Auf der Alm besteht keine große Notwendigkeit, Kühe mit Zusatzfutter zu versorgen. Wenn im Stall Industriehanf als Beifutter verwendet wird, kann das zu Verhaltensänderungen führen.

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Die Liberalisierung der Cannabisvorschriften haben in einigen Ländern zu einem Zunahme des Hanfanbaus geführt. Dieser Nutzhanf wird für unterschiedliche Zwecke verwendet: zur Hanfsaatproduktion, zur Faserherstellung – und zum Gewinn von einschlägigen Wirkstoffen: Hanf enthält bekanntlich Cannabinoide, eine Klasse von Stoffen, die sowohl psychoaktive Substanzen wie Δ9-Tetrahydrocannabinol (Δ9-THC) als auch rein pharmakologisch wirksame Substanzen wie Cannabidiol (CBD) enthält.

Der Rest oder der gesamte Hanf kann theoretisch auch als Tierfutter verwendet werden. Auf diese Weise ist es denkbar und möglich, dass auch Cannabinoide in Lebensmittel tierischen Ursprungs übergehen. Bis jetzt gibt es allerdings nur wenige Studien, die diese Vermutung überprüften, die bereits über zehn Jahre alt ist. Die jüngste Studie stammt von einem deutschen Team um Bettina Wagner (Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin) und erschien am Montag im Fachblatt "Nature Foods".

Verhaltens- und Milchveränderungen

Die beiden Haupterkenntnisse der neuen Untersuchung: Tierfutter, das eine hohe Konzentration von Cannabinoiden aus Nutzhanf enthält, kann bei Milchkühen tatsächlich zu Veränderungen im Verhalten und in der Milchleistung führen. Die Untersuchungen deuten zudem darauf hin, dass je nach dem Cannabinoid-Gehalt der Futtermittel aus Industriehanf psychoaktive Substanzen auch in der Milch vorkommen können.

Konkret testeten die deutschen Fachleute, was passiert, wenn zehn Milchkühen zwei verschiedene Quantitäten und Qualitäten von Hanf als sogenannte Silage – das ist durch Vergären haltbar gemachtes Futter – beigemischt wurde. Im einen Fall erhielten die Kühe bis zu 0,92 kg Industriehanf pro Kuh und Tag mit einer sehr niedrigen Cannabinoid-Konzentration. Dabei zeigten sich keinerlei messbare Auswirkungen auf die Tiere.

Weniger Futter, weniger Milch

Im anderen Fall erhielten die Tiere 0,84 bis 1,68 kg einer Cannabinoid-reichen Sorte von Nutzhanf, die nur aus Blättern, Blüten und Samen hergestellt wurde. Nach Verzehr dieser Kost zeigten die Kühe auffällige Verhaltensänderungen, darunter vermehrtes Gähnen, Speichelfluss und unruhige und unsichere Bewegungen.

Ab dem zweiten Tag der Futterumstellung verringerten die Kühe ihre Futteraufnahme und Milchleistung. Die Fachleute analysierten zudem die von den Tieren produzierte Milch und stellten fest, dass die getestete Milch einen Δ9-THC-Gehalt erreichte, der bei bestimmten Verbrauchergruppen die Referenzdosis überschreiten könnte.

Nur ein theoretisches Problem?

Doch handelt es sich bei den "highen" Kühen auch um ein faktisches und nicht nur im Experiment erzeugtes Problem? Die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) verweist in ihrer Stellungnahme gegenüber dem STANDARD darauf, dass Hanf in Österreich aber eher zur Fasergewinnung oder zur Hanfsaatproduktion angebaut werde und nicht primär als Rohstoff für die Silageproduktion.

Zudem sei es "nach derzeitigen Erkenntnissen und der laufenden Diskussion zwischen den EU-Mitgliedstaaten weitgehend unbestritten ist, dass Hanfblüten und -knospen nicht als Futtermittel verwendet werden dürfen". Geregelt ist das allerdings nur mangelhaft, wie das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung auf Anfrage des STANDARD wissen lässt.

Gibt es Gesetzeslücken?

In Deutschland seien nach dem derzeitigen Kenntnisstand des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) lediglich Hanfsaat und daraus hergestellte Produkte vom Geltungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes ausgenommen und können somit als Futtermittel eingesetzt werden. Und auch der Ages sind konkrete Praxisdaten zum Einsatz von Hanfprodukten, wie etwa Hanfsilage in der Milchviehfütterung (noch) nicht bekannt. (Klaus Taschwer, 15.11.2022)