Ein elfjähriges Mädchen soll von einem 18-jährigen Iraker brutal vergewaltigt worden sein. Der junge Mann befindet sich in Haft. (Symbolbild)

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Sie sind elf und 14 Jahre alt. Zwei Mädchen aus Wien wollten letzte Woche offenbar abschalten – mit Ecstasy. Am Mittwoch hatten sie sich eine Tablette bei einem Bekannten geholt, diese geteilt und eingenommen; am Donnerstag wollten sie Nachschub bei dem 18-jährigen Iraker besorgen, der sie darauf in die Wohnung eines Freundes in Wien-Meidling zitierte. Der Besuch endete in einem mutmaßlichen Verbrechen: Der 18-Jährige und ein 17-jähriger Österreicher, der auch vor Ort war, sollen die Mädchen vergewaltigt haben. Nach der Tat gelang den beiden die Flucht. Die Burschen wurden prompt festgenommen.

Erst Tage später wurde bekannt, dass beide Mädchen in einer betreuten Einrichtung untergebracht waren, wie der Falter berichtete. Für die Obsorge war demnach die Wiener Magistratsabteilung 11 zuständig. Die Frage, ob die Aufsichtspflicht verletzt wurde, beschäftigt nun die behördliche Aufsicht – die Wiener Kinder- und Jugendhilfe.

Offene Einrichtungen

Doch kann dieser wirklich die Schuld zukommen? Wie leicht können Kinder überhaupt festgehalten werden? Grundsätzlich haben sich Kinder und Jugendliche an Ausgehzeiten zu halten, heißt es auf Nachfrage des STANDARD bei der MA 11.

In Wien können unter 14-Jährige bis 23 Uhr draußen bleiben. Kommen sie dem nicht nach, "muss darauf pädagogisch adäquat reagiert werden". Geschlossene Einrichtungen seien jedenfalls nicht zulässig und pädagogisch auch nicht zielführend. Ausgebüchst dürften die Mädchen jedenfalls nicht sein: Der Drogenkauf und die Vergewaltigung ereigneten sich untertags.

Die pädagogische Grenze

Aus dem Büro des dafür zuständigen Stadtrats Christoph Wiederkehr (Neos) ist Ähnliches zu vernehmen. Dass Kinder am Nachmittag ihre Freizeit im öffentlichen Raum verbringen können, ermögliche erst einen "kindgerechten, geschützten Alltag", erklärt der Juniorpartner in der Wiener Stadtregierung. Kinder gegen ihren Willen festzuhalten sei nur in Extremfällen und nach medizinischer Abklärung möglich. Doch wann würden überhaupt Aufsichtsverletzungen, wie sie im Fall der Mädchen nun geprüft werden, vorliegen?

Beispielsweise dann, wenn Sozialpädagoginnen die Kinder alleine oder unbeaufsichtigt lassen, wie die die MA 11 erklärt. Oder wenn sie bei Auffälligkeiten oder Gefahren nicht entsprechend einschreiten.

"Es wäre zu billig zu glauben, dass da jemand weggeschaut hat, da hat niemand weggeschaut", sagt der Leiter eines Wiener Jugendvereins mit betreuten WG-Einrichtungen für Burschen, der anonym bleiben möchte. "Wenn die Mädchen aus einer Einrichtung in eine fremde Wohnung gehen, weiß der Sozialpädagoge in der Regel nichts davon. Die Mädchen haben Ausgang. Das ist wie in der Obhut von Eltern. Alles andere ist auch nicht adäquat."

Nicht wissen, "wo er ist"

Der gelernte Psychologe glaubt allerdings, dass die Hemmschwelle, mit jemandem mitzugehen, in den vergangenen Jahren insgesamt gesunken sei. "Das merke ich auch bei meinen Burschen", sagt er. "Wenn wir nachfragen, bei welchen Freunden der Junior übernachten will, bekommen wir oft keine Antwort. Maximal ruft er um acht oder neun am Abend an, aber wir wissen eigentlich nicht, wo er ist."

Da seien einem da auch in gewisser Weise die Hände gebunden. Als einziges Mittel bleibe den Betreuerinnen und Betreuern die Abgängigkeitsanzeige. "Wann wir sie abgeben, ist je nach Alter gestaffelt. Meistens machen wir es um 24 Uhr, wenn die letzte U-Bahn fährt."

Mit harten Drogen habe der Leiter des Jugendvereins in seinen Einrichtungen keinerlei Probleme. "Bei uns ist es eher die Kifferei", erzählt er. Grundsätzlich sei der Drogenkonsum bei jungen Menschen auch im Hinblick auf das allgemein bekannte Buch Wir Kinder vom Bahnhof Zoo nichts Neues. Was sich wahrscheinlich verändert habe, glaubt der Psychologe, sei der vermehrte Griff zu Chemie.

Dass die jungen Mädchen scheinbar Ecstasy konsumieren, ist für ihn daher keine Überraschung. "Es ist günstig, das bekommst du um einen Zehner, alles andere kostet viel mehr, und Ecstasy wirkt in geringen Mengen auch viel rascher."

Personalmangel in Einrichtungen

Aber welche Rolle spielt die Betreuungssituation? Gerade wenn es um Beziehungsarbeit geht, sei diese entscheidend, hält Julia Pollak vom Berufsverband der Sozialen Arbeit fest. In vielen Einrichtungen sei ein ausreichender Betreuungsschlüssel aktuell aber nicht gegeben.

Bei den Mädchen soll das nicht zutreffen. Laut MA 11 herrsche in deren sozialtherapeutische Wohngemeinschaft kein Personalmangel. Der Schlüssel: Zehn Betreuerinnen sind dort für acht Kinder zuständig. (Jan Michael Marchart, Elisa Tomaselli, 15.11.2022)