Im fünften Stock fließt Schokolade durch dicke Rohre. Im Stock darunter brummen Waffelöfen. Auf den Etagen drei und zwei fahren Schnitten in Reih und Glied ihrer Verpackung entgegen. Im Parterre widersteht Manner-Chef Andreas Kutil der Versuchung zu kosten.

Andreas Kutil stammt als erster Manner-Vorstandschef nicht aus den Eigentümerfamilien: "Es braucht Stolz auf Traditionen."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Auf dem Weg zur Manner-Fabrik steigt einem in ganz Hernals der Duft nach Schokolade in die Nase ...

Kutil: Eine ältere Dame aus unserer Nachbarschaft kann das Wetter vorhersagen nach der Intensität des Geruchs. Wir produzieren ja mitten in der Stadt von der Kakaobohne weg. Josef Manner hatte als Firmengründer seinerzeit am Stephansplatz ein Zuckerlgeschäft. 1890 gab es kaum Schokolade in guter Qualität halbwegs preiswert. Also begann er, sie in seinem Elternhaus herzustellen.

STANDARD: Sie produzieren im Wiener Stadtgebiet täglich auf fünf Stockwerken vier Millionen Schnitten. Mögen die Wiener Manner als Nachbarn?

Kutil: Wir sind hier seit 1898, viele Anrainer siedelten sich erst danach an. Es gibt natürlich immer wieder Diskussionen, etwa über neue Geräusche in der Nacht. Aber wir sind in gutem Austausch. Heute würde man mitten im Wohngebiet sicherlich keine Produktion neu aufbauen. Unser Werk ist durch hohe Investitionen aber auf dem modernsten Stand. Was normalerweise auf der Ebene aufgebaut ist, das produzieren wir vertikal – mit der Schwerkraft von oben nach unten.

STANDARD: Bei Carl Manner, der den Konzern 60 Jahre lang prägte, sorgten Schnitten immer ein bisserl für Halskratzen. Er mochte lieber Cremiges als Knuspriges. Geht es Ihnen ähnlich?

Kutil: Ich mochte die Schnitte schon immer gern. Man muss halt in dieser Branche aufpassen, nicht zu viel zu essen und genug Sport zu betreiben, um nicht zu rund zu werden.

40 Millionen Euro flossen in den Ausbau des Manner-Werks mitten in Wien.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Sie sind bei Manner der erste Vorstandschef, der nicht aus der Familie kommt. Mit welchen Traditionen haben Sie seit Ihrem Wechsel von der lila Milka bei Mondelez zu den rosa Waffeln sonst noch gebrochen?

Kutil: Das rosa Hemd ist für mich Pflicht bei Terminen (lacht). Ich finde, Männer können Rosa tragen. Lila Hemden trage ich schon lange nicht mehr. Eigentümer von Manner sind aber immer noch Familien. Das Unternehmen ist in ihrem Sinne weiterzuführen. Dafür braucht es Stolz auf Traditionen. Zugleich müssen wir am Puls der Zeit bleiben. Dieser Spagat ist eine große Herausforderung.

STANDARD: Wie schwierig ist es, dass alle Familien an einem Strang ziehen? Manner könnte mehr als fünf Jahre nach dem Tod von Carl Manner ein gefundenes Fressen für internationale Konzerne sein.

Kutil: Das müssen Sie die Eigentümer fragen. Bei der Abstimmung im Aufsichtsrat wird sicherlich viel diskutiert. Letztlich geht es darum, auf dem Markt erfolgreich zu sein und ordentliche Zahlen abzuliefern.

STANDARD: Manner ist einer der letzten Einzelkämpfer der Süßwarenbranche. Weckt das nicht Begehrlichkeiten, gerade in harten Zeiten?

Kutil: Ziel ist, das Unternehmen unabhängig in die Zukunft zu führen.

"Es wird so getan, als passierte das geheim. Aber Packungsinhalt zu verändern, ist eine Form der Preiserhöhung", sagt Manner-Chef Andreas Kutil.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Wie stark schlagen teurere Energie und kostspieligere Rohstoffe heuer auf Ihre Bilanz durch?

Kutil: Der Ukraine-Krieg hat Wirtschaften auf den Kopf gestellt. Die Kostenbelastung stieg dramatisch. Wir hatten im ersten Halbjahr einen Verlust von 2,4 Millionen Euro. Wir gehen davon aus, das gesamte Wirtschaftsjahr positiv abzuschließen. Aber es ist tough. Erfreulich ist das Wachstum unserer Marken in Österreich wie im Export. Unsere Umsätze stiegen um 15 Prozent auf 111 Millionen Euro.

STANDARD: Brachten Energiekostenhilfen der Regierung Erleichterung?

Kutil: Sie sind ein Tropfen auf dem heißen Stein.

STANDARD: Was treibt Ihre Kosten am stärksten nach oben?

Kutil: Kakao und Haselnüsse sind unsere wichtigsten Rohstoffe. Wir kaufen fürs gesamte Manner-Sortiment Fairtrade-Kakao, bezahlen dafür also einen Mindestpreis und Prämien. Enorm verteuert haben sich etwa Fette. Auch bei weniger gewichtigen Rohstoffen wie Lecithin schossen die Kosten nach oben.

STANDARD: Manner baut selbst Haselnüsse in Aserbaidschan an, um die Versorgung damit besser sicherzustellen. Geerntet werden soll dort erstmals 2024. Müssen Ihre Leute noch Schakale von den Feldern vertreiben?

Kutil: Ich war selbst vor ein paar Wochen im Norden des Landes. Es ist eine Gegend, wie man sie in Österreich nicht kennt. Es gibt dort, wo wir unsere Farm auf 320 Hektar aufbauen, salopp gesagt, nichts. Kein Baum, kein Strauch, kein Hotel, keine Pension. Nur Wildnis. Am Abend heulen vor unserem kleinen Häuschen die Schakale. Sie sind scheu. Hungrigen Wölfen sollte man aber besser nicht begegnen, sagen unsere Mitarbeiter.

Auf dem Weg zum Schokoladenüberguss sollte keiner aus der Reihe tanzen.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Sie haben Ihre Süßwaren heuer verteuert. Wo liegt die Schmerzgrenze der Konsumenten?

Kutil: Das kann einem derzeit keiner sagen. Wir hoffen, dass wir leistbar bleiben. Aber wir haben keinen Gewinn, den wir reduzieren könnten. Wir müssen Kostenerhöhungen, die sich nicht in diversen Abläufen einsparen lassen, weitergeben.

STANDARD: Süßes wird gern spontan gekauft. Viele Konsumenten müssen sparen, gehen seltener einkaufen ...

Kutil: Im Moment sind unsere Mengen noch relativ stabil, die Umsätze steigen deutlich. Wir sind kein Premiumhersteller. Wir sind in der Mitte der Angebote. Man gönnt sich eine Manner-Schnitte üblicherweise ganz gern auch in der Krise.

STANDARD: Wie turbulent sind Ihre Preisverhandlungen mit Supermarktketten? Könnte es sich Manner leisten, den Handelskonzern Rewe wie Mars in Österreich nicht länger zu beliefern?

Kutil: Die Gespräche sind hart, aber offen. Wir versuchen, Informationen so weit wie möglich weiterzugeben, um bei Händlern Verständnis für höhere Preise zu schaffen. Wir können nicht auf jedes verkaufte Schnittenpackerl was drauflegen.

STANDARD: Wer sitzt am längeren Ast, die Industrie oder der Handel?

Kutil: Ich glaube, dass beide am gleichen Ast sitzen. Egal wer sägt, es ist für beide Seiten nicht gut. Letztlich geht es darum, was der Konsument will. Er wird Produkte zu gewissen Preisen kaufen – oder eben nicht. Man sollte sich also einigen.

Harte Auslese. Was der Optik nicht entspricht, wird zermahlen und zu neuen Schnitten verarbeitet.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Konsumentenschützer beklagen, dass Lebensmittelhersteller mehr Luft verkaufen. Ärgern sich Kunden über schrumpfenden Inhalt in Verpackungen bei gleichen Preisen?

Kutil: Niemand weiß, wohin sich die Preise weiter entwickeln. Wir selbst haben uns dazu entschlossen, Verpackungen nicht zu verkleinern. Ich kann aber nachvollziehen, dass es in dem einen oder anderen Fall sinnvoll ist, die Mengen zu reduzieren. Es wird gerne so getan, als passierte das geheim und versteckt. Aber den Packungsinhalt zu verändern, ist eine Form der Preiserhöhung.

STANDARD: Das Handelsgericht hat Manner heuer wegen Irreführung verurteilt. Von einer Mogelpackung rund um Mozart-Mignon-Schnitten war die Rede. Sie gingen in Berufung. Ist der Fall schon entschieden?

Kutil: Das Verfahren läuft noch. Wir haben seit vielen Jahren Beutel mit 400 oder 300 Gramm Inhalt. Auf jeder Seite der Packung steht relativ groß viermal 300 Gramm drauf. Wir sind anders als das Gericht nicht der Meinung, dass das irreführend ist.

Rund 90 Prozent der Manner-Aktien sind in Familienhand.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Bauern wollen stärkere Herkunftskennzeichnung. Zu Recht?

Kutil: Es ist eine gutgemeinte Idee, bringt jedoch praktisch kaum Informationsgewinn. Wir verarbeiten ja nicht das ganze Jahr über die gleichen Rohstoffe. Wir versuchen, so viel wie möglich aus Österreich zu beziehen. Aber wir können etwa bei Eiern für unsere Biskotten nicht garantieren, dass diese durchwegs aus Österreich kommen. Und es ist auch nicht möglich, Verpackungen ständig zu ändern oder wegzuwerfen.

STANDARD: Auf EU-Ebene wird an Kennzeichnungspflichten gearbeitet. Sollte Österreich dabei nicht Vorreiter sein?

Kutil: Alleingänge bedeuten enorme Komplexität, die Österreichs Produzenten schlechterstellt. Viele würden nur noch "Herkunft EU" draufschreiben, obwohl sie zu 90 Prozent in Österreich einkaufen.

STANDARD: Warum hält Manner eigentlich an der Börse fest? Allzu groß war die Liebe des Familienunternehmens zum Kapitalmarkt ja nie.

Kutil: Wir sind seit 1913 an der Börse. Die vielen Regelwerke tun Familienstrukturen schon ganz gut. Sie gaben eine Basis fürs Handeln. Natürlich ist sie viel Aufwand. Dauernd kommt etwas Neues und für unsere Ressourcen Komplexes hinzu. (Verena Kainrath, 16.11.2022)