Zwei glückliche Zufälle haben zur Rettung der Medienfreiheit in Österreich beigetragen: das Ibiza-Video und das Mobiltelefon von Thomas Schmid, dem Kurz-Vertrauten mit 330.000 Chat-Protokollen. Dass aber sie eine solche politische und mediale Breitenwirkung haben, ist nicht nur der Justiz, sondern auch den unabhängigen Zeitungen und dem ORF zu verdanken.

Ein Bonmot Helmut Qualtingers lautet: "Österreich ist ein Labyrinth, in dem jeder sich auskennt." Das gilt erst recht für die Beziehungen zwischen Journalisten und Politikern auf dem Wiener Parkett. In diesem Zusammenhang wird oft das "Du"-Wort thematisiert. Mein bester und allzu früh verstorbener Freund Kurt Vorhofer (1929–1995) war Mitglied der katholischen CV-Verbindung Norica und auf Du und Du mit der politischen Elite der ÖVP. Trotzdem schrieb er einfühlsame Artikelserien in der Kleinen Zeitung über Bruno Kreisky und kritische Aufsätze über manche CV-Brüder. Er war nach meiner Meinung der bedeutendste innenpolitische Journalist der Zweiten Republik. Sein Schicksal war zutiefst österreichisch: Er starb gebrochenen Herzens, nachdem er (35 Jahre Leiter der Wiener Redaktion) als Pensionist nicht einmal als freier Mitarbeiter für sein Blatt schreiben konnte. Ein Jahr später wurde von dem gleichen Verlag ein nach ihm benannter Preis – jährlich von einer Jury verliehen – für "kritische Haltung gegenüber den Machthabern aller Art" gegründet.

Ironie

Dass jetzt ausgerechnet ein Kurt-Vorhofer-Preisträger (seit 2013) als Chefredakteur einer renommierten Zeitung wegen Fehlern in der "Haltung gegenüber den Machthabern" wie gleichzeitig auch ein ORF-Chefredakteur von den enttäuschten und verärgerten Mitarbeitern praktisch zum Rücktritt gezwungen wurde, ist wohl eine Ironie der Geschichte. Es dürfte freilich Verleger und Journalisten geben, die dem Vernehmen nach viel enger mit Ex-Kanzler Kurz und seiner für "Message-Control" zuständigen Mannschaft verbunden waren. Chats vom Mobiltelefon des einstigen FPÖ-Vizekanzlers Strache mit dem vom "liberalen Opfer" Haiders zu seinem Handlanger gewandelten Vorsitzenden des ORF-Stiftungsrates (2018–2022), Norbert Steger, über ihre geplante ORF-Flurbereinigung zeigen, was die von der FPÖ erträumten "Orbánisierung" der Medien bedeutet hätte.

Man darf freilich auch die maßlose Arroganz der Medienpolitik der SPÖ an der Macht nicht vergessen. Ich spürte die Nachwehen dieser Abneigung gegen unabhängige Ruhestörer als mich wegen einer STANDARD-Kolumne im Sommer zwei ehemalige SPÖ-Kanzler telefonisch kritisiert haben. Einer von ihnen warf mir sogar in einem langen SMS (nachdem er den Text "noch einmal" gelesen hatte) vor, ein "zweitrangiges Intrigantenstück" aus "Liebesdienst" gegenüber einem Vorgänger verfasst zu haben! Übrigens, die erste solche Beschimpfung in einem langen Journalistenleben.

Nur institutionelle Garantien gegen politische Bevormundung des ORF, die Trennung der Chefredaktion von der Geschäftsführung bei allen Medien und moralisches Rückgrat nicht nur der Journalisten, sondern erst recht der Eigentümer beziehungsweise Direktoren können der Medienkorruption ein Ende setzen und die wirkliche Unabhängigkeit des Journalismus sichern. (Paul Lendvai, 14.11.2022)