Im Gastblog zeigt Kurt Tutschek einen Kalender, dessen Werbeinhalt sich zwischen Leben und Tod bewegt.

Antikamnia, das umfassende Allheilmittel gegen eine Vielzahl von Erkrankungen! Kopfschmerzen, Neuralgien, rheumatische und Ischiasbeschwerden, Erkältungen, Grippe, Frauenleiden und so weiter bekämpfen Sie erfolgreich mit Antikamnia! Bereits eine Tablette wirkt schmerzlindernd und fiebersenkend.

So die heilsversprechende Werbebotschaft der Antikamnia Chemical Company (1890-1930), die mit ihrem Schmerzmittel Antikamnia große Profite erzielen konnte. Wirksam war die Substanz, die in den Tabletten hauptsächlich zum Einsatz kam, tatsächlich: Acetanilid gehört zu den ersten synthetisch hergestellten Schmerzmitteln.

Antikamnia Tabletten
Foto: Cooper Hewitt, Smithsonian | gemeinfrei

Das kleine Problem dabei: die chemische Verbindung Acetanilid wirkt toxisch und kann vor allem bei Verabreichung in hohen Dosen zu Sauerstoffunterversorgung im Gewebe und bis zum Tod führen. 

Totenkopf als Werbung gegen den Tod

Das Wundermittel kam in unterschiedlichen Varianten in den Verkauf. Hilfesuchende konnten  Antikamnia-Pulver und -Tabletten, Antikamnia und Kodein, Antikamnia und Chinin, sowie Antikamnia und Heroin verschreibungsfrei erwerben.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Antikamnia Chemical Company in den Jahren um 1900 auf die glorreiche Idee verfiel, ihr potenziell tödliches Produkt mit makabren Kalendern zu bewerben, in denen adrett gekleidete Skelette (um genau zu sein: nur die Schädel der Protagonisten sind skelettiert) ihren Alltagsgeschäften nachgingen. Die Skelette sollten wohl die Botschaft transportieren, dass die Behandlung mit Antikamnia auch den Tod zu besiegen imstande ist. Obwohl das Medikament nie patentiert wurde und nicht verschreibungspflichtig war, hofften die Hersteller, dass diese Werbegeschenke die Ärzte und Ärztinnen dazu bringen würden, die Produkte zu empfehlen. Der Kalender in limitierter Auflage für die Jahre 1897 bis 1901, wurde vom Arzt und Künstler Louis Crusius illustriert. Leider überlebte Crusius die Publikation seiner Kalender nicht – er starb 1898 im Alter von 35 Jahren an einem Nierenkarzinom.

Es sei darauf hingewiesen, dass die vorliegenden Abbildungen mit Stereotypen arbeiten, die dem antisemitischen und rassistischen Zeitgeist geschuldet sind.

Alles welkt
Foto: Cooper Hewitt, Smithsonian | gemeinfrei
Eine Knospe, die sich öffnet.
Foto: Cooper Hewitt, Smithsonian | gemeinfrei
Hier spricht der Experte.
Foto: Cooper Hewitt, Smithsonian | gemeinfrei
Skelett mit Schnitzmesser und Brille
Foto: Cooper Hewitt, Smithsonian | gemeinfrei
Junge Dame auf dem Fahrrad
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Dandy
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Der verlorene Sohn
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Cowboy
Foto: Cooper Hewitt, Smithsonian | gemeinfrei
Kleines Missverständnis
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Der Mann an der Bar
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Du hast die Schuhe schön!
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Der Feind des Arztes
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Die Diagnose
Foto: Cooper Hewitt, Smithsonian | gemeinfrei
Antikamnia – das einzig Echte
Foto: Cooper Hewitt, Smithsonian | gemeinfrei
Der erste Zahn
Foto: Cooper Hewitt, Smithsonian | gemeinfrei
Teuflisch
Foto: Cooper Hewitt, Smithsonian | gemeinfrei

Der erste Todesfall durch Antikamnia wurde bereits 1891 gemeldet, gefolgt von einer steigenden Zahl von Fällen im Laufe der Jahre. Nach der Verabschiedung des "Pure Food and Drug Act" von 1906, der die Kennzeichnung gefährlicher Arzneimittel vorschrieb, ersetzte das Unternehmen Acetanilid durch ein weniger toxisches Derivat. Dennoch ging es in den Folgejahren mit der Firma immer weiter bergab. Sie wurde im Jahr 1930 verkauft. Andere Schmerzmittel kamen auf den Markt, in denen der toxische Inhaltsstoff Acetanilid durch das besser verträgliche Paracetamol ersetzt wurde. Was bleibt, sind die schaurig-schönen Kalenderblätter von Louis Crusius, die bis zum heutigen Tag ihren makabren Charme nicht verloren haben. (Kurt Tutschek, 19.11.2022)

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Update 21.11.: Dieser Beitrag wurde um eine Kontextualisierung der Bilder ergänzt.