Neue Selbstständigkeit: Das Organisationsteam der Vienna Art Week, mehrheitlich Frauen, ist nebenher noch in diverse andere Projekte involviert.

Foto: Regine Hendrich

Robert Punkenhofer spricht so schnell, dass man Mühe hat, mit ihm mitzuhalten. Vermutlich muss er das auch. Wie sonst könnte man einen Kunstevent mit 70 kooperierenden Institutionen auf die Beine stellen, an denen wiederum hunderte Menschen hängen. Und Kunst, wohlgemerkt, ist ein Feld, in dem die Beteiligten nicht immer zu den Einfachsten gehören. Glücklicherweise, sonst wär’s ja fad.

Nach kurzem Stutzen darüber, dass sich DER STANDARD diesmal weniger für die Kunst und mehr für die Organisation dahinter interessiert, hat Punkenhofer genauso schnell, wie er spricht, nachgedacht und einen Plan gefasst: "In fünfzehn Minuten wäre Teammeeting, willst du dich dazuhängen?"

20 Jahre Vernetzungsarbeit

Fünfzehn Minuten später hängt man mittendrin im Whatsapp-Videocall. Das Organisationsteam der Vienna Art Week ist über den kurz angekündigten Spitzel, der vorhat, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen, nicht sonderlich überrascht. Unvorhergesehenes gehört im Kunstbetrieb ganz einfach dazu – auch wenn jene, die den Betrieb organisieren, lieber nichts dem Zufall überlassen, wie die folgenden dreißig Minuten zeigen werden.

Das Kernteam um Punkenhofer, der die Art Week vor fast 20 Jahren maßgeblich entwickelte, bilden die Kuratorin Julia Hartmann, das Organisations- und Kommunikationsass Juliana Furthner und Theresia Nickl, die vom Budget über die Versicherungsverträge bis hin zur Logistik über alles wacht, was sich in Zahlen ausdrücken lässt.

Das Kernteam der Art Week: Julia Hartmann, Robert Punkenhofer, Theresia Nickl und Juliana Furthner. (v.l.n.r.)
Foto: Vienna Art Week

Es ist Ende Oktober. Das Team steht drei Wochen vor der Eröffnung der Art Week. Über das Programm der Kooperationspartner muss sich die Gruppe keine Gedanken mehr machen – von großen Museen wie dem Kunsthistorischen oder dem Mak über Galerien und Off-Spaces bis hin zu Ateliers wissen längst alle, was sie beisteuern.

Schon im Frühsommer, wenn der Trägerverein der Art Week zusammenkommt, stimmt man sich ab und schaut, ob sich die Programme auch in das ausgegebene Motto, diesmal Challenging Orders (herausfordernde Befehle), fügen. Das Motto entstand bereits Anfang 2022, als vom Ukraine-Krieg noch keine Rede war, heute klingt es noch gegenwärtiger. "Es ist wichtig, dass ein Motto viel Interpretationsspielraum lässt, aber auch nicht zu verwässert ist", sagt Punkenhofer.

Ausstellung im Abbruchhaus

Für das Art-Week-Team ist nun aber nicht mehr das Motto die Challenge. Wie schon in den Jahren zuvor soll auch heuer eine vom Team eigens kuratierte Ausstellung an einem spannenden Ort stattfinden. Das Meeting ist daher das letzte im Büro in der Prinz-Eugen-Straße. Die Kisten sind gepackt, bald übersiedelt man an den Ort, an dem die Ausstellung stattfindet: ein aufgelassener Bürokomplex in der Wiedner Hauptstraße 140, der nach der Art Week abgerissen werden soll.

Der aufgelassene Bürokomplex in der Wiedner Hauptstraße 140.
Foto: Regine Hendrich

Punkt für Punkt arbeitet das Team jetzt seine Checklisten ab: Man ist noch "30.000 short bei den Finanzen", man werde "noch kurbeln müssen", die Förderungsprüfung sei "gut verlaufen", die Haftpflichtversicherung "ist erfreulich günstig", der Kostenvoranschlag der Reinigungsfirma hingegen weniger: "Wahnsinn, da putz ma selber, oder?" – "Es genügt besenrein, außer die Toiletten. Und bei den Fenstern reicht eine Seite, die andere bekommt eh kein Licht." Möbelpacker sind organisiert, vom Dorotheum bekommt man Sessel, von Willhaben besorgt man Couches, eine Bühne? "Nein, das ist immer so hierarchisch." "Der Herr, der ausmalt, ist fertig. Schön geworden, super." Auch die technischen Probleme sind behoben. "Halleluja, ein Wunder."

Security und Social Media

Der Einleitungstext "ist gut geschrieben", die Sticker sind fertig, "Übergabe heute am Kinderspielplatz". Mülltrennung will man sehr ernst nehmen, recyclebare Plastikbecher müssen her, das Drei-Meter-Banner für den Eingang? "Gold und schwarz? Schaut es nicht zu klein aus?" "Welches Wording für die Einladung? Preview oder Opening?"

Foto: Regine Hendrich

Beim Barbetrieb soll nicht zu viel Wechsel sein. "Wer macht’s?" – "Ich kenn da jemanden." Auch die DJanes sind gebucht, ebenso die Security-Leute. Refugees bekommen gleich viel bezahlt wie die Security-Leute, aber sie wollen nicht dieselbe Kleidung tragen – man hat Warnwesten besorgt. "Wann kommt die Kaup-Hasler?" (Wiener Kulturstadträtin, Anm.)

Für den Auftritt der Guerilla Girls (die legendäre feministische Kunstgruppe ist der Stargast der diesjährigen Ausgabe) sind bereits Social-Media-Sujets erstellt worden. "Wie viele können wir reinlassen? 60? Werden wir streamen?" Einen "Contentplan" soll es jedenfalls geben: für die täglichen News, die App, die Website, für Social Media und die Newsletter. Aber auch die Frage, welche Drinks und Essensbons für die Künstler man ausgeben will, muss geklärt sein. Und dann noch kurz zum Inhaltlichen: "Läuft da alles?" Es läuft. "Eine Künstlerin will aus einem Loch in der Wand gebären. Geht das?" – "Klar geht das."

Teures IT-Equipment

Szenenwechsel zu einem der Kooperationspartner. Der Kunstraum Weisses Haus in der Hegelgasse hat seine Ausstellung zur Art Week ebenfalls noch nicht aufgebaut. Derzeit läuft noch eine andere Schau mit multimedialen Installationen. "Technisches Equipment und IT-Service ist teuer", sagt Leiterin Alexandra Grausam. Früher habe man die Sachen meist geliehen, zuletzt gab es eine Förderschiene des Bundes, davon konnte man Beamer, Bildschirme und dergleichen anschaffen. Den Ausstellungsaufbau organisieren hier die Kunstschaffenden oft selbst, "alle helfen mit".

Alexandra Grausam leitet den Kunstraum Weisses Haus.
Foto: Marlene Rahmann

Die Art Week sah Grausam anfangs skeptisch ("Wir machen das Programm, und die Art Week stülpt ihr Logo drüber?"), aber das sei längst passé. Heute sei das Format eine echte Bereicherung, ein tolles Marketingtool, das Sichtbarkeit und Vernetzung erhöht. Im Weissen Haus wird die Ausstellung von der New Yorker Kuratorin Kathy Cho programmiert, den Raum hat sie bisher nur digital gesehen, "macht aber nix". 15.000 Euro Produktionsbudget müssen reichen, darunter fallen Honorare nach Fair-Pay-Kriterien, Reisekosten und Material.

Kunst zum Ausdrucken

Die Kunstwerke werden über unterschiedliche Wege angeliefert, vom Reisekoffer über Postversand bis zur rein digitalen Übermittlung. Kunsttransporte mit spezialisierten Unternehmen seien viel zu teuer, "das können nur die großen Museen". Man stelle auch sogenannte "exhibition copies" her – Fotografien etwa werden nachgedruckt und nach der Ausstellung vernichtet. Das Motto Challenging Orders werde man hier mit dem Thema Trauer verbinden – eröffnet wird bewusst erst zur Mitte der Art Week (24. 11.), damit sich die Häuser nicht gegenseitig ihr Publikum wegnehmen.

Was nicht nur hier, sondern überall im Kulturbetrieb auffällt: Wie viele Menschen kommen, ist nicht mehr kalkulierbar. Entscheidungen werden extrem kurzfristig getroffen, Facebook-Veranstaltungen, die noch vor wenigen Jahren einigermaßen verlässliche Planungshilfen waren, werden von den Jungen nicht mehr wahrgenommen. "Es kann sein, dass alle zusagen und niemand kommt –oder dass niemand zusagt und alle kommen."

Die Künstlerin Soli Kiani ist eine von 50 Kreativen, die bei der Art Week ihre Ateliers öffnen.
Foto: Eva Kelety

Wie viele kommen werden, darüber macht sich die Künstlerin Soli Kiani keine Sorgen. Sie ist eine von 50 Leuten, die ihre Ateliers öffnen – das Art-Week-Team organisiert geführte Touren durch diese, es liegt also an ihnen, für Publikum zu sorgen. Kiani wird ihr schmuckes Studio in der Frankenberggasse "nur ein bisschen aufräumen, sonst kann alles bleiben, wie es ist". Die Künstlerin befasst sich in großformatigen Bildern und Installationen mit Frauenunterdrückung und Bekleidungsvorschriften im Iran – das Art-Week-Motto auf den Kopf getroffen.

Netzwerk und Luftpolster

Ein paar Tage später sind Robert Punkenhofer und sein Team bereits ins Abbruchhaus in der Wiedner Hauptstraße übersiedelt. Ein alter Industrielift führt in den vierten Stock, einige Büroräume werden bereits für die Ausstellung vorbereitet. Wie er das Haus, in dem zuletzt die Caritas untergebracht war, gefunden hat? Ein Immobilienentwickler habe es von sich aus angeboten. Es sollen hier später Wohnungen entstehen. Durch die Kunstzwischennutzung mache der Entwickler schon einmal Lust auf die Gegend.

Foto: Regine Hendrich

"Man braucht ein Netzwerk. Es gilt der Grundsatz ‚people give to people‘, auch beim Sponsoring", sagt Punkenhofer. Wenn es keine persönliche Beziehung gibt, hagelt es Absagen, 70 Prozent, die man anschreibt, würden gar nicht antworten. Die Art Week könne aber glücklicherweise auf zwei langfristige Sponsoren bauen, das Budget betrage 250.000 Euro, davon knapp 50.000 aus öffentlichen Mitteln.

Heute müssen noch Säckchen mit Flyern und Plakaten an alle Kooperationspartner kreuz und quer in der Stadt verteilt werden, am Abend streut man noch eine Instagram-Livesession mit einer Künstlerin ein – 80 Zuschauende zeigen: Die ständige Onlinepräsenz wirkt.

Foto: Regine Hendrich

Alle im Team haben nebenher noch andere berufliche Projekte am laufen, auch Punkenhofer, der zuvor 25 Jahre in Anstellungen tätig war. Tauschen möchte aber niemand, man liebe die Freiheit. Dass die Organisation der Art Week mittlerweile zu 50 Prozent Logistisches betreffe und man sich nur noch zur Hälfte mit inhaltlichen Themen befassen kann, sei den gestiegenen Ambitionen geschuldet: "Wir sind mit der Art Week Vorreiter gewesen, erst dann kamen Berlin oder Amsterdam, zuletzt hat sich Prag bei uns Tipps geholt", sagt Punkenhofer.

Hoffentlich kein Lockdown

Inzwischen nimmt die Ausstellung Formen an: 40 Kunstschaffende aus zwölf Nationen sind beteiligt. Bilder werden in Luftpolsterfolie verpackt angeliefert, Beamer werden in Stellung gebracht, doppelte Wände werden eingebaut, andere eingerissen oder bis auf die Dämmwolle freigelegt. Eine Künstlerin malt ihren Raum gerade selbst aus und posiert freundlich für die Fotografin vom STANDARD. Und ja, auch das ominöse Loch, aus dem eine Künstlerin performativ gebären will, ist an diesem Tag bereits gebohrt.

Handwerksmentalität: Die Künstlerin Anna Lerchbaumer malt ihren Raum selbst aus, bevor sie ihre Arbeiten darin ausstellt.
Foto: Regine Hendrich

Über drei Stöcke zieht sich die Schau, 24 Stunden soll geöffnet sein – ein Novum. "Bleibt nur zu hoffen, dass nicht wieder ein Lockdown kommt", sagt Punkenhofer. Zuletzt konnte man die fertige Ausstellung dann nur digital vorführen. "Traurig war das, aber wir konnten immerhin unser Publikum halten."

Bis Dezember wird die Art Week dann dokumentarisch aufgearbeitet, Förderungen werden abgerechnet, ein "guter Abschluss" gemacht. "Und im Jänner wird dann schon wieder der Köder für die nächste Ausgabe ausgeworfen." Anglersprache, die passend scheint für Wiens größtes Vernetzungskunstwerk. (Stefan Weiss, 15.11.2022)