Im Transparenzblog "So sind wir" berichtet die STANDARD-Redaktion über die eigene Arbeitsweise. Nach welchen medienethischen Grundregeln handeln wir? Aus welchen Fehlern lernen wir? Wir machen unsere Selbstreflexion öffentlich.

Unterschiedlichen Meinungen Raum zu geben ist seit jeher ein wesentlicher Bestandteil der Blattlinie des STANDARD.
Foto: DER STANDARD

Seit Jahren stehen negative Aspekte im Vordergrund, wenn es um Diskussionen im Internet geht. Der Fokus liegt auf Hass im Netz, wie das gleichnamige Gesetzespaket zeigt, das 2021 in Kraft getreten ist. Diese Perspektive überträgt sich auch auf unsere Arbeit in der Forenmoderation. Wir sind ein von der Redaktion unabhängiges Team, das aus 16 Moderatorinnen und Moderatoren besteht. Von früh bis spät lesen und schreiben wir in den Foren des STANDARD mit. Viele reduzieren unsere Tätigkeit jedoch auf das Löschen.

Ehrlich gesagt: Uns ärgert das. Niemand von uns löscht gerne. Ein Posting zu entfernen ist die letzte Möglichkeit, die uns bleibt, wenn keine andere Maßnahme zielführend ist. Wir versuchen, falsche Behauptungen anhand von Fakten richtigzustellen, und fragen bei unbelegten Aussagen nach Quellen, statt sie einfach zu löschen. Wir wollen einen Diskurs ermöglichen – und das können wir mit der Unterbindung von Äußerungen unmöglich schaffen.

Wie wir unsere Arbeit verstehen

Vielmehr versuchen wir Wege zu finden, eine konstruktive Diskussion zu fördern. So heben wir Postings hervor, die sachlich und gut argumentiert sind, um damit weitere bedachte Wortmeldungen anzuregen. Zudem leiten wir wertvolle Hinweise in einem täglichen Bericht an die Redaktion weiter, woraus neue Artikel entstehen können.

Neben dieser alltäglichen Aufgabe versuchen wir unsere Community besser kennenzulernen und ihre Stärken zu nutzen. Beispielsweise suchen wir nach Posterinnen und Postern, die zu bestimmten Themen eigene Formate betreuen möchten. So können in der Community kleinere Gruppen und Freundschaften entstehen, die sich über Jahre halten.

Das Forum ermöglicht dem STANDARD, direkt mit der Leserschaft in Kontakt zu treten und von ihr zu lernen. Unsere Aufgabe als Moderatorinnen und Moderatoren ist, konstruktive Kommentare zu finden und zu fördern. Je nach Thema ist das unterschiedlich schwer. Wenn Userinnen und User persönliche Geschichten erzählen, wie zum Beispiel zur Trauer, ist das Forum berührend zu lesen und schön zu moderieren. In diesen Foren ist der Umgang empathisch und respektvoll.

Warum wir nicht leichtfertig löschen

Schwieriger sind hingegen polarisierende Themen wie Corona, Ukraine-Krieg oder Migration. Hierzu kursieren Falschmeldungen, und Meinungen driften stark auseinander, weshalb Diskussionen emotional geführt werden, oft im Streit enden und unsere Moderation gefragt ist.

Wenn polarisierende Themen das Nachrichtengeschehen beherrschen, beanspruchen sie große Teile unserer Ressourcen. Das Lesen tausender Postings ist herausfordernd und erschwert es uns, aktiv und deeskalierend in die Diskussion einzugreifen. Da wir oft nicht die Zeit finden, auf jedes problematische Posting einzugehen, müssen wir in solchen Foren vermehrt Beiträge entfernen. Doch einfach machen wir es uns damit nicht.

Die Grenze des Zulässigen zu bestimmen ist oftmals schwer. Als Grundlage gelten die Community-Richtlinien, die alle Userinnen und User beim Registrieren akzeptieren. Die Richtlinien schreiben unter anderem themenbezogene, respektvolle, sachliche und werbefreie Diskussionen vor. Zudem haben Diskriminierung, Beleidigungen oder obszöne Sprache keinen Platz. Um die Community vor Strafen zu schützen, gelten außerdem Rechtsvorschriften, auf deren Einhaltung wir mithilfe juristischer Unterstützung achten.

Tagtäglich treffen wir tausende Entscheidungen, von denen die meisten eindeutig sind. In manchen Fällen lässt sich allerdings nicht eindeutig feststellen, ob ein Posting den Richtlinien entspricht oder nicht. Es gibt kein "richtig oder falsch", sondern es kommt auf den Kontext, die Lesart, die Sensibilität und das Wissen der entscheidenden Person an. Nicht immer ist es für Userinnen und User nachvollziehbar, warum ein Posting gelöscht wird. Deshalb ist es für uns im Team wichtig zu diskutieren und eine möglichst einheitliche Linie zu finden, auch wenn uns das nie ganz gelingen wird.

Bei Zeitmangel sind Löschungen die schnellste Maßnahme, trotzdem sollten sie stets der letzte Schritt sein. Ein Posting zu entfernen ist eine kurzfristige Lösung, da der direkte Austausch bei grenzwertigen Inhalten zielführender ist. Ausgenommen sind potenziell rechtswidrige Postings, die wir entfernen müssen. Dennoch versuchen wir, mehr Zeit für aktive Moderation zu schaffen, um letztendlich auch weniger Beiträge löschen zu müssen.

Wieso wir die Hilfe der Community brauchen

Ohne aktive Moderation bilden sich häufig zwei Lager mit völlig unterschiedlichen Ansichten: Statt eines Diskurses entsteht Streit. Das schreckt jene ab, die an einer konstruktiven Diskussion interessiert sind. Zudem wird das Forum auch für alle unattraktiver, die zwar lesen, aber nicht selbst kommentieren. Da die meisten Menschen nur mitlesen, ist es für uns auch wichtig, für sie zu moderieren.

Wir suchen ständig nach neuen Wegen, die eine angemessene Diskussionskultur in unseren Foren fördern. In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Forschungsinstitut für Artificial Intelligence (OFAI) wurden verschiedene Werkzeuge erstellt, die problematische, aber auch besonders wertvolle Postings finden. Das jüngste gemeinsame Projekt "FemDwell" wurde kürzlich mit dem Medienlöwen ausgezeichnet und soll uns dabei unterstützen, die Foren von Sexismus freizuhalten. So wollen wir Frauen stärker in den Onlinediskurs einbinden.

Vor allem setzen wir aber auf jene Menschen, die das STANDARD-Forum täglich prägen: die Userinnen und User, die sachlich, fundiert und überlegt posten. Sie stellen falsche Behauptungen richtig, bitten um Quellen und melden Postings, die gegen die Richtlinien verstoßen.

Selbst wenn wir versuchen, möglichst viel mitzulesen und mitzuschreiben, können wir die täglich rund 50.000 Postings ohne die Hilfe der Community nicht moderieren. Eine aktive Community wirkt negativen Aspekten der Onlinekommunikation entgegen und zeigt, wie das Internet zu einer konstruktiven Diskussionskultur in der Gesellschaft beiträgt. Deswegen müssen wir die Stärken der STANDARD-Community ausbauen und nicht nur auf die Schwächen blicken. (Markus Hagspiel, Daniel Stornig, 17.11.2022)