Nusa Dua – Die großen Wirtschaftsmächte haben sich bei dem G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali auf einen Entwurf für die Abschlusserklärung geeinigt. In dem Papier verurteilen die "meisten Mitglieder" den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste. In dem Text werden auch die negativen Auswirkungen des Krieges auf die Weltwirtschaft hervorgehoben. Russland gerät damit knapp neun Monate nach Beginn seines Kriegs gegen die Ukraine auch in der G20-Runde führender Wirtschaftsmächte unter Druck.

Der Krieg verursache "unermessliches menschliches Leid und verschärft die bestehenden Schwachstellen in der Weltwirtschaft", heißt es in dem Entwurf. Zudem wird darin ein "vollständiger und bedingungsloser Rückzug aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine" gefordert. Der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen wird als "unzulässig" bezeichnet. Das Dokument enthält außerdem die Forderung, das Abkommen zum Export von Getreide aus der Ukraine zu verlängern. Die Vereinbarung läuft am Samstag aus.

Unklar, ob Russland Erklärung zustimmt

Die finale Gipfelerklärung soll zum Abschluss des Treffens am Mittwoch veröffentlicht werden. Der Entwurf dafür hält fest, dass es "abweichende Ansichten" gab und dass der G20-Gipfel kein Forum sei, "um Sicherheitsfragen zu lösen", diese könnten jedoch "erhebliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft" haben.

Ob der Erklärungstext in dieser Form beschlossen werden kann, ist nach Angaben von EU-Diplomaten wegen des Widerstandes von Russland noch unsicher. Moskau lehnt es bisher ab, die Invasion in der Ukraine als Krieg zu bezeichnen, und spricht von einem "militärischen Spezialeinsatz". Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) konnten sich die EU und die westlichen Staaten allerdings in der Nacht auf Dienstag gegen den anfänglichen Widerstand Moskaus durchsetzen. Ein Diplomat erklärte gegenüber der dpa, dass Russland bereit sei, eine solche Passage zu akzeptieren.

Entwurf enthält "beide Sichtweisen"

Konkret wird im Entwurf der Abschlusserklärung aus einer Resolution der Vereinten Nationen zitiert, der 141 der 193 Uno-Mitglieder zugestimmt hatten. Damit wird Russland aufgefordert, die Kriegshandlungen einzustellen und seine Truppen sofort aus der Ukraine abzuziehen. Auf Russlands Position wird vor allem mit dem Satz eingegangen: "Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Lage." Russland akzeptiert demnach auch, dass der russische Angriff als Krieg bezeichnet wird und nicht – wie von Putin vorgegeben – als "militärische Spezialoperation".

Lawrow bestätigte, dass die Arbeit praktisch abgeschlossen sei. Der Entwurf enthalte nun sowohl die westliche als auch die russische Sichtweise auf den Krieg in der Ukraine. Russland stimmt auch zu, dass in der Abschlusserklärung nicht nur der Einsatz von Atomwaffen, sondern auch die Drohung damit als unzulässig bezeichnet wird.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz stellte sich am Dienstag deutlich hinter den Erklärungsentwurf. Er forderte Russland auf, den Krieg in der Ukraine sofort zu beenden. Scholz appellierte an die G20-Partner, an dem Entwurf der Abschlusserklärung festzuhalten. Käufer und Produzenten von Flüssiggas müssten enger zusammenarbeiten und darauf hinwirken, die Preise für LNG zu senken. Die Ölproduzenten der Opec+-Staaten sollten Preisanstiege verhindern, forderte der deutsche Bundeskanzler.

Macron fordert von China mehr Druck auf Russland

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat den chinesischen Staatschef Xi Jinping dazu aufgefordert, Russland wegen des Krieges in der Ukraine an den Verhandlungstisch zu bringen. Macron habe bei einem Treffen kurz vor Eröffnung des Gipfels an Xi appelliert, damit dieser dem russischen Präsidenten Wladimir Putin Botschaften überbringe, "um eine Eskalation zu vermeiden und ernsthaft an den Verhandlungstisch zurückzukehren", gab der Élysée-Palast am Dienstag bekannt.

Xi habe laut französischen Angaben seinerseits "die europäischen Bemühungen um Vermittlung" unterstützt und "sehr entschieden" seine "Ablehnung des Einsatzes von Atomwaffen" bekräftigt, hieß es weiter. Ebenso habe er seine Unterstützung für "die Deeskalation, den Waffenstillstand" wiederholt. Nach Angaben der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua erwähnte Xi den Konflikt nicht direkt, sondern erklärte demnach, die Welt befinde sich in einer "Zeit der Turbulenzen und des Wandels", und rief zu "Offenheit und Zusammenarbeit" auf.

Als wichtige Kräfte in einer turbulenten Welt sollten Frankreich und die Europäische Union zusammen mit China "den Geist der Unabhängigkeit und Autonomie wahren", sagte der chinesische Staatschef. Hinter dem Hinweis verbirgt sich nach Angaben von Diplomaten der chinesische Wunsch, dass die Europäer weniger den USA folgen.

Rede von Lawrow

Auch zu einem Treffen von Russlands Außenminister Sergej Lawrow und Uno-Generalsekretär António Guterres kam es am Rande des G20-Gipfels. Details zu Inhalten des Gesprächs sind nicht bekannt. Lawrow kam ebenfalls mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi zusammen. Russland und China pflegten eine "allumfassende Partnerschaft und eine strategische Zusammenarbeit", sagte Lawrow der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge in Nusa Dua.

Der russische Außenminister nahm zwar nicht am offiziellen Mittagessen der Staats- und Regierungschefs teil, hielt dann aber bei der zweiten Arbeitssitzung des Gipfels eine Rede. Lawrow hat den G20-Gipfel am Dienstag noch vor Ende des Treffens und der offiziellen Annahme der Abschlusserklärung verlassen.

Energie, Schulden und Ernährung

Des Weiteren zeigen sich die G20-Staaten beunruhigt wegen des hohen Schuldenstands vieler Entwicklungs- und Schwellenländer. Ohne dass China namentlich erwähnt wird, hält das Dokument fest, es sei wichtig, dass alle offiziellen und privaten bilateralen Gläubiger zusammenarbeiten sollten. Zudem wird mehr Transparenz gefordert, die für private und staatliche Gläubiger gelten soll. Hintergrund sind Sorgen, dass China über die Regierung, Provinzen und Privatfirmen riesige Kreditsummen an mittlerweile hochverschuldete Entwicklungsländer vergeben, aber selbst keinen Überblick über das Volumen mehr hat.

Keine großen Erfolge konnte der Westen in Fragen der Energiesicherheit erzielen, die vor allem in Europa durch die drastisch gesunkenen Lieferungen von Öl und Gas aus Russland gefährdet ist. In dem Entwurf für die Abschlusserklärung betonen die G20-Mitglieder lediglich, dass dringend etwas getan werden müsse, um mehr Stabilität auf dem Energiemarkt zu schaffen und eine saubere und nachhaltige Energiewende zu gestalten.

"Tief besorgt" gibt man sich angesichts der globalen Ernährungskrise. Die G20 sagt zwar diesbezügliche stabilisierende Aktionen zu. Für Entwicklungsorganisationen ist dies aber nicht genug. Sie zeigten sich enttäuscht über ausbleibende Zusagen der großen Wirtschaftsnationen im Kampf gegen den Hunger. Bemängelt wurde vor allem, dass keine neuen Hilfsgelder zugesagt worden seien.

Wirtschaftslage nach Pandemie im Fokus

Die Staats- und Regierungschefs der Gruppe repräsentieren bei ihrem Jahrestreffen zwar "nur" zwei Drittel der Weltbevölkerung, aber immerhin gleichzeitig vier Fünftel der weltweiten Wirtschaftskraft und drei Viertel des Welthandels. Entsprechend weitreichend sind die Beschlüsse dieser Gruppe, die zwar nicht völkerrechtlich bindend sind, aber dennoch eine starke politische Signalwirkung haben.

Alljährlich treffen die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Wirtschaftsnationen zusammen, heuer auf Bali.
Foto: IMAGO/SNA/Pavel Bednyakov

Die offizielle Tagesordnung steht heuer unter dem Motto "Recover Together, Recover Stronger" (Gemeinsam erholen, stärker erholen) – damit wird klar, dass Bezüge zur globalen politischen und wirtschaftlichen Lage erörtert werden sollen, nach der Covid-Pandemie und inmitten der globalen Wirtschafts- und Energiekrise, die auch durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ausgelöst wurde. Die Agenda dreht sich nach offizieller Lesart um die Themenkreise "globale Ernährungssicherung", "nachhaltige Energiewende", "globale Gesundheitsarchitektur" und "digitale Transformation". Den Vorsitz führt heuer Indonesien, nächstes Jahr wird Indien der Gastgeber sein.

Das Wichtige abseits der offiziellen Agenda

Doch wie bei jeder hochrangigen Zusammenkunft internationaler Staatsmänner und Staatsfrauen gibt es auch eine Reihe an anderen Themen, die die Schlagzeilen bestimmen können und bestimmen werden. Das Treffen der Präsidenten von China und der USA, Xi Jinping und Joe Biden, am Montag galt als wichtiger geopolitischer Gradmesser, sind die Beziehungen zwischen den beiden Nationen doch schon länger an einem Tiefpunkt.

Russlands Präsident Wladimir Putin sagte seine Teilnahme vor wenigen Tagen ab – für nicht wenige politische Beobachter war das ein Ausdruck der aktuellen politischen Schwäche des Kreml. (Gianluca Wallisch, APA, 15.11.2022)