Flavien Prat braucht ein neues Siegerpferd. Flightline galoppiert in die Zucht.

Foto: AP/Benoit Photo

Flightline ist nicht nur in Keeneland bei Lexington, Kentucky, der selbsternannten Pferde-Hauptstadt der Welt, derzeit das bekannteste Ross. Der vierjährige braune Hengst mit der kleinen Blesse an der Stirn war zwar nur sechsmal in Galopprennen am Start, er gewann aber immer und mit mindestens sechs Längen Vorsprung. Zuletzt vor gut einer Woche im Breeders’ Cup Classic, dem wichtigsten Rennen für dreijährige und ältere Pferde in den USA. Unter seinem Jockey Flavien Prat hängte Flightline seine Gegner um mehr als acht Längen ab.

In der Weltrangliste der internationalen Handikapper – die Pferde haben je nach Stärke neben dem Jockey noch ein zusätzliches Gewicht zu tragen, um die Rennen nicht zu einseitig werden zu lassen – wird Flightline nun mit 139 Punkten eingestuft. Damit liegt er nur einen Punkt unter dem Rekordwert 140 des Ausnahmegaloppers Frankel, der alle seine 14 Rennen gewann und zwischen 2010 und 2012 zehn Siege der höchsten Kategorie feierte.

Ab in die Zucht

Der Triumph im Breeders’ Cup Classic brachte dem Besitzerkonsortium, das Flightline 2019 um eine Million Dollar ersteigert hatte, 3,125 Millionen ein – doch das war erst der Anfang. Denn nun soll eine neue Karriere für den Wunderbaren starten: als Deckhengst. Zwei Tage nach seinem letzten Rennen wurden bei einer speziellen Versteigerung 2,5 Prozent der Anteile an Flightline um 4,6 Millionen Dollar verkauft.

Bei insgesamt 40 Anteilen entspricht das einer Bewertung des Hengstes von 184 Millionen Dollar. Das kommt nicht an den ebenfalls errechneten Rekord von Galileo, einem irischen Vollblut, heran, der zu seinen besten Zeiten allerdings wenig seriös auf 170 Millionen bis 210 Millionen Euro geschätzt wurde. Im Sommer des Vorjahres verschied Galileo mit 23 Jahren.

Goldene Sprünge

Die Rechtfertigung für Flightlines enorme Bewertung kam zwei Tage nach seinem letzten Sieg. Die Decktaxe für den Hengst an seinem künftigen Standort Lane’s End Farm in Versailles, Kentucky, wird 200.000 Dollar betragen. Das ist allerdings nicht die höchste Taxe in der Geschichte. Flightlines Vater Tapit brachte seinen Besitzern schon 2015 angeblich 300.000 Dollar pro Sprung ein. Für den Hengst Dubawi in England werden 2023 350.000 Pfund pro Sprung verlangt. Der immer noch virile 20-Jährige ist schon Vater etlicher ausgezeichneter Rennpferde. Europas bester Galopper des heurigen Jahres, Baaeed, beginnt 2023 seine Zuchtkarriere mit einer Decktaxe von nur 80.000 Pfund.

Jeder Anteilseigner kann jährlich gratis eine Stute zu seinem Hengst schicken. Die Deckfähigkeit eines Rosses kann pro Jahr für 200 und mehr Beisammensein genutzt werden. Womit für Flightlines Besitzer rund 40 Millionen Dollar pro Jahr anfallen könnten.

Keine künstliche Besamung

Allerdings ist in der Zucht vollblütiger Rennpferde keine künstliche Besamung erlaubt. Nur sogenannte Natursprünge sind zugelassen. Sie erfolgen üblicherweise im ersten Halbjahr, also von Jänner bis Juni. Die Trächtigkeit der Stuten dauert etwa elf Monate. Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht jeder Sprung ein Fohlen hervorbringt, weshalb Sprünge üblicherweise mit einer Basisabgeltung und einer Erfolgsprämie bewertet werden.

"Flightline ist ein ganz besonders Exemplar seiner Gattung", versicherte Trainer John Sadler in einem seiner sehr seltenen Interviews dem deutschen Magazin Vollblut. Er sei "ein Kämpfer immer und überall. Wahrscheinlich gewinnt er immer, weil er viel zu aggressiv ist, einen anderen gewinnen zu lassen. Abgesehen davon, dass er natürlich ein wahres Musterexemplar eines kräftigen und absolut gesunden Rennpferdes ist."

Die Glückliche

Nun wird es also darauf ankommen, ob er seine Fähigkeiten auch an seine Nachkommen weitergeben kann, was sich frühestens 2026 wirklich zeigen wird. Züchterin Jane Lyon hat für ihr Gestüt jedenfalls bereits eine ausgezeichnete Stute auf der Auktion in Keeneland um eine Million Dollar zugekauft. "Wir haben versucht, Stuten zu finden, von denen wir dachten, dass sie physisch und abstammungsmäßig zu ihm passen würden." Gefragt werden die Rösser nicht. (Nik Dolenz, Sigi Lützow, 14.11.2022)