Wie misst man die Nachhaltigkeit von Rechtssystemen? Mit dieser Frage befasste sich die Universität Innsbruck bei einer Tagung.
Illustration: Fatih Aydogdu

Hört man heute Begriffe wie saurer Regen, Waldsterben oder Ozonloch, die die Ökodebatte der 1980er-Jahre prägten, könnte man fast nostalgisch werden. Angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel wirken die damaligen Umweltprobleme wie kleine Stolpersteine. Die Schwefelemissionen, die durch das Verbrennen fossiler Energieträger in Kraftwerken und Industrieanlagen entstehen, wurden damals relativ wirksam durch gesetzliche Verpflichtungen zu neuen Filtertechnologien reduziert. Das Problem mit der Ozonschicht wurde durch ein völkerrechtliches Abkommen weitgehend behoben. Das Montrealer Abkommen von 1987 wurde zum Anfang vom Ende des breiten Einsatzes von Fluorkohlenwasserstoffen (FCKW).

Umbau des globalen Energiesystems

Auch für Malte Kramme sind diese Entwicklungen Erfolgsgeschichten, die er auch in seiner Vorlesung zu "Grundlagen des Rechts der Nachhaltigkeit" vorbringt. "Anhand der Beispiele kann man gut zeigen, wie ein Handeln auf globaler Ebene zu einer Lösung geführt hat", betont der Jurist, der die Euregio-Stiftungsprofessur für Technik-, Mobilitäts-, und Nachhaltigkeitsrecht an der Uni Innsbruck hält. Bei den ersten Klimakonferenzen in den 1990ern bestand bei vielen Beteiligten wohl die Hoffnung, dass das CO2-Problem ähnlich schnell lösbar ist. Doch ein Umbau des globalen Energiesystems erwies sich als ungleich komplexer. Es braucht nicht nur neue Technologien, sondern auch enorme Investitionen und den politischen Willen, um die zähen Beharrungskräfte zu überwinden.

Vor kurzem fand an der Uni Innsbruck die Tagung "Nachhaltigkeit im Spiegel des Rechts" statt, die Kramme organisierte. Dabei wurde auch die Weiterentwicklung des Rechts als wichtiges Werkzeug in der Bekämpfung des Klimawandels in verschiedenen Aspekten thematisiert. Themen wie das Lieferkettengesetz, die CO2-Bepreisung und andere relevante Entwicklungen kamen zur Sprache. Grundsätzlich ist Nachhaltigkeit ein Querschnittsthema, das in jedem rechtlichen Bereich eine Rolle spielt, sagt Kramme. Doch nicht überall bekommt sie die nötige Aufmerksamkeit. "Neben Parlamentsentscheidungen, die sich direkt der Bekämpfung des Klimawandels widmen, gibt es auch viele Gesetze, die auf ganz andere Sachverhalte abzielen, aber dennoch klimarelevant sind", betont der Jurist. "Das Recht zur kostenfreien Rücksendung von Onlineeinkäufen erhöht die Emissionen aus dem Paketverkehr. Die Fluggastrechteverordnung sieht Entschädigungen für ausgefallene Verbindungen vor, setzt damit aber auch den Anreiz für Fluglinien, auch unwirtschaftliche Flüge durchzuführen."

Rechtssysteme vermessen

Folgen dieser Art werden nur ungenügend beachtet. Meist erfolgt nur eine Abschätzung dezidierter Klimaschutzmaßnahmen in Hinblick auf das 1,5-Grad-Ziel. Eine systematische Messung, wie nachhaltig ein Rechtssystem aufgestellt ist, gibt es aber nicht. Kramme verweist auf den Tagungsvortrag von Tobias Tröger von der Universität Frankfurt, der sich mit der ökonomischen Analyse des Rechts beschäftigt – eine Disziplin, die die Folgen von Gesetzen in Hinblick auf eine volkswirtschaftliche Nutzenmaximierung untersucht. Laut Trögers Befund könnte man diese ökonomische relativ einfach in eine ökologische Analyse "umbauen", um ganze Rechtssysteme auf deren Nachhaltigkeit zu prüfen.

Ein Denken, das nicht auf den unmittelbaren Vorteil, sondern auf langfristiges Wohlergehen abzielt, hat in einer von Legislaturperioden geprägten Regierungspolitik oft keine Priorität. "Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Dass man immer auch so viele Bäume anpflanzen muss, wie man dem Wald entnimmt, ist eine gute Metapher für unsere Situation", erklärt Kramme. Wir sollten nicht auf Kosten der kommenden Generationen wirtschaften. In dieser Hinsicht hat das deutsche Verfassungsgericht 2021 eine vielbeachtete Entscheidung getroffen.

Nachschärfung des deutschen Verfassungsrechts

Das Gericht gab einer Beschwerde statt, wonach die 2019 in Gesetzesform gegossenen Klimaschutzziele des Landes nicht mit den Grundrechten vereinbar seien, weil Vorkehrungen für ausreichende Emissionsreduktionen nach 2031 fehlen. Damit wurde klargestellt, dass die Bekämpfung der Erderwärmung auch zwischen aufeinanderfolgenden Generationen gerecht zu verteilen ist und nicht zulasten der Nachfahren gehen darf. Das hat nicht nur zu einer Nachschärfung des beanstandeten Gesetzes geführt, sondern wird auch langfristig wirken. "Das Urteil war eine große Überraschung. Damit wurde ein Pflock im deutschen Verfassungsrecht eingeschlagen", resümiert Kramme. "Es gibt zwar durchaus auch einen Ausgestaltungsspielraum für den Gesetzgeber. Aber man wird bei großen Gesetzesvorhaben immer darauf achten müssen." Erst die Zeit wird weisen, wie groß die Auswirkungen der Entscheidung tatsächlich sein werden. Ebenso offen bleibt, ob andere Länder mit ähnlichen Urteilen nachziehen.

Klimaklagen nehmen zu

Die Zahl der Klimaklagen wird generell häufiger, vor allem in den USA, wo große Schadenersatzsummen lukrierbar sind. In Europa erregte etwa die Klage eines Bauern aus Peru gegen den deutschen Energieversorger RWE Aufsehen. Die Gletscherschmelze nahe dem Wohnort des Südamerikaners machte einen Gletschersee zur Bedrohung. Einerseits arbeitet die Zeit im seit 2015 andauernden Verfahren für den Kläger, denn die Wissenschaft knüpft die Kausalkette zwischen CO2-Emissionen und konkreten Bedrohungslagen immer enger. Andererseits sehen sich betroffene Unternehmen wie RWE natürlich im Recht, weil sie sich an nationale Gesetze gehalten haben. "Die CO2-Emittenten haben sicher ein Interesse, von der Politik gegen Klagen dieser Art immunisiert zu werden. Wenn das aber nicht sofort passiert, besteht für die Unternehmen durchaus ein Anreiz, mehr für den Klimaschutz zu tun", wägt Kramme ab. "Werden die Unternehmen lange nicht gegen die Klagen geschützt, werden sie am Finanzmarkt zu riskanteren Investments, was den Anpassungsdruck steigen lässt."

Es ist naheliegend, dass sich mit zunehmender Bedrohungslage auch Wähler, Politiker und schließlich Gesetze noch ernsthafter mit der Klimakrise auseinandersetzen. Kramme zieht einen Vergleich zur Corona-Pandemie. "Bis zum Jahr 2020 konnte sich kaum jemand vorstellen, dass einschneidende Maßnahmen wie ein Ausgangsverbot so schnell umsetzbar sind. Werden die Folgen stärker wahrnehmbar, kann sich auch im Bezug auf den Klimawandel schnell viel ändern. Es muss aber darum gehen, schon jetzt entschieden und zügig die Energiewende zum Abschluss zu bringen, damit uns später tiefgreifende Freiheitsbeschränkungen erspart bleiben." (Alois Pumhösel, 22.11.2022)