2004 erhielt Elfriede Jelinek den Literaturnobelpreis, Empörung begleitet ihr Werk seit jeher. Auf den Bühnen ist es gefragt, noch heuer wird "Angabe der Person" am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt.

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Niemand macht sich die alltäglichen Ereignisse unserer Zeit so schnell zu eigen wie Elfriede Jelinek. Alle paar Jahre liefert die Nobelpreisträgerin eine neue Textfläche zu Skitourismus, Pleitebanken oder politischem Populismus ab, aus der dann an den Theatern des Sprachraums Stücke geschürft werden. Diese Art der Publikation ist für die Rezeption der Autorin inzwischen weit wichtiger als das im Handel verkaufte gedruckte Buch. Auch auf ihrer Website publiziert die 76-Jährige generös vor sich hin.

Obwohl der Textquell stetig sprudelt: Zu sich selbst meldet sich Jelinek kaum zu Wort, auch wenn sie für den aktuell laufenden Film Die Sprache von der Leine lassen eine Ausnahme machte. Interviewanfragen werden freundlich abgelehnt. Umso überraschender ist also, wenn ein neuer Text, so wie es das heute erscheinende Angabe der Person tut, Autobiografisches verspricht. "So, bauen wir also mal meine Lebenslaufbahn", heißt darin der erste Satz.

Zweimal oder kein Mal

Aber schon drei Zeilen später, mit dem Einwurf, "das Hinterziehen ist ja zum Volkssport geworden", meint man sich doch wieder in den allgemeinen Verhältnissen, gegen die Jelinek seit nunmehr über 50 Jahren anschreibt, angekommen. Tatsächlich ist es aber auch eine private Malaise. Wie im Fortgang zu erfahren ist, stolperte Jelinek vor einiger
Zeit über das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Österreich und Deutschland, das sicherstellen soll, dass man, ist man in beiden Ländern wohnhaft, nicht zweimal Steuern entrichten muss. Die Wienerin lebt wegen ihres Ehemannes (der Informatiker und Musiker Gottfried Hüngsberg ist im September verstorben) nämlich auch in München.

Und da beginnt der Ärger. Über nicht ganz 200 Seiten verstreut erzählt Angabe der Person davon, wie eines Tages auf der Suche nach Belegen böser Absichten Finanzbeamten im Haus der Autorin in Hütteldorf stehen und 33 Archivkartons voll Festplatten und "Schriftln" mitnehmen. Sie habe Einkünfte vertuschen wollen, so der Vorwurf aus Bayern. Dass sie in Österreich lebt und ihre "Eier" abdrückt, erscheint den Fahndern unter Beiziehung ihres Werks nicht glaubwürdig: "Sie sagen hier und hier und dort auch, wie sehr Sie Ihr Vaterland hassen, daraus schließen wir, daß Sie dort nicht sind, nicht sein können." So steht es zumindest geschrieben.

Geld, Flip-Flops und Plastiksackerln

Jelinek ist ein gebranntes Kind, wenn es um die Öffentlichkeit geht. Ganz will die Autorin sich also natürlich nicht ausliefern. Ihre eigene Geschichte ist nur eine von vielen in einem Erzählfluss globaler Finanzskandale. Es geht um Versicherungspolizzen in Liechtenstein, Offshore-Gesellschaften in Ländern, in die man mit Flip-Flops an den Füßen reist, Fußballer mit Geldkuverts, die Klospülung von Tennisstar Boris Becker, Wirecards erfundene Milliarden. In bewährter Manier entreißt Jelinek auch das Plastiksackerl mit Schwiegermuttergeld eines Ex-Finanzministers wenn nicht dessen Händen, so dem Vergessen. Wie eh dreht und wendet sie Wörter und Phrasen, führt eins zum andern ("der Satz will immer alles, was er sieht, gleich haben"), steckt sich Anspielungen wie Federn auf den Hut, nutzt Gleichklänge als Scharniere zwischen Ideen.

Und so tendieren nicht nur "Reiche" dazu, sich "ins Ausland hinein ausdehnen" zu wollen, um Abgaben zu vermeiden – auch "Weltreiche" expandieren. Wie 1938 Deutschland. Dies bedingt das zweite große Thema des Buches: den Holocaust, in dem die jüdische Verwandtschaft der Autorin väterlicherseits Opfer verzeichnet. Da liest man von einer belgischen Tante, die deportiert wurde, dort vom Onkel, der verstummt und mit Armstumpf aus Dachau heimgekehrt ist. "Es ist bei uns alles eine Generation verschoben, ich bin die Jüngste unter den Alten, eigentlich bin ich die Älteste unter den Jungen", lautet das Fazit.

33 Kartons für den Schredder

So knüpft Jelinek zahllose lose Enden aneinander. Irgendwann löst sich in diesem Fleckerlteppich (Corona und der Tourismus, ausländerfeindliche Politik und die Klimakrise tragen untergeordnet zum Webmuster bei) die Steuersache glimpflich: "Es waren nur Verrechnungs-Mißstände." Wen wundert’s! Sie kann ja nicht einmal elektronische Überweisungen tätigen, wird noch auf der letzten Seite die Unfähigkeit zur inkriminierten Tat beteuert.

Gekonnt persifliert Jelinek stattdessen mit "jede Stimme stimmt" das demokratische Versprechen von "jede Stimme zählt" im Zeitalter der Echokammern und hat doch schon letzte, andere Räume im Sinn: Ihr Faible fürs TV mündet im Wunsch, einst einen Bildschirm im Sarg vorzufinden, der per Solarzelle an der Erdoberfläche betrieben wird. Der Nachlass soll zu Wärmedämmziegeln geschreddert werden. Ungustln könnten unken: Sicher ist sicher. (Michael Wurmitzer, 15.11.2022)