Kaum 40 Jahre wurde die alte Wiener Wirtschaftsuniversität als Hochschulstandort genutzt. Eröffnet wurde sie 1976, 2013 war die universitäre Nutzung schon wieder vorbei: Damals wurde der neue WU-Campus bei der Messe bezogen.

Illustration: Oliver Schopf

40 Jahre sind für ein Gebäude an sich keine lange Lebensdauer. Doch schon in nur rund der Hälfte dieser Zeit – etwas mehr als 20 Jahre – sollten wir es geschafft haben, die CO2-Emissionen auf null gestellt zu haben, auch und vor allem im Gebäudesektor. Ist das zu schaffen?

"CO2-Vollbremsung" nötig

"Ich bin völlig zuversichtlich, dass wir das schaffen", sagte Thomas Romm, Architekt und Geschäftsführer von Forschen Planen Bauen ZT und Gründer des Baukarussells, zu Beginn seines Einstiegsreferats auf dem jüngsten Wohnsymposium. In erster Linie bezog sich das aber auf den Titel der Veranstaltung: "ökologisch und kostengünstig". Denn die Herausforderung scheint gewaltig, nichts Geringeres als eine "CO2-Vollbremsung" ist laut Romm nötig.

Der alte WU-Standort in Wien-Alsergrund, in dem das bereits 74. Wohnsymposium von STANDARD und "Wohnen Plus" stattfand, wird derzeit vom Zwischennutzungsprojekt West bespielt: mit Ausstellungen, Modeschauen, Theateraufführungen, Vernissagen. Was nach dieser Zwischennutzung mit dem Bestand passiert, ist offen. "Jedenfalls bleibt es ein Bildungsstandort", sagte Patrik Largler von der Bundesimmobiliengesellschaft, welcher der Komplex gehört. Er kündigte Architekturwettbewerbe und Neueröffnungen für die Jahre 2030 bis 2036 an. Es dürfte also zu Abbrüchen kommen, dabei werden viele Hundert Tonnen an Material anfallen.

Rund 60 Millionen Tonnen an Abfall gibt es jedes Jahr in Österreich, referierte Romm. 40 Millionen Tonnen davon stammen aus dem Bausektor, sie unterteilen sich in 30 Millionen Tonnen Aushub und zehn Millionen Tonnen Baurestmassen. Den Aushub könne man gut verwerten, wie er erläuterte: Mit der Herstellung von Beton direkt an der (Groß-)Baustelle oder einer Wiederverwendung der lebendigen obersten Bodenschicht vor Ort oder anderswo.

Mehr Recycling

Insgesamt werden aber rund 200 Millionen Tonnen an Material pro Jahr in Österreich verbraucht – das heißt, es ist nicht einmal annähernd mit einer hundertprozentigen Recycling-Quote das Auslangen zu finden, selbst damit würde man nur ein Drittel des benötigten Materials bekommen. Das altbekannte Problem des überbordenden Ressourcenverbrauchs: "2,7 Planeten würden die Europäerinnen und Europäer derzeit brauchen, um nachhaltig zu leben", sagte Romm. Bis 2060 könnte sich das verdoppeln.

Wo soll das ganze benötigte Material also herkommen? Sand und Schotter sind schon jetzt weltweit knappe Güter, in Belgien werde bereits das Meer abgesaugt, um Sand zu gewinnen, berichtete der Experte. In den vergangenen 100 Jahren habe sich der Bedarf an Material verzwölffacht. "Wir reden viel von Kreislaufwirtschaft, aber eigentlich hat sich seit 100 Jahren nichts getan." Nur sieben Prozent an Material werden global im Kreis geführt. "Das kann nicht so weitergehen."

Franziska Leeb (li.) moderierte die Diskussion zwischen Iva Kovacic, Gerhard Kopeinig, Senka Nikolic und Stephan Ruesch.
Foto: Oreste Schaller

Neben einem generellen sparsameren Umgang mit Ressourcen lautet eine Alternative: "Urban Mining" – also die beim Abbruch von Gebäuden anfallenden Baurestmassen komplett zu trennen und zu sortieren und im besten Fall vor Ort wiederzuverwenden oder -verwerten. Das sei bereits vielfach erprobt, sagte Romm, etwa auf den ehemaligen Coca-Cola-Gründen auf dem Wienerberg in Wien-Favoriten. Dort habe man die Dachplatten des Altbestands an Ort und Stelle für die Perimeterdämmung der Tiefgarage des neuen Stadtteils Biotope City verwendet. Man müsse dafür aber eben händisch abbauen; das sogenannte Social Urban Mining, wo auch Langzeitarbeitslose wieder Beschäftigung finden können, wurde dafür vom Baukarussell entwickelt.

Upcycling nur als "Hobby"

Forschungsprojekte gebe es ohnehin bereits viele, davon erzählte auch Iva Kovacic, Leiterin des Forschungsbereichs Integrale Planung und Industriebau an der TU Wien, in der anschließenden Podiumsdiskussion. Auch mit Romm und seinem Baukarussell arbeitet sie öfter zusammen. Doch in Wahrheit seien alle diese Projekte "Liebhaberei", sagte Kovacic. Mit wenigen Ausnahmen halte das sogenannte Upcycling, dass also Abfallprodukte in neuwertige Produkte umgewandelt werden, nicht Einzug, schon gar nicht beim Bauen.

"Das sind Hobbys von Einzelpersonen", urteilte Kovacic. Es brauche einerseits mehr Unterstützung seitens der Politik, andererseits ein "komplettes Neudenken von Planungsprozessen", denn genau dort müsste der Kreislauf schon mitgedacht werden. "Schon beim Abbruch von Objekten müsste man überlegen, wie man das Material wiederverwerten kann." Die Prozesse seien im Gang, bräuchten aus Kovacics Sicht aber "viel mehr Impetus". Die aktuelle Krise komme den Bemühungen nun allerdings zugute: "Bestehende Materiallager werden interessant."

"Wertschätzung für das, was da ist", diese Forderung hörte man von einigen Diskutierenden, so auch von Gerhard Kopeinig, Architekt und Geschäftsführer bei Arch + More. Sein Büro macht bereits zu 80 Prozent Sanierungsprojekte, sagte er. Hier brauche es ein völliges Neudenken des Bestands, denn es scheitere oft schon an dessen Analyse.

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"Schon beim Abbruch von Objekten müsste man überlegen, wie man das Material wiederverwerten kann", fordert Iva Kovacic.
Foto: Getty Images/pwmotion

Im Neubau plädierte Kopeinig dafür, in Lebenszyklen zu denken – auch das wurde an diesem Nachmittag mehrmals gefordert. Kopeinig ist auch in der IG Lebenszyklus Bau engagiert und berichtete von einem Innenausbauunternehmen, das seine Produkte quasi nur noch "vermietet" – also mit Garantien für Reparatur oder Austausch anbietet.

Förderungen als Hebel

Man müsse aber auch Förderungen neu denken, sagte Kopeinig. Die Wohnbauförderung sei der größte Hebel, "dort bräuchte es einen Passus in Richtung Lebenszyklus".

Stephan Ruesch vom Bauunternehmen Sedlak, der auf dem Podium für seinen verhinderten Geschäftsführer Elmar Hagmann eingesprungen war, wartete mit einer Spitze gegen die Architektenschaft beziehungsweise gegen die Verantwortlichen in den Wohnbauförderstellen auf: Man habe es im geförderten Neubau oft mit "architektonisch überbordenden Konzepten" zu tun, dabei müsste dort aus seiner Sicht "die Individualität wieder ein bisschen zurückgefahren werden".

Es braucht aus seiner Sicht noch bessere Planung, mehr Vorfertigung, vernünftige Baukörper und vernünftige Grundrisse – und ausreichend große Bauplätze, um vernünftig kalkulieren zu können.

Dass die Qualitäten im Wiener Wohnbau sukzessive gesteigert wurden auf ein Niveau, das heute internationale Beachtung finde, diesen Befund teilte auch Senka Nikolic, Leiterin der Projektentwicklung und Technik bei der Genossenschaft Schwarzatal. Doch auf die Lebenszyklusbetrachtung sei dabei wenig Wert gelegt worden, das müsste sich dringend ändern. "Die Förderlandschaft muss dabei die Stütze sein."

Gestiegene Baukosten

Michael Gehbauer, Geschäftsführer des gemeinnützigen Bauträgers WBV-GPA und Obmann des Vereins für Wohnbauförderung, dem Zusammenschluss SP-naher Gemeinnütziger, wollte das aber dann doch nicht alles so stehen lassen. Aus dem Publikum heraus meldete er sich zu Wort und verwies auf das Projekt Waldmühle Rodaun, wo man schon vor sieben Jahren ein altes Zementwerk regelrecht "zerlegt, zerbröselt" habe, um das Material dann vor Ort wiederzuverwerten. Zuletzt war auch beim Sophienspital im sechsten Bezirk das Baukarussell beim Abbruch dabei.

"Wir haben die Verpflichtung, auch im gemeinnützigen Wohnbau Qualität zu schaffen, Qualität auch für unsere Bewohnerinnen und Bewohner." Alle Partner würden dazu beitragen, auch die Architekten. Die Baukosten seien natürlich gestiegen, "aber nicht, weil wir die Qualitäten jetzt neu erfunden haben, sondern wegen des Krieges in der Ukraine." Und deshalb seien auch die Kostenobergrenzen in allen Bundesländern bereits angehoben worden.

"Es ist viel in Bewegung, es tut sich viel", erläuterte Gehbauer. Initiativen wie Urban Mining würden nun eben langsam sickern und "ankommen – und jetzt müssen wir damit etwas machen."

TU-Professorin Kovacic nannte auf die Frage, was geändert werden müsste, besonders die Normen. Diese seien aus Sicht der Forschung "das Ende jeder Innovation". Und beim handwerklichen Umgang mit dem Baubestand sei bereits viel Know-how verlorengegangen, das dringend wieder aufgebaut werden müsse.

Viele Vorschläge

In den "Tischgesprächen" im Anschluss an die Podiumsdiskussion wurden dann einige Vorschläge unterstützt, und es wurden auch neue entwickelt. "Kreislauffähige Prozesse und nachwachsende Rohstoffe fördern", den Lebenszyklus stärker betrachten, das wurde mehrmals erwähnt, ebenso wie eine Überarbeitung der Fördermodelle, um kreislauffähiges Bauen zu fördern. Eine Abrisssteuer wurde ebenso vorgeschlagen wie ein kritisches Hinterfragen der ÖNORMen und eine Art Haftung für recycelte Baustoffe seitens der öffentlichen Hand.

Und an einem Tisch wurde auch ein "Zukunftskataster" als Erweiterung des Grundstückskatasters erdacht. In diesem sollten sämtliche kreislauffähigen Materialien eingetragen werden – irgendwann würde man dann ein gutgefülltes Register über die verwendeten Materialien vieler Häuser haben. (Martin Putschögl, 16.11.2022)