Seit der Übernahme durch Musk soll die einst konstruktive Kommunikationskultur bei Twitter massiv Schaden genommen haben.

(Dieses Symbolbild wurde mit der Bilder-KI Midjourney unter dem Prompt "Elon Musk looking at a bluebird" generiert.)

Foto: DER STANDARD/Pichler/Midjourney

Auch nach Problemen mit der Infrastruktur und der öffentlichen Entlassung des Entwicklers Eric Frohnhoefer, der ihn korrigiert hatte, stehen die Zeichen bei Twitter unter dem neuen Chef Elon Musk auf Sturm. Immer mehr Mitarbeiter berichten Medien anonym über das Gebaren des umstrittenen Tech-Managers. Dieser, so heißt es gegenüber "The Verge", habe in kürzester Zeit eine Kultur der Angst und Feindseligkeit etabliert, wo einst ein konstruktiver Umgang miteinander geherrscht habe.

Im Zuge der Meinungsverschiedenheit zwischen Frohnhoefer und Musk, der sich um die Gründe der Performanceprobleme der Android-App drehte, mussten auch mindestens drei andere Programmierer gehen, die sich geäußert hatten. Etwa Ben Leib, vormals federführend an der Entwicklung der Technik hinter der Twitter-Timeline beteiligt, hatte sich zu Wort gemeldet, als Musk die Behäbigkeit der Android-App auf über 1.000 Remote Procedure Calls schob. Allerdings mit drastischeren Worten als sein Kollege: "Ich kann (...) mit Sicherheit sagen, dass dieser Mann keine Ahnung hat, wovon er da redet."

Entlassungen aufgrund interner Kritik

Die Solidarität unter aktuellen und ehemaligen Entwicklern bei Twitter scheint dieser Tage stark zuzunehmen, was auch durch Musks wenig vertrauenerweckende Vorgangsweise ausgelöst worden sein dürfte. Laut internen Quellen hat er ohne weitere Erklärung während eines "Notfalltreffens" am Montag den Quellcode des Netzwerks "einfrieren" lassen. Änderungen sind damit derzeit nicht mehr möglich, außer im Einzelfall bei dringenden Korrekturen.

Intern geäußerte Kritik ist nun ebenfalls ein Risiko. Laut dem Branchenexperten Gergely Orosz wurden rund zehn weitere Mitarbeiter entlassen, nachdem sie in Chats auf der Kommunikationsplattform Slack "freche" oder "kritische" Anmerkungen gemacht hatten. Nach solchen wurde wohl explizit gesucht, die Personalabteilung begründete die Kündigungen gegenüber einigen Betroffenen lediglich mit ihrem "jüngsten Verhalten".

"Schlägertruppe" erschwert die Personalsuche

Diese Vorgangsweise wird es dem Unternehmen nachhaltig erschweren, neue, erfahrene Entwickler anzustellen, prognostiziert Orosz. Wer wolle schon in einer Firma arbeiten, in der er mit öffentlicher Kritik an seiner Arbeit rechnen muss, aber seinen Job verliert, wenn er auch öffentlich darauf antwortet.

Auch dass Regeln über Nacht komplett geändert werden und der Eigentümer sich feindselig gegenüber jenen Mitarbeitern verhält, die Twitter aufgebaut haben, mache Twitter nicht gerade attraktiver. Abseits von vielleicht extrem guter Bezahlung oder lukrativen Optionen auf Firmenanteile sieht er keine Gründe, warum Programmierer, die es sich aussuchen können, dort anheuern wollen würden. Unter den Mitarbeitern soll die von Musk installierte Management-Crew mittlerweile den Spitznamen "the goons" ("die Schlägertruppe") haben.

Musk ignorierte Warnungen

Die turbulente Situation, der die Kündigung von rund der Hälfte der angestellten Belegschaft und etwa 5.000 Leiharbeitern vorausging, hatte auch schon spürbare Auswirkungen auf Twitter als Dienst. Vor kurzem sorgten Probleme mit dem Versand von Authentifizierungscodes per SMS dafür, dass zahlreiche User sich nicht einloggen konnten.

Zudem führte Musk eine bezahlte Verifizierung nebst Premium-Features um acht Dollar pro Monat ein, die aufgrund einer Flut an Fake-Konten wenige Tage später wieder abgedreht wurde. Der neue Firmenchef, der sich selbst in der Vergangenheit als "Meinungsfreiheitsabsolutisten" bezeichnet hatte, ließ zudem die Regeln für Parodie-Accounts verschärfen und die Schauspielerin Kathy Griffin sperren, die ihn durch den Kakao gezogen hatte.

Aus internen Quellen war zu erfahren, dass viele Mitarbeiter Musk vor einer vorschnellen Einführung des Premium-Abos gewarnt und die folgenden Probleme vorhergesehen hatten. Dieser hatte die Warnungen aber in den Wind geschlagen. Nun soll das Angebot, seine Funktionen und die Implementierung überarbeitet und Ende des Monats wieder verfügbar gemacht werden.

Ex-Mitarbeiter organisieren sich auf Mastodon

Mittlerweile hat ein Teil der Ex-Belegschaft von Twitter begonnen, sich zu organisieren. Und das auf Mastodon, einem quelloffenen Dienst, der seit dem Führungswechsel bei Twitter deutlichen Zulauf verzeichnet. Sie haben unter dem Titel "Macaw Social" eine eigene Instanz eröffnet, die vorwiegend für ehemalige Mitarbeiter von Twitter gedacht ist. Sie beherbergt aktuell rund 700 aktive Nutzer. (gpi, 16.11.2022)