetes", heißt es dort. Die Organisationen fordern das UN-Klimasekretariat UNFCCC auf, den Einfluss von gesundheits- und umweltschädigenden Unternehmen auf die Klimakonferenzen zu begrenzen.

Eine Demonstrantin in London am Samstag.
Foto: Imago/Vuk Valcic

Viele Lobbyisten

Viel schwerer als Kohlestrom, Coca-Cola und Klimaanlagen wiegt aber der Vorwurf, dass die COP zur in diesem Jahr Lobbying-Veranstaltung wird. 636 Lobbyisten von Kohle-, Öl- und Gasunternehmen sind bei der Cop registriert, um 25 Prozent mehr als im Vorjahr, wie die Umweltorganisation Global Witness errechnete. Damit ist die fossile Lobby stärker auf der Klimakonferenz vertreten als die zehn am meisten vom Klimawandel betroffenen Staaten zusammen.

Einige von ihnen sind sogar Teil der offiziellen Delegationen der Staaten, haben also Zutrittsrechte zu Räumlichkeiten, die Medien oder NGOs versperrt bleiben. So ist etwa der CEO des Ölkonzerns BP, Bernard Looney, als Teil der mauretanischen Delegation nach Sharm el-Sheikh gereist.

Einfluss auf Ergebnisse

Wael Aboulmagd, Ägyptens Sonderbeauftragter für die COP 27, verteidigte die Anwesenheit der fossilen Lobbyisten. "Sie müssen Teil des Gesprächs sein, aber in einem Rechenschaftsmodus, nicht in einem Schaut-wie-toll-wir-sind-Modus", sagte Aboulmagd am Samstag. Er versicherte, dass die Vertreter der fossilen Industrien keinen Einfluss auf das Ergebnis der Konferenz haben würden.

Riesige Klimaanlagen halten die Konferenzgebäude der Klimakonferenz kühl.
Foto: Philip Pramer

Dass fossile Energiekonzerne Einfluss auf die internationale Klimapolitik nehmen, geben diese aber sogar selbst zu. So prahlte etwa 2018 ein Shell-Manager damit, dass der Artikel sechs des Pariser Klimaschutzabkommens aufgrund der Interventionen seines Unternehmens existiere. Der Passus regelt den Emissionshandel, wodurch sich Staaten die Klimaschutzbemühungen – in der Regel für Geld – untereinander anrechnen lassen können. Wie das System genau funktionieren soll, wird auch in Sharm el-Sheikh diskutiert.

Ein ähnliches System gab es bereits im Kyoto-Protokoll. Damals konnten auch Einsparungen aus Verbesserungen von Kohlekraftwerken oder Ölfeldern als Klimaschutzmaßnahme angerechnet und gehandelt werden.

Für die Kohle-, Öl- und Gaskonzerne gibt es auf der Klimakonferenz viel zu verlieren. Die EU drängt bereits darauf, ein "Phase-out", also einer Abkehr, von fossilen Brennstoffen in der Abschlusserklärung verankern zu wollen. Solch ein Bekenntnis gab es auch in einer Vorabversion des "Glasgow Climate Pact" – bis die Formulierung in letzter Minute auf "Phase-down", also stufenweise Verringerung, geändert wurde. (Philip Pramer aus Sharm el-Sheikh, 13.11.2022)