Danke der Nachfrage: alles gut. Aber dass einige Leserinnen und Leser dieser Kolumne fragten, welches Wehwehchen mich daran hinderte, bei Wien Rundumadum mitzulaufen, ist wirklich nett. Danke dafür.

Es ist nur eine Kleinigkeit. Ein Zwicken unter der angeblich auch als "Sehnenplatte" bekannten Muskelregion in der linken Pobacke. Mitunter auch "Läuferstich" genannt. Eine Uraltverletzung, die sich eben hin und wieder meldet. Bevorzugterweise dann, wenn ich die "begleitenden Maßnahmen" schleifen lasse: Yoga etwa. Oder Dehnen. Oder Blackroll-Eigenfolter. Oder alles zusammen.

Foto: Tom Rottenberg

Natürlich könnte man über so was auch drüberlaufen. Im Wortsinn. Weil dieses Aua zu jenen Problemchen gehört – zumindest in meinem Fall –, die durch die Kombi aus aufgewärmter Muskulatur und Freude am Laufen rasch übertüncht werden. Bis zu einem gewissen Punkt halt.

Dass das nicht schlau ist, ist eh klar. Aber: Oft ist der Spaß an dem, was man tut, eben wirkmächtiger als die Vernunft.

Foto: Tom Rottenberg

Ich gehe einmal davon aus, dass das jede und jeder eh sehr gut kennt. Nicht nur vom Sport: Am nächsten Tag wird es halt wehtun, wird man dafür bezahlen – aber demnächst, spätestens übermorgen, werden dann Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Nachhaltig. Ab da wird alles anders. Ob man mit dem Rauchen oder Trinken aufhört, die Treppe statt des Lifts nimmt, weniger Fleisch isst, die Blackroll von ihrem Schicksal als Blumentopfuntersetzer befreit oder mit dem Faszienball nicht nur die Katze unterhält, ist da eigentlich egal.

Foto: Silvia Petritsch

Oder aber die Motivation, das zu tun, wofür man danach "bezahlen" muss, sinkt: Mit einem Anlaufschmerz in der Pobacke macht Laufen definitiv weniger Spaß – auch wenn das Aua nach ein paar Minuten verschwindet. Mit einem Ziel oder einer Aufgabe – egal ob eine Laufgruppen oder irgendein Bewerb – ist die Sache klar: Man beißt rein.

Nur: Die Saison für Firmenlaufgruppen endet meist nach dem Business- oder dem Nightrun. Und nach Berlinmarathon und Wolfgangseelauf stand eigentlich nix mehr im Wettkampfplan: Willkommen in der "Offseason".

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Die ist bei mir jedenfalls ein Loslassen. Und das beginnt im Kopf: "Sterben mit Anlauf" beim Bahn- und Intervalltraining? Wozu? Die Vereinsbuddys kann ich (wenn der Nebel nicht zu dicht ist) auch sehen, wenn ich einfach so vorbeikomme – und einfach nur "blödmannlaufe".

"Blödmannlaufen"? So nennt Harald Fritz, der Mann, der meine Trainingspläne schreibt, das Einfach-nur-so-Rennen ohne Plan, Ziel oder tieferes Konzept. Ohne jeden Druck. Und auch wenn das mega-abfällig bis superabwertend klingt, weiß gerade der Sportwissenschafter: Blödmannlaufen ist wichtig. Nicht nur in der Offseason, aber da besonders.

Foto: Stefan Langer

Die Sache mit den Pausen richtig zu behirnen oder zu verordnen, erklärt Harald (im roten Gilet), sei oft gar nicht so einfach. Nicht nur in der Nachsaison, sondern auch in der "regulären" Trainingsplanung. Obwohl es nach Binsenweisheit klingt, sei vielen Menschen nämlich eines nicht bewusst: "Training, der Aufbau, ist nie eine gerade Linie, sondern immer eine Wellenbewegung aus Be- und Entlastung." Auch weil (grob vereinfacht und unwissenschaftlich gesagt) man nicht unter Volllast, wenn man knapp nicht kollabiert, stärker wird, sondern danach. In der Erholungsphase. Wenn Speicher wieder aufgefüllt werden.

Foto: Tom Rottenberg

So simpel und schlüssig das klingt: Auch erfahrene, "starke" Athletinnen und Athleten tappen da immer wieder in die Falle, zu glauben, dass sie alles "verlieren", sobald sie einmal zwei Wochen nicht laufen.

Natürlich braucht der Körper dann ein bisserl Anlauf – aber das, was man sich kontinuierlich und nachhaltig erarbeitet hat, verschwindet nicht so rasch. So wie man Skifahren ja auch nicht "verlernt", wenn man es ein oder zwei Winter nicht tut. Freilich: Sich zum Saisonstart und unaufgewärmt die Streif Vollgas runterzulassen, wäre das Gegenteil von schlau.

Obwohl gerade beim Skifahren genau das nicht unüblich ist. (Anderes Thema, ich weiß.)

Foto: Tom Rottenberg

Aber zurück zur "Offseason". Die beginnt zuerst einmal im Kopf. Und gerade für Leute, die so aufgestellt sind wie ich, ist es hilfreich, sie als Chance zu sehen. Als Möglichkeit. Als Option, Altlasten, Probleme und Wehwehchen und Ähnliches in Angriff zu nehmen, die man das ganze übrige Jahr über weggeschoben, kleingeredet oder sonst wie marginalisiert hat. Indem man sie übergangen hat und – wie schon gesagt – "drübergelaufen" ist.

Foto: Tom Rottenberg

Ich gehöre zu jener Sorte Menschen, die Trainingspläne als willkommene Struktur sehen. Mein Privileg: Ich kann meinen Alltag, auch beruflich, meist recht gut um diese Pläne herum wickeln. Aber auch mit geregelten Nine-to-five-Arbeitszeiten waren sie für mich selten Bevormundung, beschränkend oder gar einengend: Wenn es sich so anfühlt, läuft etwas falsch. In solchen Fällen habe ich sie immer schlicht ignoriert. Oder adaptiert: Nach all den Jahren weiß ich ja auch selbst (zumindest in etwa), wie der Hase zum Laufen gebracht wird. Aber: Ich persönliche funktioniere eben besser, wenn der Impuls und damit auch das Feedback von außen kommen. Da ist jeder, da ist jede anders gestrickt.

Foto: Tom Rottenberg

Das gilt dann auch für die Pausen. Natürlich ist es etwas seltsam, dass ich mich leichter damit tue, genau das zu tun, was mir im Moment Spaß macht, wenn das so im Trainingsplan steht. Nur: Was wirkt, das gilt – und fertig.

"Ja, Menschen mit einem hohen Aktivitätslevel muss man mitunter tatsächlich sagen, dass sie ein paar Tage auf der Couch ohne schlechtes Gewissen auch einfach genießen dürfen," lacht Harald Fritz. Obwohl: Ums schlechte Gewissen geht es da in der Regel eh nicht.

Foto: Tom Rottenberg

Denn lange bevor das einsetzt, meldet sich da bei Menschen, die so aufgestellt sind, etwas ganz anderes: die Sehnsucht nach, die Lust an Bewegung. Okay, vielleicht ja auch ein wenig Sucht. Obwohl natürlich immer nur andere Leute süchtig sind – man selbst hat alles im Griff. Ja, auch wenn man bei zehn Grad im Regen Freiwasserschwimmen geht …

Ich verstehe das gut: Wenn ich nicht krank bin, empfinde ich zwei Tage ohne Sport als menschenunwürdige Bestrafung. Blöderweise kommt so was aber hin und wieder auch ganz von selbst vor – weil sich arbeitstechnisch manchmal halt tatsächlich nix ausgeht.

Foto: Tom Rottenberg

Wenn Menschen wie ich nicht rauskommen – oder einfach zu wenig Bewegung machen, tut mir mein/ihr Umfeld leid. Und ich weiß, dass ich da nicht allein bin: Eine gute Freundin, von Beruf Aerobictrainerin und Personalcoach, fragte ihren Freund einst, was er sich zum Geburtstag von ihr wünsche. "Einen Tag mit dir – ganz ohne Sport", lautete die Antwort. Am frühen Nachmittag schickte er sie dann "laufen, Rad fahren, klettern, wurschtwasmachen – sonst wären wir heute nimmer zusammen".

Foto: Tom Rottenberg

Was das alles mit der "Offseason" zu tun hat? Sehr viel: Gerade weil "Offseason" eben nicht bedeutet, gar nichts zu tun.

Dass der "Läuferstich" sich, wenn man ihn sich einmal eingetreten hat, unter anderem davon "ernährt", dass man beim Laufen das Bein über den Gluteus maximus, die Gesäßmuskulatur, hebt, bringt mich dann eben aufs Rad: Dort wird tendenziell nicht gehoben, sondern gedrückt. Eine 20-k-Etappe bei WRUM wäre unlustig gewesen – kumuliert über sieben Stunden als "Begleitpony" auf dem Rad zu sitzen waren aber keine Sekunde ein Problem.

Foto: Tom Rottenberg

Aber natürlich löst das das Problem selbst nicht. Dafür braucht es andere Maßnahmen. Endlich wieder vernünftig und regelmäßig Yoga machen. Oder Pilates. Also eine strukturierte Kombination aus Dehnen, Kräftigen und Balanceübungen – gerne auch mit Überbau für Kopf und Seele. Oder einfach und daheim: Faszienrolle und Faszienball nicht nur besitzen, sondern auch verwenden.

Tatsächlich aufwärmen, bevor man losrennt – besonders in der nassen, trüben Kälte des Wiener Herbstes.

Foto: Tom Rottenberg

Aber vielleicht ja auch der Kälte entfliehen. "Ausspannen im Warmen, oder einfach anderswo. Das löst vieles – auch im Kopf", stand in meinem letzten Trainingsplan.

Wenn es sich irgendwie einrichten lässt, befolge ich Trainingspläne. Manche zähneknirschend – manche aber wirklich sehr gerne. Denn: Wer bin ich, meinem Trainer zu widersprechen? Erst recht, wenn er mich auf Urlaub schickt?

Aber das ist eine andere Geschichte. (Tom Rottenberg, 15.11.2022)


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Foto: Tom Rottenberg