Foto: Philip Pramer

Es ist Dienstagvormittag und der bereits achte Tag der Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el-Sheikh. Hunderte Teilnehmer strömen von der Sicherheitskontrolle auf den Vorplatz der Zeltstadt, in der die Verhandlungen stattfinden. Eine Gruppe von Demonstranten begrüßt die Ankömmlinge. "Ich wünsche euch allen einen schönen guten Morgen", ruft ein motivierter Joseph Sikulu durch ein Megafon. "Außer ihr seid fossile Lobbyisten." Die Menge lacht.

Noch nie waren so viele Vertreter von Kohle-, Öl- und Gasindustrie auf einer Klimakonferenz, 636 sind es an der Zahl. Dabei sollte es bei der Klimakonferenz doch eigentlich um die Abkehr von fossiler Energie gehen – zumindest fordern das Umweltorganisationen wie 350.org, deren Direktor für die Pazifikregion Sikulu ist. "Unsere Zukunft hängt davon ab", ruft der Klimaaktivist, der auf Tonga geboren ist. Der kleine Inselstaat gehört zu den am stärksten vom Klimawandel gefährdeten Nationen der Welt und wird bei steigendem Meeresspiegel im Wasser versinken. Der Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas muss es deshalb in die Abschlusserklärung schaffen, ruft Sikulu.

Aktivist Joseph Sikulu (rechts) und weitere Demonstranten fordern auf der Klimakonferenz einen Ausstieg aus fossilen Energieträgern.
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Verhandlungen auf politischer Ebene

In diesem auch "Cover Text" genannten Papier halten die knapp 200 Staaten ihre gemeinsamen politischen Ziele und Vorhaben nach den Klimakonferenzen fest. Nachdem vergangene Woche vor allem Beamte beraten haben, geht es in der zweiten Woche auf die politische Ebene.

Da Beschlüsse nur im Einstimmigkeitsprinzip gefällt werden, ist das ein zäher Prozess. Vergangenes Jahr einigte man sich erst 24 Stunden nach dem offiziellen Ende der Konferenz auf einen Kompromiss. Damals war erstmals von einem "Phase-down", also einer stufenweise Verringerung, von Kohleenergie die Rede. Bindend sind die Abschlusserklärungen nicht – aber sie senden ein politisches Signal.

Zank um Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) sieht ein Endergebnis noch in weiter Ferne. "Wir sind im Vergleich noch weniger konkret als bei anderen Konferenzen zum selben Zeitpunkt", sagte Gewessler am Dienstag vor Journalisten in Sharm el-Sheikh.

Ein Streitpunkt sind etwa Formulierungen zum Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas. Insbesondere Indien pocht in Sharm el-Sheikh darauf, den Abbau aller fossilen Energieträger in den Abschlusstext aufzunehmen. Das wäre zwar eine Verschärfung gegenüber der Erklärung von letztem Jahr, doch Indien könnte damit den Fokus weg von Kohle lenken. Kohle gilt als der mit Abstand klimaschädlichste Energieträger – vor Öl und Gas.

Ein weiterer Streitpunkt bleiben die Zahlungen für Klimaschäden, die Entwicklungsländer von den reichen Nationen des Globalen Nordens fordern. Bereits heute verursachen Umweltkatastrophen und Dürren Schäden in Höhe von hunderten Milliarden Euro, in Zukunft werden die Kosten weiter steigen.

DER STANDARD

Gewessler gegen Klimaschäden-Fonds

"Wir unterstützen selbstverständlich die Forderung nach mehr Unterstützung für den Globalen Süden", sagte Gewessler. Österreich hat bereits vergangene Woche 50 Millionen Euro für "Loss and Damage", wie die Klimaschäden im Fachjargon bezeichnet werden, zur Verfügung gestellt. Das sei international gesehen eine "herzeigbare Summe".

Kritisch sieht Gewessler aber die Etablierung eines eigenen Fonds, wie ihn Entwicklungsländer verlangen – das ist auch die Position der EU, die bei den Klimakonferenzen geeint auftritt. Die Forderung komme von einer "sehr inhomogenen Gruppe", sagte Gewessler. Unter den Nationen, die Entschädigung fordern, seien einerseits Länder, die tatsächlich Hilfe benötigen, aber auch Schwellenländer wie China und Südafrika. Die Einrichtung eines solchen Fonds würde zudem viele Jahre dauern. Auch der US-Klimabeauftragte John Kerry erteilte den Forderungen nach Klima-Schadensersatz am Samstag erneut eine Abfuhr. "Das wird einfach nicht passieren", sagte Kerry.

Kritik von NGOs

Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen kritisieren die ablehnende Haltung der EU und der USA. Das Argument Gewesslers, dass die Gruppe der möglichen Empfänger groß und unterschiedlich ist, lässt Jasmin Duregger von Greenpeace nicht gelten. "Das ist eine klassische Verzögerungstaktik", sagt Duregger. Wer wie viel Anspruch auf das Geld im Fonds hat, lässt sich regeln – wichtig sei, dass der Topf da ist und schell abgerufen werden kann. Besonders vom Klimawandel betroffene Länder müssten sich dann nicht mehr auf bilaterale Abkommen verlassen.

Auch Joachim Raich von der Menschenrechtsorganisation Südwind drängt auf einen neuen Fonds für Loss and Damage. Die Katastrophenhilfe sei aktuell auf schnelle Hilfe ausgelegt, nicht aber auf Klimaschäden, die sich oft schleichend über lange Zeiträume abspielen. Dass die Einrichtung eines Fonds für Loss and Damage lange dauert, würde zudem um so mehr dafür sprechen, sofort mit dem Aufbau zu beginnen und die Entscheidung nicht mit Definitionsfragen zu verzögern, sagt Raich.

Insbesondere kleine Inselstaaten hatten jahrzehntelang erfolglos für die Aufnahme von Klimaschäden in die offizielle Tagesordnung der Klimakonferenz gekämpft. In diesem Jahr ist der Punkt erstmals auf der Agenda. Dort wird er wohl auch bleiben – auch wenn es, wie von vielen Beobachtern erwartet, bis zum Ende des Gipfels keine Entscheidung gibt. (Philip Pramer, 15.11.2022)