11.643 Personen machten vergangenen Sommer den Medizin-Aufnahmetest, der medizinisches Basiswissen abfragt, aber auch Merkfähigkeit, Textverständnis sowie soziale Kompetenzen.

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Für 11.643 Menschen hatte der Aufnahmetest zum Medizinstudium im heurigen Juli eine enorme Bedeutung für ihre Zukunft. 1.850 Plätze waren zu vergeben. Das Testprozedere wird in Österreich derzeit so heiß diskutiert, dass der Eindruck entstehen könnte, die Zukunft des gesamten österreichischen Gesundheitssystems hängt davon ab. Genaugenommen ist es die Frage, wie sehr das Überprüfen sozialer Kompetenzen darin ihren Niederschlag finden sollte.

Dass das Thema in letzter Zeit von der Politik so breit diskutiert wurde, hat diejenigen, die für die Evaluierung und Verbesserung der Aufnahmetests verantwortlich sind, überrascht und verwundert, wie die Rektoren der Medizin-Unis Wien und Innsbruck, Markus Müller und Wolfgang Fleischhacker, sowie die Vizerektorin der Med-Uni in Graz, Sabine Vogl, am Montag bei einem Hintergrundgespräch an der Wiener Med-Uni ausführten. Reinhold Kerbl, Primar für Kinder- und Jugendheilkunde in Leoben, hatte vorgeschlagen, anstelle des Medizin-Aufnahmetests ein einjähriges Pflegepraktikum in einem Spital vorzuschreiben – was offenbar auch als Maßnahme gegen den Pflegemangel gedacht wäre. Die Ärztekammer hatte gleich abgewunken, doch einzelne Ländervertreter nahmen den Ball auf und machten ergänzend Vorschläge dazu.

"Verzerrter Fokus"

"Dieser intensive Fokus auf den Test ist meiner Wahrnehmung nach verzerrt", sagte Med-Uni-Wien-Rektor Müller am Montag. "Damit spricht man den jungen Ärztinnen und Ärzten von jetzt indirekt auch soziale Kompetenzen ab", kritisierte Fleischhacker die Debatte und führte außerdem ins Treffen, dass man ja im Studium dann diese Kompetenzen durch das Lehrangebot noch weiterentwickle.

Vogl von der Med-Uni Graz führte aus, dass derzeit rund ein Drittel der Medizin-Studierenden aus niederen sozialen Schichten komme, etwa ein Drittel aus mittleren sozialen Schichten und ein Drittel aus Haushalten, in denen auch die Eltern schon Akademikerinnen und Akademiker sind. Diese Verteilung müsse weiter bestehen, und das sei auch mit ein Grund, warum ein Nachweis einer freiwilligen sozialen Tätigkeit als Teil der Studienzulassungsprozederes – wie zum Teil von Ländervertretern vorgeschlagen – nicht sozial fair wäre. Denn es sei nicht jedem möglich, unentgeltliche Arbeit zu leisten. So eine Praxis würde zudem zu einer Pseudofreiwilligkeit führen, und die Unis könnten schwerlich alle Nachweise für Praktika in unterschiedlichen Organisationen überprüfen.

Empathiefähigkeit ergründen

Die Unis haben neue Prüfungsinhalte ausgearbeitet, die soziale Kompetenz stärker abfragen sollen, wie Vogl weiter ausführte. Die Aufnahmetests gliedern sich aktuell in die Blöcke Basiskenntnis (Kenntnisse in Chemie, Physik, Mathematik und Biologie werden abgefragt), Textverständnis, Merkfähigkeiten und sozial-emotionale Kompetenzen. Die Fragen zu sozialen Kompetenzen sind seit 2017 Teil des Aufnahmeverfahrens und werden derzeit überarbeitet und erweitert. Die verschiedenen Blöcke halten sich laut Vogl in ihrer Gewichtung die Waage, das soll aus Sicht der Uni-Verteter auch so bleiben.

Die Fähigkeit, Emotionen zu erkennen, soll aber noch intensiver abgefragt werden, indem die Zahl der Items, die Emotionen darstellen, verdoppelt wird. Weiters gebe es ein im deutschsprachigen Raum neues psychometrisches Testprozedere, in dem es um das Abtesten der Empathiefähigkeit geht. Dabei soll abgefragt werden, wie etwas einzuschätzen ist, welche Reaktion des Gegenübers zu erwarten ist. Jeder Antwortteil sei evidenzbasiert hinterlegt Nun sei man noch in Feinabstimmung mit dem Ministerium, sagte Vogl.

Das Land verliert Mediziner

Den starken Fokus der Politik auf das Aufnahmeprozedere zum Medizinstudium erklärt der Innsbrucker Med-Uni-Rektor Fleischhacker damit, dass hier versucht werde, den Med-Unis Verantwortung für gesundheitspolitische Probleme zuzuschieben. Dabei müsse es vielmehr um Fragen gehen, warum in Österreich Mediziner netto verlorengehen, führte Müller aus – also warum hier ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner ins Ausland gehen und welche Bedingungen es bräuchte, damit Medizinerinnen und Mediziner in Österreich ihre berufliche Zukunft sehen.

Ein Problem sei zum Beispiel, dass nach dem Abschluss des Studiums oft lange auf das Freiwerden einer Ausbildungsstelle gewartet werden müsse. Die Vernetzung von potenziellen Arbeitgeberinnen/Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmern müsse besser und im Idealfall auch früher klappen, führte Fleischhacker aus. Denn: Wer abwandere, komme in der Regel dann auch nicht mehr zurück. (Gudrun Springer, 14.11.2022)