Im Ballsaal fliegen die Fetzen und fallen die Masken, unter denen sich die Verschwörer getarnt haben: Verdis Oper "Ein Maskenball" am Stadttheater Klagenfurt.

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Verdis Maskenball ist seitens der italienischen Zensur einst übel mitgespielt worden. Der Titel musste geändert werden, der Autor verschwiegen, der Held umbenannt, die Epoche vorverlegt und der Ort der Handlung nach Boston transferiert werden. Nur das eigentlich Aufrührerische an dem Werk, die sich von der Belcanto-Tradition endgültig in Richtung tiefgründiger, gesamtkunstwerklicher Seelenforschung verabschiedende Musik, blieb seltsamerweise ungeschoren.

Das hatte zur Folge, dass das 1857 durch die neapolitanischen Behörden zerzauste, von Verdi deshalb an das römische Teatro Apollo vergebene Werk 1861, nach dem Sturz der Monarchie, in eben diesem Neapel als Ausdruck der neu gewonnenen Freiheit stürmisch gefeiert wurde. Als weitere Folge kann man ansehen, dass das dreiaktige Melodram 160 Jahre später immer noch volle Häuser verspricht.

Wobei jetzt in Klagenfurt die politischen Verrenkungen der Uraufführungsfassung, wie seit ein paar Jahrzehnten öfter der Fall, zugunsten von Antonio Sommas Originallibretto zurückgesetzt sind: Boston ist wieder Stockholm, der dortige Stadtgouverneur Riccardo wieder Schwedens ebenso kunstsinniger wie vergnügungssüchtiger König Gustav III., dem eine bisexuelle Neigung nachgesagt wird.

Das bringt Regisseur Bernd Mottl zeitgemäß wertfrei zum Ausdruck. Welches Geschlecht im Reisepass dieses Monarchen angekreuzt ist, bleibt seine Sache. Morgens, wenn ihm sein Page Oscar bei der Gewandauswahl hilft, schwingt er nicht eben lustfeindlich die Hüften. Aber vielleicht ist das auch nur verspielt, wie dieser Oscar ja gelegentlich auf einem roten Bob-Car durch die Zimmer rollt.

Vielleicht platonisch

Gleichzeitig ist Gustavs Liebe zur Ehefrau seines treuesten Hofbeamten Renato vielleicht platonisch, aber sicher nicht gestellt: So schwindlig drehen sich im Bühnenbild Friedrich Eggerts der weiße Mercedes, die Baumkronen, der ganze Sternenhimmel, wenn Amelia dem König ihre Gegenliebe gesteht. Aber es ergeht dem, der hier Orientierung in das Gefüge bringen will, wie den politischen Ordnungswächtern von Neapel: Die große, romantische Woge von Verdis Musik schwemmt alles davon. Wie dem Gustavo im Sinnenrausch neben der Geliebten alle Attentatswarnungen egal sind, trägt uns die prachtvolle Stimme der Elizabeth Caballero als Amelia in das weite Land der Seele.

Gustavo Castillos Renato ist mit einem wunderbar tragenden, durchwegs perfekt timbrierten Bariton eine weitere stimmliche Attraktion des Abends. Und dann Gustavo selbst: Matteo Desole fließt als gebürtigem Sardinier das italienische Fach in den Adern, feinsinnig in den lyrischen Momenten, freut sich seine Stimme immer schon auf die von Verdi grandios orchestrierten Momente der großen Emotion, bis hin zu seiner Himmelfahrt, einem finalen Gag der Regie.

Apropos orchestriert: Nicholas Milton am Pult "seines" Kärntner Sinfonieorchesters schwingt eine Art Zauberstab. Was auch noch schön ist: Erstmals nach Beginn der Pandemie darf der von Günter Wallner über die Jahre hin auf europäisches Spitzenniveau gebrachte Stadttheater-Chor wieder physisch auf der Bühne mitspielen. (Michael Cerha, 15.11.2022)