ÖVP-Klubchef August Wöginger will die Menschenrechtskonvention ändern und hat mittlerweile viele Fürsprecher in der Volkspartei.

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Seit Tagen hält die ÖVP ein Thema am Laufen: die Überarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). ÖVP-Klubchef August Wöginger hatte die Debatte in einem Interview im STANDARD am Wochenende losgetreten. Angesprochen auf eine Reform des europäischen Asylrechts plädierte er dafür, die EMRK überarbeiten zu wollen, denn: "Wir haben mittlerweile eine andere Situation, als es vor ein paar Jahrzehnten der Fall war, als diese Gesetze geschrieben wurden". Schuldig blieb der ÖVP-Klubobmann bislang, welche Änderungen genau er daran vornehmen möchte.

Nachdem Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Montag die Debatte eigentlich für beendet erklärt hatte, rückte am Dienstag eine ganze Reihe von ÖVP-Granden aus und befürwortete den Vorstoß Wögingers. Fast alle Länderchefs der Volkspartei pflichteten dem Klubchef bei.

Die Auslegung der EMRK "durch manche Gerichte" habe "mit dem Grundgedanken oft nur mehr wenig zu tun", sagte etwa Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Ähnliche Wortmeldungen kamen von anderen Landeshaupleuten. Für Burgenlands ÖVP-Chef Christian Sagartz, der auch stellvertretender Vorsitzender im Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments ist, sei "ganz klar – die über 70 Jahre alte Menschenrechtskonvention benötigt ein Update beim Thema Migration". Dieser fordert darüber hinaus auch eine Überarbeitung der Genfer Flüchtlingskonvention.

Othmar Karas "fassungslos"

Harsche Kritik ernteten die Fürsprecher einer Änderung der EMRK von ihrem Parteikollegen Othmar Karas, einem der Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments. Wer die EMRK "in Frage stellt, sägt an einem Grundpfeiler unserer Demokratie. Dass dieser Vorstoß aus der ÖVP weiter Unterstützung findet, macht mich fassungslos und bedarf einer klaren Zurückweisung", schieb Karas auf Twitter.

Der sonst beim Asylthema um keine Wortspende verlegene Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) will sich auf Anfrage des STANDARD nicht zu Wögingers Vorstoß äußern. Ein Sprecher verweist lediglich auf die Stellungnahme von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler – damit sei alles gesagt. Diese hatte Wögingers Ansinnen mit scharfen Worten zurückgewiesen. Mehrfach betonte sie am Montag, dass die EMRK für sie "außer Zweifel" stehe und "nicht verhandelbar" sei. Zunächst ebenfalls nicht äußern wollte sich Kanzler Karl Nehammer.

ÖVP will EU "wachrütteln"

Zufällig fallen gelassen dürfte Wöginger seine Aussagen jedenfalls nicht haben. Vielmehr sieht es danach aus, als hätte der ÖVP-Klubchef vor dem Hintergrund der aktuellen Asylsituation in Österreich bewusst eine Debatte lostreten wollen. Dem Vernehmen nach dürfte das parteiintern auch akkordiert gewesen sein. Dafür spricht die wachsende Zahl der Partei-Promis, die Wögingers Vorstoß unterstützen.

Hinter vorgehaltener Hand räumt man in der Volkspartei ein, dass eine Überarbeitung der Menschenrechtskonvention wenig realistisch sei. Vielmehr gehe es aber ohnehin darum, eine unmissverständliche Botschaft in Richtung Europäische Union zu richten. "Die steigenden Asylzahlen beschäftigen Österreich seit Monaten. Die EU muss aufwachen, und wir versuchen sie wachzurütteln", heißt es.

Dass sich mit populistischen Ansagen zum Thema Asyl und Migration im rechten Wählersegment billig punkten lässt, könnte ebenfalls ein Motiv für Wögingers Aussagen sein. So gesehen wäre die Aktion ein Versuch, der in Umfragen immer stärker werdenden FPÖ das Wasser abzugraben – nicht zuletzt aufgrund der bevorstehenden Landtagswahl in Niederösterreich am 29. Jänner.

In der ÖVP stellt man das in Abrede: "Das ist keine Debatte, die wir aus Spaß führen. Uns geht es einzig darum, die Aufmerksamkeit auf ein reales Problem zu lenken." Auch als Ablenkungsmanöver von der eigenen desolaten Lage angesichts von Korruptionsermittlungen und Umfragen im Sturzflug, will man den Vorstoß nicht verstanden wissen.

Grüne fordern "Aufschrei in der ÖVP"

Eine deutliche Abfuhr mit seinem Vorstoß holte sich der ÖVP-Klubchef wenig überraschend beim grünen Koalitionspartner. Am Dienstag hat Gebi Mair, Klubobmann der Tiroler Grünen, einen "Aufschrei in der ÖVP" gefordert. Er erwarte sich, dass ÖVP-Vertreter sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene, klarstellten, dass die Forderung von Wöginger "nicht der Haltung der christlich-sozialen Partei entspricht". Aktuell passiert allerdings genau das Gegenteil. Auch Regina Petrik, Klubobfrau der Grünen im Burgenland, weist das Ansinnen scharf zurück: Die EMRK "infrage zu stellen, um auf der Populismuswelle ein paar Punkte bei verloren gegangenen Wählern zu sammeln, ist absolut abzulehnen".

Darüber hinaus bezeichnete Justizministerin Alma Zadić (Grüne) die Europäische Menschenrechtskonvention als "unverhandelbar". Ganz ähnlich äußerte sich der grüne Sicherheitssprecher und Rechtsanwalt Georg Bürstmayr am Wochenende auf Twitter: "Nein, ÖVP. Das ist #nichtverhandelbar." Ebenfalls bereits am Wochenende ließen die Grünen in einer schriftlichen Stellungnahme wissen, dass es in Bezug auf die EMRK "keinerlei Änderungsbedarf" gebe. Die Menschenrechtskonvention sei "eine großartige Errungenschaft der europäischen Staatengemeinschaft" und sichere "die Einhaltung der Menschenrechte". "Die ÖVP ist aufgerufen, sich an der tatsächlichen Lösung der Probleme zu beteiligen, anstatt populistische Ablenkungsmanöver zu starten und die Menschenrechte infrage zu stellen." (Sandra Schieder, 15.11.2022)