Einst wollte FPÖ-Chef Herbert Kickl die Menschenrechtskonvention ändern – jetzt kam die Forderung von ÖVP-Klubchef August Wöginger.

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"Auch die Menschenrechtskonvention gehört überarbeitet. Wir haben mittlerweile eine andere Situation, als es vor ein paar Jahrzehnten der Fall war, als diese Gesetze geschrieben wurden." Das sagte ÖVP-Klubobmann August Wöginger am Wochenende im STANDARD-Interview auf die Frage nach einer Reform des EU-Asylrechts – die Empörung über die Aussagen reißt auch Tage später nicht ab. Wie genau er die Menschenrechtskonvention ändern will, präzisierte Wöginger auch am Montag nicht.

Der ÖVP-Klubobmann holte sich mit seinem Vorstoß allerdings nicht nur beim grünen Koalitionspartner eine Abfuhr, auch in der eigenen Partei stößt das Ansinnen auf wenig Gegenliebe. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) wies dieses mit scharfen Worten zurück. Die Europäische Menschenrechtkonvention (EMRK) stehe für sie "außer Zweifel" und sei "nicht verhandelbar" – zumal Österreich der einzige Europaratsstaat ist, in dem sich die Konvention im Verfassungsrang befindet. Als "unverhandelbar" bezeichnete auch Justizministerin Alma Zadić (Grüne) die EMRK. Anders sieht es hingegen der steirische Landeshauptmann und Parteikollege Wögingers, Christopher Drexler. Man solle "einmal abklopfen, was in einer zeitgemäßen Textfassung eine Deckung finden würde", sagte er der "Kleinen Zeitung".

Sogar Bundespräsident Alexander Van der Bellen sah sich zu einer Stellungnahme veranlasst – und fand klare Worte. "Die Menschenrechtskonvention infrage zu stellen, löst keine Probleme, sondern rüttelt an den Grundfesten, auf denen unsere Demokratie ruht. Solche vermeintlich einfachen Lösungen sind der falsche Weg", schrieb dieser auf Twitter. Das Staatsoberhaupt übte damit deutliche Kritik an Wögingers Aussagen, ohne diesen aber beim Namen zu nennen.

Scharfe Kritik kam außerdem von SPÖ und Neos. "Dass die ÖVP jetzt mit ihrem Latein so am Ende ist, dass sie an den Menschenrechten rüttelt, ist ein neues Ausmaß an Ungeheuerlichkeit. Damit hat die ÖVP eine rote Linie überschritten", sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Für Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger stellt sich die Frage, ob Wöginger bei seiner Ansage vielleicht Gesetze verwechselt habe und statt der EMRK eigentlich die Genfer Flüchtlingskonvention meine. Die EMRK einschränken zu wollen, halte sie "für ein bisschen skurril".

Kickl sorgte für Aufschrei

Knapp drei Jahre ist es her, da sorgte FPÖ-Chef Herbert Kickl als damaliger Innenminister mit ähnlichen Aussagen für einen noch viel größeren Aufschrei. Angesprochen darauf, dass die rasche Abschiebung von Asylwerbern an rechtsstaatliche Grenzen stoßen könnten – etwa die Menschenrechtskonvention oder EU-Recht – hatte Kickl in einem TV-Interview angekündigt, die Menschenrechtskonvention hinterfragen zu wollen. Und er meinte, "dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht".

Später relativierte Kickl seine Aussagen, er habe "zu keinem Zeitpunkt die Europäische Menschenrechtskonvention (...) als solche infrage gestellt". Ihm sei es darum gegangen, dafür zu sorgen, "dass Aufenthaltstitel – im konkreten Fall der Status von Asylberechtigten oder Asylwerbern – bei Straftaten aberkannt werden können".

Kickls Aussagen zogen damals nicht nur eine Debatte im Nationalrat samt Misstrauensantrag durch die Opposition nach sich, auch Van der Bellen verurteilte dessen Rütteln an der Menschenrechtskonvention. Und er zitierte Kickl zu einer Unterredung in die Präsidentschaftskanzlei. Zu einer solchen wird es diesmal mit Wöginger nicht kommen, lässt ein Sprecher Van der Bellens auf Anfrage des STANDARD wissen.

Regelungen in Genfer Flüchtlingskonvention

Wie aber funktioniert der Flüchtlingsschutz wirklich? Welche Rechte haben Asylwerbende, welche die Staaten, in denen sie Schutz suchen? Wie wären diese Rechte zu ändern (siehe Wissen unten)?

Keine Antworten auf diese Fragen liefert die von Wöginger als Änderungskandidatin ins Spiel gebrachte Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Weder die 18 Artikel der im Jahr 1950 unterzeichneten Konvention des Europarats, die die individuellen Rechte der Menschen betreffen, noch die Artikel der Zusatzprotokolle beschäftigen sich mit dem Asylrecht. Die EMRK steht in Österreich seit 1964 im Verfassungsrang, weil es damals keine Einigung auf eine eigene Grundrechteerklärung gab.

Die Rechte von Flüchtlingen sind in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) festgeschrieben, einem 1954 in Kraft getretenen Abkommen der Vereinten Nationen – sowie in deren Zusatzprotokoll aus dem Jahr 1967. Die Genfer Flüchtlingskonvention definiert, wer Flüchtling ist, welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und sozialen Rechte, aber auch Pflichten sie oder er hat. Das österreichische Asylgesetz setzt die Bestimmungen der Konvention auf nationaler Ebene um.

Auch die Europäische Union hat eine Reihe verbindlicher Bestimmungen und Richtlinien über die Rechte von und den Umgang mit Flüchtlingen beschlossen. Sie müssen allesamt mit der Genfer Flüchtlingskonvention in Einklang stehen.

Schwächere Rechte

Wünsche, den Status von Flüchtlingen zu schwächen, oder gar die Forderung, ein Staat möge aus einer der Konventionen oder Richtlinien aussteigen, zielen vielfach auf ein Kernstück des Flüchtlingsschutzes ab: den Grundsatz der Nichtzurückweisung, auch Non-Refoulement-Prinzip genannt. Es besagt, dass die Personen in Staaten, in denen ihnen Folter oder andere unmenschliche Behandlung droht, nicht zurückgeführt werden dürfen; auch dann nicht, wenn sie im Aufnahmestaat Gesetze übertreten oder gar Verbrechen begangen haben.

In der Genfer Flüchtlingskonvention ist es in Artikel 33 niedergeschrieben, in der Europäischen Menschenrechtskonvention bezieht es sich auf Artikel drei, das Folterverbot. Dieses gilt absolut. Das unterscheidet von anderen Menschenrechten, etwa jenem auf Freiheit, das angesichts der Corona-Pandemie eingeschränkt wurde – und werden konnte.

Historisch gewachsen ist das Non-Refoulement-Prinzip aus den Erfahrungen im Nationalsozialismus. Damals wurden jüdische Flüchtlinge und andere von den Nazis verfolgte Menschen in großem Stil nach Deutschland und damit in die Vernichtungslager zurückgeschickt. Das sollte nie wieder geschehen. Grausame Diktaturen, in denen nicht gezögert würde, rückgeführte Personen zu foltern oder zu töten, gibt es aber auch heute (Irene Brickner, Sandra Schieder, 14.11.2022)