Der Kenianer Malcolm Bidali zahlte 1200 Dollar, um in Katar Arbeit zu finden. Bevor er das Land verlassen durfte, musste er 7000 Dollar Strafe zahlen.

Foto: Christian Fischer

Wie ich in Katar gelandet bin? Ich habe ein besseres Leben gesucht. Ich hatte finanzielle Schwierigkeiten, und mein Nachbar schlug vor, dass ich nach Katar gehen könnte. Wie neun von zehn Kenianern kam ich über eine Rekrutierungsagentur nach Katar. Das ist illegal, aber auch ich habe die 1200 Dollar bezahlt. Das ist viel Geld, manche Menschen in Kenia müssen ihr Land oder ihr Vieh verkaufen. Bei anderen legt die Gemeinschaft zusammen, manche nehmen zu sehr hohen Zinsraten Kredite auf. Ich hatte das Glück, dass mir meine Mutter aushalf.

Katar ist sehr reich. Wenn man es bei Google sucht, sieht man diese wunderschönen Hochhäuser – mich musste man nicht mehr überzeugen. Im ersten Unternehmen, für das ich gearbeitet habe, gab es ein Bewerbungsgespräch. Eine Etage darunter wurden die Lebensläufe gefälscht, so hatte ich plötzlich zwei Jahre Arbeitserfahrung bei einer angesehenen kenianischen Sicherheitsfirma. Man tut, was man tun muss. Diese erste Firma war wirklich gut. Sie brachten uns vom Flughafen für ein paar Tage in ein Quartier, wir bekamen Essen, Trinken und Taschengeld, um uns eine SIM-Karte zu kaufen und unsere Familien anzurufen. Dann wurden wir zu einem Villengelände gebracht. Wir teilten uns die Räume. Damals wusste ich noch nicht, wie es den anderen Gastarbeitern geht.

Krasser Kontrast

Beim zweiten Mal, als ich nach Katar kam, war der Kontrast krass. Niemand begrüßte uns am Flughafen, sie brachten uns in das Quartier in der Industrial Area, nahmen uns wie auch bei der ersten Firma die Reisepässe weg. Kein Essen, kein Wasser, ein kleiner Raum mit unzähligen Menschen. Auch das Taschengeld haben wir erst Wochen später bekommen. Das war zu wenig, um durch den Monat zu kommen. Wie viel wir arbeiten mussten, hing davon ab, wie viele Wachleute verfügbar waren und bei welchem Projekt wir waren. Bei manchen war es wirklich streng, und die Arbeiter mussten einen Tag pro Woche frei haben. Anderen war das egal. Standardmäßig arbeiteten wir bei dieser Firma zwölf Stunden, sieben Tage die Woche.

Wie ich damit zurechtkam, weiß ich nicht. Man gewöhnt sich einfach daran, weil es keine andere Option gibt. Außer wenn man bei einer guten Firma gelandet ist, dann ist man einfach froh. Für mich persönlich waren die Lebensumstände sehr schwierig. Wenn du acht, zehn oder zwölf Menschen in einen Raum quetscht, ist das mies. Man hat keine Privatsphäre. Die Sanitäranlagen und die Verpflegung waren erbärmlich. Und du hast die langen Arbeitszeiten, manchmal ohne freie Tage, du machst unbezahlte Überstunden. Meine Firma zahlte immerhin pünktlich unsere Gehälter, wobei die Summen schwankten. Bei anderen Firmen wurden Gehälter verspätet oder gar nicht bezahlt.

Eines Tages gab es eine Inspektion in unserer Unterkunft. Von ihr hing ab, ob unsere Firma einen Vertrag bekam. Bevor die Inspektoren kamen, stellten Offizielle des Lagers unser Zimmer um. Sie spielten Tetris, um es größer wirken zu lassen. Wir konnten das Zimmer nicht versperren. Als wir nach der Inspektion zurückkamen, sahen wir, wie alles umsortiert war. Dabei waren auch Sachen beschädigt worden. Ich habe das persönlich genommen. Also habe ich dem Kunden in einer Mail unsere Umstände beschrieben. Das war ein Ableger eines Tochterunternehmens der Qatar Foundation. Die Mail wurde nicht beantwortet. Von der Foundation kam zwar eine Antwort, aber nur Unternehmenssprech. Also schrieb ich dem Arbeitsministerium – vergeblich. Und dann dem Innenministerium.

Dinge ändern sich

Erst einmal passierte gar nichts. Aber danach kam ich mit jemandem von migrantrights.org in Kontakt und habe ihm gezeigt, worüber ich geschrieben hatte. Er sagte, dass wir das definitiv veröffentlichen sollten, weil es eine einzigartige Perspektive auf Gastarbeiter war. Das taten wir, über Twitter und Instagram verbreitete es sich. So kam es dann in die Chefetage unseres Kunden – und die Dinge änderten sich fast sofort. Statt sechs Menschen lebten nur mehr drei in den Räumen, wir bekamen Vorhänge für etwas Privatsphäre und ein Nachtlicht. Das hat mir Möglichkeiten gezeigt: Wenn ich über etwas schreibe, wird es sich ändern. Also habe ich ordentliche Twitter- und Instagram-Profile eingerichtet und bin Menschenrechtsorganisationen gefolgt, um mehr über die Politik zu lernen. Das alles anonym – bis ich verhaftet wurde.

Wie ich aufgeflogen bin, darüber kann ich nur spekulieren. Entweder sie wussten von Anfang an, wer ich bin, weil die Sache in der Qatar Foundation für Unruhe gesorgt hat, aber sie ließen mich in Ruhe – bis ich eine größere Geschichte geschrieben habe. Die andere Möglichkeit ist, dass sie erst dann mein Handy kompromittiert haben. Meine Firma übergab mich den Behörden, der Staatssicherheit: Einschüchterung, Augenbinde, Handschellen, das volle Programm.

Am Anfang war ich beim Innenministerium. Das war schrecklich: etwa drei mal dreieinhalb Meter, keine Fenster, eine Gegensprechanlage, wenn ich aufs Klo musste. Sie spielten mit der Temperatur, um mich zu desorientieren. Nach drei Tagen wurde ich verlegt, beim Eingang gab es eine Uhr mit Datum. In dieser Zelle hatte ich ein eigenes WC, ein Waschbecken, einen Spiegel. Es gab ausgewogene Mahlzeiten. Als Gefangener habe ich besser gegessen als als Arbeiter, kein Witz.

Sie haben nicht gesagt, was die Anschuldigungen waren. Ich habe nach einem Anwalt gefragt, sie haben gesagt, ich bekomme keinen. Sie fragten immer nur: Für wen arbeitest du? Bekommst du Geld von dieser oder jener Organisation? Warum verbreitest du diese Informationen? Erzähle von deinem Kontakt. Sie schrieben mit und kamen mit einem Statement auf Arabisch zurück, das ich unterzeichnen sollte. Wie soll ich wissen, ob das das ist, was ich sagte?

Ich kam nie vor Gericht. Dank der International Labor Organization und dem internationalen Gewerkschaftsbund bekam ich eine Rechtsvertretung. Ich wurde nach 28 Tagen entlassen und musste fast 7000 Euro Strafe zahlen, dann konnte ich Katar verlassen. Ich mag das Land immer noch, es ist wunderschön. Ich würde eines Tages gerne als Besucher wiederkommen.

Fußballteams sind nicht die Uno

Ob Fußballmannschaften protestieren sollten? Ich finde es nicht richtig, ihnen diesen Druck aufzuerlegen. Es gibt Institutionen, die ein Mandat haben, Menschenrechte zu schützen: die Staaten. Fußballteams sind nicht die Uno. Ja, die ganze Aufmerksamkeit ist auf den Mannschaften. Sie könnten Bewusstsein schaffen. Aber was würde das wirklich erreichen? Aus meiner Perspektive eines Gastarbeiters: Es wäre viel besser, die Katari mit der EU und den großen regionalen Akteuren an einen Tisch zu holen, um Gesetze und ihre Implementierung zu diskutieren. Ihnen zu sagen, dass sie ihre Reformen durchsetzen sollen. Aber die Frage ist auch: Warum müssen wir überhaupt mit einem Staat verhandeln, dass er Menschenrechte respektiert? Sie sollten das von allein tun. (Protokoll: Martin Schauhuber, 15.11.2022)

DER STANDARD