Bei der "Presse" kann die Redaktion laut Statut Kandidatinnen und Kandidaten für die Chefredaktion mit Zweidrittelmehrheit ablehnen.

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Graz/Wien – Wer wird Chefredakteur der "Presse" nach dem Abgang von Rainer Nowak – oder Chefredakteurin? Aufsichtsräte und Vorstände des Mutterkonzerns Styria Media Group beraten in den kommenden Tagen, und das zentrale Thema lässt sich nach dem Rückzug Nowaks am Freitag vergangener Woche nicht schwer erraten. Ein Treffen des Styria-Vorstandsvorsitzenden in Wien sorgt für Spekulationen über die Besetzung.

Interimistisch hat die Redaktionsleitung Florian Asamer übernommen, bisher Stellvertreter von Rainer Nowak.

Als möglicher interner Kandidat wird etwa Christian Ultsch gehandelt, Außenpolitikchef und Leiter der "Presse am Sonntag". Innenpolitikchef Oliver Pink wurde ebenfalls genannt, soll aber nicht ganz so gute Karten haben.

Der ehemalige Wirtschaftschef und stellvertretende Chefredakteur der "Presse", Franz Schellhorn, wurde schon 2012 als möglicher Chefredakteur der bürgerlich-liberalen Qualitätszeitung gehandelt, als Michael Fleischhacker wegen strategischer Differenzen das Blatt verließ. Er ist seit 2013 Direktor des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria.

Das Recht auf Ablehnung

Die Styria entschied sich für Rainer Nowak, damals Innenpolitikchef; vielleicht auch, weil die "Presse"-Redaktion in ihrem Statut das Recht hat, über neue Chefredakteurinnen und Chefredakteure abzustimmen – und diese mit Zweidrittelmehrheit abzulehnen.

Das ist in der jüngeren Geschichte der "Presse" schon einmal passiert: Kurt Horwitz, damals stellvertretender Chefredakteur der Zeitung, sollte 1995 zusammen mit Chef vom Dienst Michael Maier die Chefredaktion übernehmen. Die Redaktion lehnte Horwitz mit Zweidrittelmehrheit ab. Maier wurde daraufhin alleiniger Chefredakteur.

Treffen mit Weissenberger

Noch vor Nowaks Rücktritt als Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer am vorigen Freitag wurde Styria-Vorstandschef Markus Mair in einem Wiener Lokal mit Eva Weissenberger gesichtet. Beide versicherten danach auf Anfrage, es habe sich um ein schon lange vereinbartes Treffen gehandelt, wie man sie alle paar Monate habe.

Branchenkenner sehen Weissenberger inzwischen aber als realistische Möglichkeit für die "Presse"-Führung. Sie war von 2012 bis Anfang 2015 Chefredakteurin der "Kleinen Zeitung" in Kärnten, die ebenfalls zur Styria gehört, um als Chefredakteurin zu "News" zu wechseln. Seit 2019 leitet sie das von ihr aufgebaute Data & Media Center der Wirtschaftskammer.

Den Abgang von der "Kleinen Zeitung" nahm man Weissenberger bei der Styria über Jahre eher krumm, inzwischen soll sich das Verhältnis laut Styria-Quellen wieder normalisiert haben.

Kein Bewerbungsschreiben

Ein Leitartikel von "Kleine Zeitung"-Chefredakteur Hubert Patterer über das Verhältnis von Journalisten und Politik, Nowaks Chat-Affäre und die Erwartung von Konsequenzen, noch bevor dieser sie gezogen hatte, befeuerte zunächst auch Spekulationen, Patterer könnte etwa als Herausgeber zur "Presse" nach Wien wechseln. Patterer wies damals auf Anfrage entrüstet zurück, der Kommentar könnte als Bewerbungsschreiben verstanden werden.

Bei der "Kleinen Zeitung", traditionell der wirtschaftliche Muskel des Styria-Konzerns, sorgen derzeit Sparmaßnahmen für Verwerfungen mit dem Betriebsrat.

Walter Hämmerle, Chefredakteur der vom Eigentümer Republik mit Ablaufdatum 2023 versehenen "Wiener Zeitung", wurde auch schon als Möglichkeit für die "Presse" genannt.

Die nächste reguläre Aufsichtsratssitzung der Styria Media Group ist für Mitte Dezember geplant.

Styria-Aufsichtsratsvorsitzender Friedrich Santner trat vorigen Sonntag in der ORF-Diskussion "Im Zentrum" auf, lenkte die Debatte aber sehr bald erfolgreich auf den ORF, seinen Stiftungsrat und die Chats des ebenfalls zurückgetretenen ORF-Fernsehchefredakteurs Matthias Schrom. (fid, mue, 16.11.2022)