Freundliche Nasenlöcher: Joe Biden und Xi Jinping.

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Es war das erste Mal in knapp zwei Jahren gemeinsamer Amtszeit an der Spitze ihrer Staaten, als Xi Jinping und Joe Biden am Montag im indonesischen Bali persönlich aufeinander getroffen sind. Drei Stunden dauerte das Gespräch zwischen dem US-Präsidenten und dem chinesischen KP-Chef. Und alles in allem dürfte es positive Zeichen gesetzt haben. Allerdings bleiben viele Interpretationsunterschiede. So fand sich in der amerikanischen Zusammenfassung des Gesagten die auch auf die Ukraine gemünzte Formulierung, dass "ein Nuklearkrieg nicht zu gewinnen ist und unbedingt vermieden werden muss". Der Passus fehlte allerdings in der chinesischen Version.

China unterstütze eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland. Auch sollten die USA, die Nato und die EU einen umfassenden Dialog mit Russland führen. Offensichtlichen Dissens gab es allerdings auch: Xi betonte, dass die Taiwan-Frage den Kern der chinesischen Interessen und den Kern der chinesisch-amerikanischen Beziehungen berühre. Biden wiederum sagte, er erkenne derzeit "keine Versuche Chinas, Taiwan anzugreifen".

Der Ukraine-Krieg dominiert auch den G20-Gipfel in Indonesien. Die Abschlusserklärung soll eine Verurteilung Russlands beinhalten.
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Thema war außerdem das mit China verbündete Nordkorea, wo der Diktatur Kim Jong-un jüngst wieder Raketentests hatte durchführen lassen. Biden sei "zuversichtlich, dass China nicht wolle, dass Nordkorea den Konflikt weiter eskaliere", ließ er danach wissen.

Bisher nur Telefonate

Der Grund, wieso es erst nach rund zwei Jahren Biden an der Spitze der USA zum Treffen kam: Xi hatte in den vergangenen drei Jahren China wegen der Corona-Pandemie überhaupt nicht verlassen und war erst im September nach Usbekistan gereist, um dort die Führer mehrerer zentralasiatischer Staaten und Russlands zu treffen. Zuvor hatten die beiden Staatschef insgesamt fünfmal miteinander telefoniert.

Die chinesische Presse jedenfalls kommentierte das Treffen positiv. So schrieb die chinesische Tageszeitung "Global Times", über die Peking gerne die eigenen Gedanken in die Welt trägt, zum Händeschütteln der beiden: "Diese lang erwartete Szene zwischen China und den USA hat die angespannten Emotionen der Welt inmitten verschiedener Krisen und Herausforderungen rechtzeitig entspannt und getröstet." In den vergangenen zwei Jahren nämlich hätten die chinesisch-amerikanischen Beziehungen einen Tiefpunkt erreicht, und "viele Menschen in China fürchteten einen neuen Kalten Krieg". Auch die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua kommentierte, "die amerikanisch-chinesischen Beziehungen dürften kein Nullsummenspiel sein".

Pragmatische Sichtweisen

Tatsächlich sind die grundsätzlichen Streitpunkte zwischen den beiden Supermächten noch immer groß: Nach wie vor gibt es eine große Asymmetrie in den Handelsbeziehungen, wo China geltende Regeln der Welthandelsorganisation systematisch unterläuft. Streit gibt es auch bei Bilanzierungsvorschriften: Zahlreiche chinesische Unternehmen wie der Onlineshopping-Gigant Alibaba sind an amerikanischen Börsen notiert, halten sich aber nicht an die dort geltenden Regeln.

Gleichzeitig dürften beide Staaten großes Interesse daran haben, die Konjunktur in beiden Ländern wieder zum Laufen zu bringen: Während China unter einer schwelenden Immobilienkrise leidet, haben die USA mit der höchsten Inflation seit den Siebzigern zu kämpfen. Gestörte Lieferketten und ein verminderter Warenfluss aus China tragen ebenfalls zu Preissteigerungen bei.

Xi von Krieg überrascht?

Aktuell sorgt auch für Spannungen, dass sich Peking nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligt, sondern im Gegenteil als Ausweichmarkt für Russland bereitsteht: Pekings Energieimporte aus dem Nachbarstaat sind seit Beginn des Krieges nur gestiegen. Aber auch hier könnte sich eine Wende andeuten. Kurz vor dem Treffen war ein Bericht in der "Financial Times" erschienen, dem zufolge Xi ebenfalls von der russischen Invasion in der Ukraine überrascht worden sein soll. Der Bericht beruft sich auf eine anonyme Quelle. Putin und Xi hatten kurz vorher bei den Olympischen Spielen in Peking ihre "ewige Freundschaft" verkündet. Sollte Xi tatsächlich nichts von Putins Plänen gewusst haben, eröffnet diese Nachricht – ob lanciert oder nicht – Möglichkeiten zu einer engeren Verständigung zwischen den USA und Peking.

Zu viel Optimismus ist aber auch nicht angebracht: Bei einer UN-Abstimmung zur Registrierung von Kriegsschäden in der Ukraine, die später einmal als Grundlage für Reparationszahlungen dienen könnte, stimmte China erneut für Russland – gemeinsam mit dem Iran, Venezuela, Nordkorea und Kuba. (Philipp Mattheis, 15.11.2022)