Wien – Die FPÖ hat in den vergangenen Wochen ihren Kurs beim Thema Zuwanderung verschärft. Für Aufregung bei Menschenrechtsorganisationen sorgte zuletzt eine neu veröffentlichten Website der FPÖ mit dem Namen "Bevölkerungsaustausch": Ein Dashboard zeigt dabei die aktuelle Zusammensetzung der Bevölkerung und die Bevölkerungsentwicklung im Kontext der Migration. Die FPÖ rechnet vor, dass Menschen ohne Migrationshintergrund in knapp 32 Jahren zur "Minderheit im eigenen Land" werden könnten.

Problematisch an der Website sei nicht nur der Name selbst, sondern auch die Verwendung des Modells, erklärt der Bevölkerungsgeograf und Professor an der Universität Wien, Karl Husa: "Die Annahmen und Begriffe, mit denen das Modell versehen wurde, sind fraglich." Auch die Statistik Austria, deren Daten für die Website verwendet wurden, bemängelt die Anwendung der Quellen und die Methodik des FPÖ-Tools.

Dass es sich bei "Bevölkerungsaustausch" um einen belasteten Begriff handelt, sieht FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz nicht. Man nenne das Problem schlicht beim Namen.
Foto: imago/ Michael Indra

Kritik an Definitionen und Methodik

Auf der Website der FPÖ wird aufgrund der offiziellen Datenlage zum Jahr 2021 angenommen, dass die Geburtenrate bei Menschen ohne Migrationshintergrund niedriger ist und auch in den nächsten Jahrzehnten niedriger bleibt als bei jenen mit Migrationshintergrund. Daher kommt die FPÖ zu dem Schluss, dass in den nächsten Jahrzehnten durch diese Unterschiede in der Geburtenrate die Bevölkerung mit Migrationshintergrund linear größer wird als der Rest der Bevölkerung.

Beide Bevölkerungsgruppen werden in dem Modell getrennt voneinander betrachtet und "vermischen sich nicht". Diese Annahme entspreche aber nicht der Realität, sagt eine Sprecherin der Statistik Austria zum STANDARD: "Betrachtet man die Eheschließungen 2021 nach Geburtsland der Brautleute, so war in rund 22 Prozent der Fälle jeweils eine Person in Österreich und die andere im Ausland geboren."

Auch die Definition des Migrationshintergrunds der FPÖ ist laut Statistik Austria nicht schlüssig. "Nachkommen haben in unserer Darstellung immer den gleichen Migrationshintergrund wie die Eltern", heißt es auf der Website der FPÖ.

Das sei irreführend, denn, so heißt es von der Statistik Austria: "Das würde behaupten, dass ein Migrationshintergrund ewig weitervererbt wird und somit auch Personen, deren beide Elternteile in Österreich geboren wurden, zu den Personen mit Migrationshintergrund zählen würden." Zudem hält das Statistikamt fest, dass keine Prognosen mit dem Merkmal Migrationshintergrund erstellt werden, sondern nur das Geburtsland erfasst wird.

FPÖ verteidigt sich

Man kritisiere ohnehin die gängige Definition des Migrationshintergrunds, eine Person solle bereits mit nur einem Elternteil aus dem Ausland als Person mit Migrationshintergrund definiert werden, erklärt Silvio Hemmelmeyr, Landesobmann der Freiheitlichen Jugend Oberösterreich (FJ), auf Anfrage des STANDARD. Die getrennte Betrachtung, die vom statistischen Amt als Kritikpunkt gesehen wird, ist laut dem Oberösterreicher aus diesem Grund notwendig.

Kritik am Modell

Das auf der Website der FPÖ angewandte Modell hat laut Bevölkerungsgeograf Husa außerdem ein paar Schwächen: "Bevölkerungsprozesse sind nie linear. Wir wissen einfach nicht, wie sich der Migrationshintergrund der Bevölkerung in Jahrzehnten entwickeln wird. Das hängt unter anderem von ökonomischen und politischen Prozessen ab."

Bei dem verwendeten Verfahren kam die sogenannte Leslie-Matrix ins Spiel, mit der die Bevölkerungsentwicklung analysiert wird. Das mathematische Modell könne nur mit vorher getroffenen Annahmen arbeiten, "langfristige Aussagen in Bezug auf Migration sind aber kaum möglich, da die getroffenen Annahmen meist nicht halten", sagt Husa.

Als Beispiel nennt er die in den 1980er-Jahren größere Geburtenrate bei türkischen Frauen in Österreich. "Hätte man das Modell vor 40 Jahren angewandt, wäre man auch zu der Rechnung gekommen, dass die Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Österreich heute überwiege, das traf aber nicht ein", erklärt Husa. Gerade Migrationsmodelle seien heikel zu berechnen, da deren Berechnung auch stark mit den Herkunftsländern zusammenhänge und sich diese mit der Zeit ändern, so Husa.

Prognose der Bevölkerung

Es sei klar, dass die Veränderung der Bevölkerung nicht genau vorhergesagt werden könne, "wir zeigen jedoch deutlich auf, was passieren wird, wenn der derzeitige Kurs beibehalten wird", verteidigt FJ-Landesobmann Hemmelmeyr die Website. Zudem sei die Zahl der Migrantinnen und Migranten in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen.

Die Statistik Austria weist darauf hin, dass die auf der Website dargestellte Bevölkerungsentwicklung nicht den Ergebnissen ihrer eigenen Bevölkerungsprognose entspricht: "Es wurde eine andere Berechnungsmethode gewählt als die in der amtlichen Statistik übliche verwendete Kohorten-Komponenten-Methode."

Debatte um Namen der Website

Kritisiert wird die FPÖ auch von Menschenrechtsorganisationen für die Bezeichnung der Seite. Dass es sich bei "Bevölkerungsaustausch" um einen belasteten Begriff handelt, sieht Schnedlitz nicht. Man nenne das Problem schlicht beim Namen. Zu finden sei der Begriff aber auch im Framing der rechtsextremen Identitären, kritisiert SOS Mitmensch. Zudem wird der Begriff von den neuen Rechten in Kombination mit Verschwörungstheorien verwendet und ist höchst umstritten.

"Ich weiß, viele Menschen haben Probleme mit dem Begriff", sagt Hemmelmeyr, aber: "Ich glaube nicht, dass Statistik etwas Rechtsextremes ist." Da das Innenministerium der freiheitlichen Forderung nach einem Asyl-Dashboard nicht nachgekommen sei, wolle die FPÖ mit dem Tool auf die nach ihrer Sicht "gigantische Migrationswelle" aufmerksam machen. "2015 wiederholt sich, und es wird wohl sogar noch schlimmer werden", sagt Schnedlitz. (Max Stepan, APA, 16.11.2022)