Drei Minuten dauert ein Spiel – perfekt für diese hektische Zeit.

Foto: Marvel

Während die US-Firma Marvel im Kino offenbar ihren Zenit überschritten hat, feiert die Marke aktuell als Videospiel einen großen Erfolg. Mit acht Millionen Downloads und durchwegs guten Kritiken der Spielerinnen und Spieler füllt sich die Videoplattform Youtube bereits mit zahlreichen Tipps-Videos zu dem neuen Kartenspiel. DER STANDARD hat sich in den vergangenen Tagen in den Hype-Strudel hineingeworfen, um einen ersten Eindruck liefern zu können.

Von Hulk bis Spider-Man

Ben Brode ist ein Genie. Der Gamedesigner war unter anderem für das seit acht Jahren sehr erfolgreiche Onlinekartenspiel "Hearthstone" verantwortlich und liefert nach seinem Exit beim Games-Riesen Blizzard im Jahr 2018 mit seinem neuen Studio Second Dinner "Marvel Snap" ab. Wie bei seinem letzten Projekt handelt es sich auch diesmal um ein kostenloses Sammelkartenspiel. Die für das Spiel erforderlichen Karten schaltet man nach und nach frei, indem man Matches gegen andere Spieler gewinnt. Einfach Kartenpacks kaufen, wie das bei anderen Spielen dieser Art üblich ist, funktioniert nicht.

So bestimmt das Spiel sehr genau, welche Karten zu welchem Zeitpunkt verfügbar sind. Das macht deshalb Sinn, weil "Marvel Snap" in mehrere Karten-Pools eingeteilt ist. In den ersten beiden lernt man den Umgang mit Karten und Systemen kennen, erst spät bekommt man Zugriff auf den dritten Pool, der bereits komplexere Kombinationen ermöglicht. Insgesamt warten derzeit rund 150 Karten darauf, freigespielt zu werden. Neue folgen – bestehende werden, das kennt man von vergleichbaren Spielen, noch Anpassungen spendiert.

Das Spiel zu meistern bedarf einiger Fähigkeiten. Zunächst einmal sollte man sich ein Deck aus zwölf Karten zusammenstellen, deren Eigenschaften sich im Idealfall ergänzen. So bekommt Ant-Man nur dann zusätzliche Stärke verpasst, wenn drei andere Karten neben ihm liegen, und Spectrum erhöht die Stärke eines bestimmten Kartentyps. Sind die Möglichkeiten zu Beginn noch eingeschränkt, lässt sich mit fast jeder neuen Karte eine neue Kombination ausprobieren.

Viele Charaktere kennt man nicht nur aus Comics, sondern auch aus den über zwei Dutzend Marvel-Filmen der letzten Jahre.
Foto: Marvel/Nuverse

Auf dem Platz

Die nächsten Herausforderungen warten auf dem Spielfeld. Dieses ist in drei Standorte aufgeteilt, auf denen man Karten ablegen kann. Jeder Ort bringt Eigenschaften mit sich, die man zu Beginn noch nicht kennt. Erst im Verlauf der ersten drei Runden werden die drei Orte aufgedeckt und verraten erst dann, ob hier bestimmte Karten einen Vorteil genießen, eventuell zerstört werden oder einfach gar nichts passiert. Das gibt dem Spiel eine zusätzliche Dynamik – und manchmal auch einen ungewollten Zufallsaspekt. Da das Spiel erst wenige Wochen alt ist, wird mit diesen Orten vonseiten der Entwickler mit Sicherheit noch viel herumprobiert.

Angenehm für Hobbyspieler: Die Spielzeit ist auf die heutige Aufmerksamkeitsspanne von drei bis fünf Minuten ausgelegt. Länger dauert keine Partie, weil jede nur sechs Runden umfasst. Danach wird abgerechnet, welcher Spieler durch eine höhere Gesamtstärke seiner Karten mehr Orte als der Gegner für sich gewinnen konnte. Der Sieger nimmt einen Punkt mit nach Hause – oder auch mehr. Während der Runde kann man nämlich den Snap-Button drücken und damit den Einsatz verdoppeln. Nutzen diese Möglichkeit beide Spieler und das in mehreren Runden, kann eine Niederlage teuer zu stehen kommen – und ein Sieg extra süß schmecken.

Die Siegpunkte benötigt man für Levelaufstiege, um zusätzliche Boni freizuschalten. Jetzt kommt allerdings das Zahlungsmodell ins Spiel, schließlich muss sich ein kostenloses Game irgendwie finanzieren. Für 11,99 Euro erhält man den Monatspass, der neben Karten für jeden Levelaufstieg diverse Booster und In-game-Währungen mit sich bringt. Laut Entwickler kommt man auch ohne Season-Pass an alle Karten, aber es dauert natürlich länger.

Das fällt zu Beginn des Spiels noch nicht wirklich auf. Die ersten 15 Stunden kann man ohne gröbere Probleme gute Decks zusammenstellen, auch weil das Erledigen von täglichen Aufgaben und Wochenmissionen ebenfalls Belohnungen mit sich bringt. Im späteren Verlauf fühlt sich das Freischalten von neuen Karten allerdings wie das Erklimmen des Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff an. Wer also ambitioniert Ränge erklimmen will, der sollte ein paar Euro einrechnen, um auch längerfristig Spaß zu haben.

Das Spiel ist im Google Play Store, im App Store von Apple und auf Steam erhältlich.
Foto: Marvel/Nuverse

Inszenierung

Optisch ist das Spiel ein Paradebeispiel für aktuelle Smartphone-Games im Free-2-play-Bereich. Überall kleine bunte Felder, die mit roten Markierungen um die Aufmerksamkeit der Spielerinnen werben. Ständig schaltet man Dinge frei, die unabhängig von ihrer Wertigkeit mit einem kleinen Feuerwerkt in Szene gesetzt werden. Hinzu kommt der prominent platzierte Season-Pass, der euch ständig mögliche Boni vor die Nase hält, um euch zu einem Kauf zu motivieren.

In den Snap-News hat der Entwickler einen eigenen Kanal mit Neuigkeiten eingerichtet, wo Trailer, Erklärungsvideos oder auch Patch-Notes zu finden sind. Ein kleiner, bunter Mikrokosmos, der die Farbenvielfalt eines Spielwarengeschäfts bietet.

Auch in den einzelnen Duellen blinkt es an jeder Stelle. Jeder Standort verfügt über eigene Animationen, Hawk-Eye schießt vor dem Ablegen ein paar Pfeile ab, und wenn mehrere Karten von einem Effekt betroffen sind, leuchtet der halbe Bildschirm kurz auf.

Marvel Entertainment

Fazit

Wer ein Faible für Onlinekartenspiele hat, der wird mit "Marvel Snap" viel Spaß haben. Als jahrelanger "Hearthstone"-Spieler, der einiges an Budget in den Blizzard-Hit investiert hat, fühlte ich mich schnell zu Hause. Vor allem die kurzen Matches laden dazu ein, immer wieder ins Spiel einzusteigen. Die bekannten Marvel-Helden ermöglichen zudem schnell eine Bindung zum gerade erstellten Deck, etwa wenn Captain America mit seinem Auftritt sein Team stärkt oder Black Panther nach dem Aufdecken doppelt so stark wird. Aufgrund der wenigen Karten im Deck ist das Erstellen auch keine Wissenschaft wie bei so vielen Genre-Kollegen.

Das Nichtvorhandensein von Kartenpacks, in die man unendlich viel Geld werfen kann, ist positiv anzumerken. Kartenvarianten kosten absurd viel – was fast egal ist, weil man sie nicht unbedingt braucht. So ist man mit maximal zwölf Euro im Monat gut unterhalten, aber auch sparsamere Spieler werden ihren Spaß mit dem Spiel haben. Egal, ob man nur fünf Minuten Zeit für "Marvel Snap" hat oder viel, viel mehr. Dieses Spiel ist gekommen, um zu bleiben. So viel ist sicher. (Alexander Amon, 17.11.2022)