Die Sorge vieler Feministinnen ist groß, dass Giorgia Meloni einen Rückbau von Frauenrechten anstoßen könnte.

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"Herzlichen Glückwunsch an Giorgia Meloni zu ihrer Ernennung zur italienischen Premierministerin, der ersten Frau in diesem Amt", twitterte Ursula von der Leyen Mitte Oktober. Der Glückwunsch-Tweet der Kommissionspräsidentin sorgte selbst in der deutschen Regierung für Unmut. "Das ist kein Feminismus", kommentierte Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Giorgia Meloni, Vorsitzende der rechtsradikalen Fratelli d’Italia, schreibt als erste Frau im Amt der Ministerpräsidentin Geschichte – ein Erfolg, der vielerorts verhalten gefeiert wird.

"Es gibt in Italien durchaus liberale Feministinnen, auch einige ältere Feministinnen, die sich über Meloni als erste Ministerpräsidentin freuen. Ich gehöre sicher nicht dazu", sagt Marta, feministische Aktivistin aus Ligurien, im STANDARD-Gespräch. Marta, die nur ihren Vornamen nennen möchte, ist aktiv bei Non una di meno ("Nicht eine weniger"). Die italienweit vernetzte feministische Bewegung kämpft nach Vorbild der argentinischen Schwesterorganisation gegen patriarchale Gewalt.

In der Hafenstadt La Spezia, wo sich eine kleine Gruppe von Non una die meno gegründet hat, verteilen Marta und ihre Mitstreiterinnen regelmäßig Flyer mit Infos für Gewaltopfer, sie organisieren Kooperationen mit Bars und Geschäften und kleben Sticker auf Straßenlaternen. "Unser Kampf ist ein Kampf gegen das Patriarchat und dafür, unser Leben selbst bestimmen zu können", sagt Marta. Giorgia Meloni und ihre rechte Regierung passen nicht in diese Vision. "Meloni hat keine Schranken, keine gläserne Decke durchbrochen. Sie verkörpert vielmehr das Patriarchat", sagt Marta.

Ausgehöhltes Abtreibungsrecht

Die Sorge ist groß, dass die Regierung Meloni einen Rückbau von Frauenrechten anstoßen könnte. "Meloni inszeniert sich als Verfechterin der Mütterlichkeit", sagt Simona Lembi, Mitglied des Sekretariats des Partito Democratico Emilia-Romagna. Nichts deute darauf hin, dass die Regierung eine emanzipatorische Gleichstellungspolitik forcieren werde.

Am 28. September, dem internationalen Tag für sichere Abtreibung, demonstrierten Italiener:innen quer durch das Land für den freien Zugang zum Schwangerschaftsabbruch. Seit 1978 ermöglicht das "Legge 194" eine Abtreibung innerhalb der ersten 90 Tage der Schwangerschaft. Doch der Zugang ist keineswegs gesichert. Im katholischen Italien nutzen viele Ärzt:innen das Recht, den Eingriff aus Gewissensgründen zu verweigern. "Es gibt Krankenhäuser, in denen kein einziger Gynäkologe oder keine einzige Gynäkologin Abtreibungen durchführt. In manchen Regionen ist es fast unmöglich, einen Termin zu bekommen", erzählt Aktivistin Marta.

Radikale christliche Abtreibungsgegner:innen sind in Italien sehr aktiv, so auch in Martas Heimatstadt La Spezia. "Sie gehen in das Krankenhaus und lassen ihre Broschüren dort, aber sie sprechen auch gezielt Frauen an, die eine Abtreibung wollen. Das ist im Grunde eine Form von Gewalt." Regelmäßig sammeln Marta und ihre Kolleginnen das Material im Krankenhaus ein – doch die Abtreibungsgegner:innen kommen immer wieder.

Dass Meloni ein Totalverbot des Schwangerschaftsabbruchs umsetzen will, glaubt Marta nicht. Im Wahlkampf beteuerte die Fratelli-d’Italia-Chefin, Abtreibung nicht verbieten, sondern Alternativen anbieten zu wollen. "In den Regionen, in denen ihre Partei regiert, werden sie bestimmt versuchen, den Zugang so hürdenreich wie möglich zu gestalten", sagt Marta.

Auch Simona Lembi befürchtet, dass Abtreibungsgegner:innen der Rücken gestärkt werde. "Der Schwangerschaftsabbruch, eine unverzichtbare Gesundheitsleistung, ist ständig rechten Angriffen ausgesetzt", sagt Lembi, die den Gleichstellungsplan der Stadt Bologna verantwortet.

Mutter, Vater, Kind

Eine reaktionäre Familienpolitik und eine Abkehr vom Feminismus sind für die Katholikin Meloni zentrale Anliegen. So sorgte die Bestellung von Familienministerin Eugenia Roccella jüngst für Aufsehen. Roccella, ehemalige Feministin aus Bologna, wandelte sich zur christlichen Fundamentalistin und lehnt heute den Schwangerschaftsabbruch ab. Die Ausrichtung der neuen Familienpolitik gibt schon die Umbenennung des Ressorts vor: Aus dem Ressort für "Gleichberechtigung und Familie" wurde das "Ministerium für Familie, Geburtenrate und Gleichberechtigung".

Tatsächlich ist die Geburtenrate in Italien enorm niedrig, 2021 fiel sie auf 1,24 Kinder pro Frau im gebärfähigen Alter. Statt auf einen Ausbau der Erwerbstätigkeit von Frauen und Kinderbetreuungseinrichtungen setzt die Regierung auf ein konservatives Familienbild, entsprechende Sozialleistungen sollen die Geburten ankurbeln. "Diese Regierung propagiert eine Vorstellung von heiler Mutter-Vater-Kind-Familie, die es so gar nie gegeben hat und die viele ausgrenzt", sagt Marta. Noch sei unklar, was politisch im Detail zu erwarten sei. "Aber es wird arme Frauen, Sexarbeiterinnen, die LGBTIQ-Community und migrantische Frauen wie so oft als Erste treffen", sagt Marta. Die Zeichen bei Non una die meno stehen auf Widerstand.

"Ich glaube, dass wir als Frauen eine starke Tradition des Widerstands und des Kampfes für die Bürger:innenrechte haben", sagt Simona Lembi. (Brigitte Theißl, 16.11.2022)