Olga Neuwirths während der Aufführung ihres Zyklus coronAtion.

Sepperer

Das Festival Wien Modern hat immer auch neue Formate erprobt. Es gab eine wirklich "lange Nacht der neuen Klänge", welche die Kondition der Musiksinne forderte. Für Klavierwerke von John Cage wurde schon mal der Konzerthaussaal geräumt, um begehbare Musikskulpturen zu erschaffen. Und ja, variantenreich wird an der Tradition der Formaterprobung festgehalten.

Von der stolzen Ausdehnung her erinnerte am Sonntag Olga Neuwirths an die 620 Minuten währender Zyklus coronAtion – im Mak und dem Angewandte Interdisciplinary Lab aufgeführt – an frühere Wien-Modern-Marathonsessions.

Neuwirths am Montag uraufgeführtes kurzes Stück Georg Baselitz für Streichquartett und Zuspielung verwies im Musikverein wiederum auf einen anderen Ansatz, von der Alltagsform abweichende Konzerte zu bieten. Die Neuheit war Teil der Perspektiven, einer Reihe, die Bildende Kunst und Musik zusammenführt; Inspiration holte man sich von Maler Georg Baselitz. Er sollte seine Zuneigung zur zeitgenössischen Kammermusik freien Lauf lassen und Veranstaltungen ungewöhnlich programmieren. Nachdem das Quatuor Diotima am Montag bei der ersten Veranstaltung das minimalistische Streichquartett von Sivan Eldar und das etwas bewegtere Zweite von Beat Furrer gespielt hatte, erklang Neuwirths neues Werk denn auch gleich zweimal.

Wege zur Moderne

Dazwischen stand Baselitz Rede und Antwort bezüglich seiner Musikbiografie. Über den Jazz sei er zufällig per Radio auf Komponist Alfred Schnittke gestoßen. Dies habe ihn zur klassischen und aktuellen Moderne geführt. Beim Malen höre er allerdings keine Musik. Und ja, es habe ihn einst der Ehrgeiz getrieben, selbst Musik zu machen.

Er hatte sich an der Kemençe versucht, einer türkischen Kastenhalslaute, "aber keinen Erfolg gehabt. Ein Elend war das", ergänzt Baselitz, dessen Stimme später wieder vom Band kam. In Neuwirths wiederholter Komposition spricht der Künstler nämlich seinen Text Nicht nee nee nee nicht no, während das Quatuor Diotima tänzelnde Statements umsetzt. Das Werk setzt auf Kontraste: Eingespieltes Pochen ist ebenso zugegen wie die rhythmische Dekonstruktion von Baselitz‘ Stimme, intime Momente und quasi Grooviges.

Die produktive Dunkelheit

Danach bescherten Komponist Georg Friedrich Haas und das MUK.ensemble.aktuell dem Publikum ein elementares Erlebnis. Haas’ Streichquartett Nr. 11 muss in Dunkelheit gehört und gespielt werden, der Hörer ist auf sich selbst zurückgeworfen. Mit langen, sich subtil annäherden und wieder entfernenden Tönen und dramatischen Ausbrüchen wurde es ein konzentriertes Innenerlebnis.

Spezielles wird auch das Finale der Reihe in der Albertina bieten (17.11.). Ebendort werden Werke von Baselitz auf Morton Feldmans Stück For Philip Guston treffen. Das vierstündige Werk wird loopartig mehrmals gespielt (10.00 bis 24.00). Das wird also ein "langer Tag der Klänge". (Ljubiša Tošic, 16.11.2022)