Eine Turnerin, vom britischen Kunststar Banksy angebracht, balanciert im Handstand scheinbar auf den Trümmern einer Bombenruine im ukrainischen Borodjanka.

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Gelungener Wurf.

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Banksy-Graffiti in Kiew.

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Die Turnerin, die in einem Handstand mit gespreizten Beinen scheinbar auf den Trümmern einer Bombenruine balanciert; ein kleiner Bub, der seinen Gegner im Judokampf zu Boden wirft; zwei Kinder, die eine Panzersperre als Wippe nutzen: Das sind nur drei von insgesamt sieben Graffitimotiven, die Banksy vergangene Woche in der Ukraine hinterließ, wie seine Agentur mittlerweile bestätigte.

Über die Umstände, unter denen der mysteriöse britische Street-Art-Künstler die ersten öffentlichen Wandmalereien seit mehr als einem Jahr schuf, ist vorerst nichts bekannt. Gesichert ist, dass sie ihre Wirkung nicht verfehlen, weder an den "Tatorten" in Borodjanka, Irpin oder in Kiew, noch über die Grenzen des Landes hinaus: Als ein Symbol von Solidarität für die Ukrainerinnen und Ukrainer und als ein Tribut an die Opfer der russischen Invasion und Gräueltaten gleichermaßen.

Video: Banksy hinterlässt Spuren auf ukrainischen Gebäuden
DER STANDARD

Banksy, um dessen Identität seit Jahren gerätselt wird, befasst sich von jeher mit verschiedenen politischen und sozialen Entwicklungen. Einem Chronisten gleich kritisiert er in seinen Werken übermäßigen Konsum oder Tourismus, auch Flüchtlingspolitik, Faschismus und Krieg. In der Künstlerelite mag er als Außenseiter gelten, sein Einfluss auf die globale Kunstszene ist jedoch unbestritten. Die britische Kunsthochschule (UCA) verlieh ihm deshalb im Juli eine Ehrenprofessur – explizit auch im Hinblick auf seine "Bemühungen um die Menschenrechte", wie es hieß.

Graffiti-Erlös für Wiederaufbau

Obwohl es vorerst noch kein Thema war: Die sieben ukrainischen Graffiti könnten gesichert werden, um einen späteren Verkauf zugunsten des Wiederaufbaus zu ermöglichen. Zuletzt kam ein vergleichbares, aus einer Mauer herausgelöstes Objekt im März in Los Angeles zur Versteigerung. "Bomb Middle England" (2003) zeigte drei ältere Frauen beim Rasenbowling mit Bomben. Ursprünglich stammte es von der Wand eines Ateliers in Paris und wechselte für stolze 500.000 Dollar in unbekannten Besitz.

Für die Ukraine wären das eher symbolische Beträge, gemessen an den schwer kalkulierbaren Kosten für den Wiederaufbau, die der ukrainische Regierungschef im Juli mit etwa 720 Milliarden Euro bezifferte. Die Verluste aus zerstörtem Kulturgut oder von russischen Truppen gestohlenen Kunstgegenständen sind da noch gar nicht inkludiert.

An dieser Front bescherte das von Präsident Wladimir Putin im Oktober per Dekret verhängte Kriegsrecht eine erwartbare Form der Eskalation: genauer einen legalen Deckmantel für Plünderungen von Museumsbeständen im Namen der "Erhaltung". Inoffiziell hatte man längst damit begonnen, Bestände kleinerer Regionalmuseen an unbekannte Orte zu verlagern und Denkmäler abzubauen.

Zeitnah zur Veröffentlichung der Dekrete hatte Putin außerdem die Einführung von Sondermaßnahmen angekündigt, wie der Kunsthistoriker Konstantin Akinsha Ende Oktober im Magazin "The Art Newspaper" (TANP) berichtete. Demnach gehe es um die Evakuierung von Museumsbeständen, einerseits in ein Lager auf der Krim, andererseits um die Verbringung der wertvollsten Objekte auf das Gebiet der Russischen Föderation.

"Als ob sie Müll wären"

In den Tagen vor dem Rückzug der russischen Truppen aus Cherson schritt eine Gruppe von knapp fünfzig Personen im lokalen Kunstmuseum zur Tat, wie die Stadtverwaltung am 8. November bestätigte. Die Bestände seien Zeugen zufolge teils nur notdürftig in Lappen gewickelt, teils "ohne jeden Schutz, als ob sie Müll wären", über mehrere Tage lang in Lastwagen geladen worden. Entsprechende Fotos von Gemäldestapeln und Videos von der Beladung kursieren in den ukrainischen sozialen und Nachrichtenmedien. Laut einem TANP-Bericht wurden die Bestände dieses Museums nach Simferopol auf der Krim transportiert. Der Leiter des dortigen Zentralmuseums von Taurida bestätigte die Einlagerung der Exponate.

Der langjährigen Direktorin des Chersoner Kunstmuseums, Alina Dotsenko, zufolge hätten die russischen Behörden bei dieser Aktion Unterstützung von prorussischen Mitarbeitern des Hauses bekommen. Eine Evakuierung der Bestände zu Beginn der Invasion, betont Dotsenko, sei mangels logistischer Unterstützung des ukrainischen Kulturministeriums nicht mehr möglich gewesen.

Ende vergangener Woche begrüßte das Museum die Befreiung der Stadt auf seiner Facebook-Seite mit dem Bild eines Gemäldes des Künstlers Serhiy Sinitsyn in den blauen und gelben Farben der ukrainischen Flagge. "Ruhm für die Ukraine! Ruhm den Streitkräften der Ukraine!", verkündete man dort samt dem Vermerk: "Der Aufenthaltsort des Werkes ist derzeit unbekannt." (Olga Kronsteiner, 16.11.2022)