Im Vergleich dazu, was das iranische Regime seiner Bevölkerung antut – am Wochenende wurde das erste Todesurteil gefällt –, schaut es wie eine recht harmlose Betätigung aus, die noch dazu ein Leitmotiv des Aufstands aufgreift: den Protest gegen islamische Kopfbedeckungen. Junge Leute im Iran laden auf sozialen Medien Videos hoch, die zeigen, wie sie auf der Straße Mullahs die Turbane vom Kopf stoßen. Nonchalant im Vorbeigehen – das wird jetzt schwieriger, denn die Kleriker sind vorsichtiger geworden – oder sich auch von hinten anschleichend. Es gibt Satirevideos, auf denen die Würfe aus sportlicher Sicht analysiert werden.

Schauspielerin Taraneh Aldoosi ohne Kopftuch und mit dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" (auf Kurdisch).
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"Eine Verschwörung der Teufel" nennt es ein Abgeordneter des Parlaments, in dem eine Mehrheit die Todesstrafe für die Protestierenden fordert. In den 1980er-Jahren, dem Jahrzehnt nach der Revolution, stammten etwa die Hälfte der iranischen Parlamentarier aus dem schiitischen Klerus. Dieser Anteil ist signifikant geschrumpft, seit 2012 liegt er stets unter zehn Prozent. Der politisch bisher radikalste Präsident, Mahmud Ahmadinejad, war der erste Laie auf diesem Posten. Aber die Mullahs gehören zum iranischen Straßenbild – und in die Slogans der Protestbewegung.

Mullahs in dicken Autos

Unter dem gleichen Mangel an Respekt, an der Achtung, die nun den Mullahs entgegengebracht wird, leiden die iranischen Frauen seit vier Jahrzehnten, sagen die Turban-Jäger. Es gibt vereinzelt Stimmen, die darauf aufmerksam machen, dass es mit den einfachen Mullahs auf der Straße die falschen treffe: Denn die hohen klerikalen Tiere führen von Leibwächtern begleitet in dicken Autos herum.

Auf einem Video ist ein Mullah zu sehen, der sich über seinen weißen Turban fest ein weißes Kopftuch gebunden hat: Ironie oder Verzweiflung? Und es gibt die Regimeanhänger, die die Turbanträger auf der Straße anhalten und deren geistliche Kopfbedeckung küssen. Das gibt es auch in der Version "Saum des weiblichen Tschadors küssen".

So wie das weibliche Kopftuch zum Symbol für das Zwangssystem der Islamischen Republik geworden ist, so macht jetzt die Protestbewegung das "Islamische" an den Mullahs fest. Aber nicht alle schiitischen Kleriker – nicht im Iran und schon gar nicht außerhalb – sind Anhänger der iranischen Staatsform der "Herrschaft des Rechtsgelehrten" (Velayat-e Faghih), in der ein religiöser Führer das letzte Wort hat.

Die Turbane fallen unfreiwillig.
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Dieses System wurde vom späteren Revolutionsführer Ruhollah Khomeini in den 1970er-Jahren im irakischen Exil entwickelt. Dort stieß er auf wenig Resonanz. Der oberste Geistliche des Irak und einer der einflussreichsten Großayatollahs weltweit, Ali Sistani, der ursprünglich aus dem Iran stammt, gehört zum Beispiel zu jenen, die Khomeini nie gefolgt sind.

In der Hochburg der schiitischen Gelehrsamkeit im Iran, Ghom, sitzen ebenfalls hohe Mullahs, die keine Khomeinisten sind. Andere wie der 2009 verstorbene Hossein Ali Montazeri fielen später von Khomeini ab: wegen der Menschenrechtsverletzungen des Regimes.

Und dann gibt es noch die Gruppe der "Reformer", jener Mullahs, die ahnten, dass ihnen das System eines Tages um die Ohren fliegen würde, wenn sie es nicht öffneten. Der bekannteste ist Expräsident Mohammed Khatami (1997–2005). Diese Gruppe geriet 2009 nach der wahrscheinlich gefälschten Wiederwahl Ahmadinejads und den folgenden Protesten, mit denen sie sympathisierten, völlig ins Abseits.

Dennoch sind die Reformmullahs keineswegs beliebt bei der Protestbewegung. Ihnen wird vorgeworfen, versucht zu haben, durch ihre Reformen die Islamische Republik zu zementieren. Die Demonstranten und Demonstrantinnen wollen deren Ende. Und alle Mullahs werden letztlich bestraft dafür, dass sie nichts gegen das menschenfeindliche Regime taten und schwiegen.

Systemkritischer Bruder

Auch gefallene Turbane sind nicht neu in der jüngsten Geschichte: Ironischerweise waren jedoch öfter Ultras die Täter und Kritiker die Opfer. Der wahrscheinlich berühmteste Fall betraf 1998 den systemkritischen Bruder Khameneis, Hadi Khamenei, dessen Kopf – und Turban – bei einer Rede in einer Moschee in Ghom von einem Stein getroffen wurde.

In Irans Geschichte erfreute sich der Klerus durchaus des Rufs, an der Seite des Volks zu stehen. Bei der Verfassungsrevolution ab 1905 waren Mullahs dabei, als die Reform der Monarchie erzwungen wurde. Ihr Vorläufer war die Tabakrevolte, bei der die höchste Geistlichkeit mit einer Fatwa den Boykott von Tabakwaren unterstützte, nachdem der Schah ein Tabakmonopol an die Briten vergeben hatte.

Diese historische Rolle der Mullahs mag dazu beigetragen haben, dass ihnen die Menschen 1979 zu sehr vertrauten. Nach der gemeinsamen Revolution gegen den Schah wurde diese von den Religiösen gekapert, wer sich dagegenstellte, wurde verfolgt. (Gudrun Harrer, 16.11.2022)