Großbritanniens Premier Rishi Sunak war auf dem Weg nach Bali ein gefragter Gesprächspartner – auch im Flugzeug.

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Paris/London – Angesichts von mehr als 40.000 Migranten, die seit Jahresbeginn den Ärmelkanal überquert haben, wollen Frankreich und Großbritannien die Grenzkontrollen erneut erheblich verschärfen. Bis zu 100 zusätzliche Sicherheitskräfte, Hubschrauber, Drohnen und Spürhunde sollen eingesetzt werden, um Migranten von der Überfahrt über den Ärmelkanal abzuhalten. Nach einem am Montag unterzeichneten Abkommen will Großbritannien Frankreich dafür etwa 72 Millionen Euro zahlen.

Erstmals sollen Beobachter auf beiden Seiten des Ärmelkanals eingesetzt werden, um Migranten zu befragen und Schleppernetze besser zu bekämpfen. Das Abkommen enthält jedoch kein beziffertes Ziel, wie viele Boote die Sicherheitskräfte aufhalten sollten – wie britische Medien zuvor vermutet hatten.

Neuer Höchststand

Nach Angaben des britischen Innenministeriums haben seit Beginn des Jahres bereits mehr als 40.000 Migranten von Frankreich aus England erreicht. Dies ist ein neuer Höchststand. Im vergangenen Jahr waren es etwa 28.500 gewesen. Allein am vergangenen Wochenende haben nach Angaben der zuständigen Präfektur in Frankreich etwa 1200 Menschen die gefährliche Überfahrt versucht.

Das Abkommen unterzeichneten der französische Innenminister Gérald Darmanin und seine britische Kollegin Suella Braverman gemeinsam in Paris. Beide stehen in ihren Ländern unter Druck, nicht genug zu tun, um die Überfahrten von Migranten von Frankreich nach England zu verhindern.

Großbritannien will nach dem Abkommen auch zusätzliche Plätze in Migranten-Unterkünften in Südfrankreich finanzieren. Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommen, sollen dort von der Weiterreise nach Calais abgehalten werden, indem ihnen "sichere Alternativen" angeboten werden.

Amnesty: Nutzloses Abkommen

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte das Abkommen als nutzlos. "Es ist wie frühere Abkommen: Mehr Geld und Mittel, um Menschen davon abzuhalten, den Ärmelkanal zu überqueren, ohne sich darum zu kümmern, dass sie sicheren Zugang zu einem Asylsystem brauchen", sagte Steve Valdez-Symonds, Direktor für Flüchtlingsrechte bei der Organisation. "Die unausweichliche Folge davon sind noch gefährlichere Überfahrten und noch mehr Profit für skrupellose Schlepper", betonte er.

Der britische Premierminister Rishi Sunak warnte davor, zu viel vom neuen Abkommen zu erwarten. Zwar werde die Vereinbarung ihre Wirkung zeigen, sagte Sunak von Journalisten während des G20-Gipfels auf Bali. "Ich will aber auch ehrlich zu den Menschen sein, dass es keine magische Lösung gibt. Das schaffen wir nicht über Nacht", sagte er.

Sunak selbst Enkel indischer Einwanderer, vertritt bei der Einwanderungspolitik eine harte Linie. Er unterstützt das Vorhaben, Migranten in das ostafrikanische Land Ruanda abzuschieben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte einen ersten geplanten Flug jedoch kurzfristig gestrichen. Seitdem prüft die Justiz, ob der Plan legal ist. Die französische Regierung will ihrerseits Anfang 2023 ein neues Migrationsgesetz vorstellen, das Abschiebungen erleichtern soll.

Immer wieder Diskussionen

Großbritannien und Frankreich streiten seit Jahrzehnten über den Umgang mit den Migranten, die den Ärmelkanal überqueren. Nach heftigen Konflikten während der Amtszeit des britischen Premierministers Boris Johnson wollen beide Länder sich seit dem jüngsten Regierungswechsel in London bei dem Thema wieder annähern.

Viele Migranten wollen nach England weiter, weil sie die Sprache können oder dort bereits Verwandte und Freunde haben. Viele sind überzeugt, dass es dort einfacher ist, ohne eine Aufenthaltsgenehmigung Arbeit zu finden. Dabei kommt es immer wieder zu schlimmen Unfällen. Am 24. November jährt sich das bisher schlimmste Unglück, bei dem 27 Migranten im Ärmelkanal ertranken.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind seit 2014 mehr als 200 Menschen gestorben oder als vermisst gemeldet bei dem Versuch, die Grenze nach Großbritannien durch den Tunnel oder per Boot zu überqueren. (APA, Reuters, red, 14.11.2022)

Dieser Artikel wurde um 16:36 Uhr aktualisiert.