Sam Bankman-Fried galt als unternehmerischer Wunderwuzzi. In der schwer polarisierenden Kryptobranche zählte er eigentlich zu den Guten, und der Aufstieg seiner Kryptobörse FTX verlief phänomenal. In nicht einmal drei Jahren erreichte das Unternehmen eine Bewertung von 32 Milliarden Dollar (31 Milliarden Euro) und verwahrte Milliardenwerte im Auftrag seiner Kundinnen und Kunden. Was vorerst bleibt, ist ein Absturz, der viele Menschen wohl Unmengen an Geld kosten wird – von der Kleinanlegerin bis zum Profi-Investor.

Anfang vergangener Woche geriet das FTX-Kartenhaus in finanzielle Schwierigkeiten, Ende vergangener Woche krachte es zusammen. Die FTX-Gruppe meldete Insolvenz an. Wenig überraschend rasselten die Kurse von Bitcoin und Co deutlich nach unten. Das Krypto-Aushängeschild Bitcoin fiel vorübergehend auf rund 15.500 Dollar.

Sam Bankman-Fried legte einen rasanten Aufstieg zum Krypto-Superstar hin. Innerhalb weniger Tage brach sein Imperium zusammen.
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Es geht um viel Geld. Anleger fürchten um ihre Einlagen und Kapitalgeber um ihre Investitionen in Milliardenhöhe. Große Teile dieses Geldes dürften verloren sein. Die Angst vor einem Dominoeffekt ist groß, die Rufe nach strengerer Regulierung werden wieder einmal lauter. Es gab heuer bereits mehrere solcher Rückschläge, dementsprechend ist das Vertrauen in den Markt erschüttert. Mehr als 200 Milliarden Dollar wurden abgezogen. Warum die Kryptobörse FTX im Chaos versunken ist und was dies für die gesamte Branche bedeutet.

FTX und Alameda: Die Protagonisten des Milliardencrashs

FTX ist eine Handelsplattform, über die mit Kryptowährungen, aber auch mit weit komplexeren Finanzprodukten gehandelt werden konnte. Sie unterscheidet sich diesbezüglich nicht von anderen Börsen. Das Unternehmen wurde im Mai 2019 unter anderem von Sam Bankman-Fried gegründet und zählte im Februar 2022 bereits eine Million Kunden. Bankman-Fried, bekannt als SBF, erreichte schnell den Status eines Krypto-Gurus. FTX wurde nicht nur von privaten Investoren genutzt, sondern auch von Hedgefonds und anderen professionellen Akteuren.

SBF soll mit Kundengeldern in Milliardenhöhe seinem eigenen Hedgefonds Alameda-Research Kredite gewährt haben. Alameda stand für hochspekulatives Trading – nachdem die Beziehung der beiden Firmen bekannt wurde, brach FTX in wenigen Tagen zusammen.

Prominente Namen: Vom Sport bis zum Pensionsfonds

Besonders in der Sportwelt hat sich FTX einen großen Namen gemacht. Das Stadion des Basketballteams Miami Heat heißt FTX-Arena, Basketball-Ikone Shaquille O’Neal und die mehrfache Tennis-Grand-Slam-Gewinnerin Naomi Osaka gehören zu den Markenbotschaftern, ebenso Football-Legende Tom Brady und Supermodel Gisele Bündchen.

Aber auch Investment-Giganten wie Softbank, Sequoia Capital und Tiger Global saßen FTX auf und investierten hunderte Millionen. Sogar ein kanadischer Lehrer-Pensionsfonds hat fast 100 Millionen reingesteckt. Sie alle bereiten sich auf den Totalausfall vor.

Miami Heat wird wohl bald einen neuen Namenssponsor für das Stadion brauchen.
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Aussicht auf Geld: Mindestens eine Milliarde weg

Verstärkt wurde die Liquiditätskrise des Konzerns durch den Wertverlust der eigenen Kryptowährung FTT, die einen erheblichen Teil der Einlagen ausmachte. Auf Twitter stellte Marktführer Binance zwar die Rettung von FTX in Aussicht, die Übernahme wurde aber bereits nach einem Tag abgeblasen. Die Probleme überstiegen die Möglichkeiten, hieß es.

Für Kunden heißt es zittern, es ist gut möglich, dass sie sämtliche Einlagen verlieren. Insidern zufolge soll mindestens eine Milliarde Dollar an Kundengeldern bereits verschwunden sein.

Das ganze Ausmaß des Schadens wird davon abhängen, welche Assets noch vorhanden sind. Sorgen bereiten Anlegern auch Berichte, wonach nach dem Insolvenzantrag nicht alle noch vorhandenen Einlagen gesichert worden seien.

Stimmung am Markt: Crash und steigende Zinsen erhöhen Druck

Die Stimmung ist am Boden, selbst wenn die Szene allerlei Erschütterungen gewohnt ist. In wenigen Tagen haben Kundinnen und Kunden mehr als 200 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung abgezogen. Das lässt den aktuellen Kryptowinter noch etwas frostiger werden. Analysten fürchten, dass der Crash noch weitere Konzerne in seinen Sog zieht.

Außerdem: Seit Monaten steigen weltweit die Zinsen wegen der hohen Inflation. Einige Zentralbanken beginnen zudem, in der Krise geschaffenes Geld aus den Märkten zu ziehen. Steigende Zinsen und sinkende Liquidität schaden besonders riskanten Finanzanlagen.

Behörden: Kompliziertes Ermittlungsverfahren steht an

Sowohl gegen FTX als auch Bankman-Fried laufen in mehreren Ländern Untersuchungen von Finanzaufsichtsbehörden und Strafverfolgern. Kompliziert wird der Fall, weil die FTX-Gruppe zwar eine Tochtergesellschaft in den USA betreibt, der Konzern aber seinen Hauptsitz auf den Bahamas hat.

Vermögenswerte sollen von der Wertpapieraufsicht der Bahamas eingefroren und Gläubigerschutz in den USA beantragt worden sein. Entgegen anfänglicher Fluchtgerüchte dürfte sich Bankman-Fried noch auf den Bahamas aufhalten. Er wurde von der dortigen Polizei befragt und stehe "unter Aufsicht", wie mehrere Medien berichten.

Möglicher Hack: Bis zu 600 Millionen Dollar

Die auf Cyberwährungen spezialisierte Nachrichtenwebsite CoinDesk berichtete am Wochenende von einem Hackerangriff auf die Kryptobörse. "FTX ist gehackt worden", habe ein Administrator des Unternehmens in einem nicht öffentlichen Support-Kanal auf dem Nachrichtendienst Telegram geschrieben. FTX habe seine Kunden aufgerufen, FTX-Apps zu löschen und die FTX-Internetseite zu meiden.

Das Unternehmen gab daraufhin bekannt, dass es nach einer Reihe von "nicht autorisierten Transaktionen" alle digitalen Assets in Cold Storage, also in einen Offline-Speicher, verlagern wird. Analysten bestätigten, dass Vermögenswerte am Freitag im Wert von mehreren Millionen Dollar von der Plattform abgezogen worden seien. Es kursierten Zahlen zwischen 400 und 600 Millionen Dollar.

Regulierung: Laute Rufe, aber ein schwieriger Weg

Grundsätzlich befeuert jeder Finanzskandal die Rufe nach einer stärkeren Regulierung. Vor allem der Chef vom Marktführer Binance ließ mit seinen Aussagen aufhorchen: "Wir brauchen Regulierung, wir müssen das richtig machen." Er sehe aber vor allem seine Branche in der Pflicht, Verbraucher zu schützen, man könne nicht alles auf Regulierer abwälzen. Auch der Tenor vieler anderer geht in diese Richtung. Der Markt sei zu intransparent und ermögliche zu viel.

Allerdings ist der Weg zu strengerer Regulierung schwer, wie eine Studie des IWF zeigt: Die Branche entwickelt sich besonders schnell, die Datenlage ist löchrig, und die relevanten Marktteilnehmer seien äußerst zahlreich. Nationale Bemühungen seien zudem sehr unterschiedlich, die weltweite Kryptoregulierung entsprechend zersplittert.

Lage in Österreich: Kann man heimischen Firmen vertrauen?

Wer Geld bei österreichischen Kryptobörsen angelegt hat, kann die Situation verhältnismäßig entspannt beobachten. Unternehmen wie Bitpanda oder Coinpanion verwalten Wallets treuhändisch. Das heißt, es läuft ähnlich wie bei einem Aktiendepot. "Geht eine Bank in Konkurs, bleibt einem die Aktie trotzdem", analysierte WU-Professor Alfred Taudes im Sommer für den STANDARD die Lage. Es sei nicht wie bei einem Sparbuch, wenn man Geld der Bank überlässt. Wirtschaftlicher Eigentümer bleibe der Kunde.

Bitpanda versucht dennoch zu beschwichtigen, man sei sich der Unsicherheit der Kunden bewusst. Deswegen hat das Unternehmen am Montag angekündigt, von KPMG überprüfen zu lassen, ob die Kundengelder durch die entsprechenden Kryptoassets gedeckt sind. (Andreas Danzer, 15.11.2022)