Chef de Cuisine mit unerwünschtem Gast: Ralph Fiennes und Anya Taylor-Joy in der Satire "The Menu".

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Jean-Anthelme Brillat-Savarin, der französische Gourmet des 18. Jahrhunderts, hatte schon recht. "Sag mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist" – sein berühmtes Bonmot wusste bereits um das enge Verhältnis zwischen Magen und Identität des Essers. Klassenunterschiede hatte er vermutlich in seiner Begeisterung für Trüffel und Schnepfen noch nicht vor dem geistigen Auge. Doch wie in so vielen anderen Bereichen entscheidet auch bei der Küche der soziale Zugang darüber, wer man ist.

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Auf der gerade einmal zwölf Hektar großen Hawthorne Island etwa, dem Standort des Edelschuppens von The Menu, kostet das Dinner gesalzene 1250 Dollar. Der Ablauf auf der Insel hat eine exklusive, fast möchte man sagen, sektiererische Note. Handys sind verpönt, alle Zutaten der Küche sind biologisch und mit Bedacht auf Nachhaltigkeit gewählt. Dennoch zählen am Ende weniger die Freude an der Haute Cousine oder so etwas Profanes wie Geschmack als vielmehr der Kontostand. Wer dabei war, gehört zum kleinen Kreis.

Sarkastischer Beigeschmack

The Menu ist selbst wie ein Degustationsdinner gebaut. Die einzelnen Gänge werden mit hübschen Kärtchen als Inserts angekündigt. Der Ablauf folgt freilich mehr dem bewährten Rezept des Kriminalfilms à la Agatha Christie, ein "locked room mystery", in dem sich vorfreudige Aussagen wie "Tonight will be madness" mit sarkastischem Nachgeschmack bewahrheiten werden.

Eine bunte Truppe an wohlbetuchten Gästen wird auf die Insel geladen. Man verspricht sich ein kulinarisches Divertissement, gelangt dann aber mit jedem Gericht ein Stück näher an den Abgrund. Der kapriziöse Chef Julian Slowik, den Ralph Fiennes mit furios unterdrücktem Ingrimm verkörpert, klatscht vor jedem Gang wie ein Zeremonienmeister in die Hände. Spätestens wenn der Souschef einen extravaganten Abtritt wählt, weiß man: Hier hält jemand mit religiösem Eifer Gericht.

Glühender Foodie

Dass die Sache penibel recherchiert wurde, wird klar, sobald Pancakes serviert werden, die eingebrannte Hinweise auf Verfehlungen der Gäste zeigen. Darunter befindet sich die herrlich snobistische Gourmetkritikerin Lilian Bloom (Janet McTeer), die den kapriziösen Slowik einst auf die Liste der besten Köche der Welt befördert hat.

Auf der – professionell betrachtet – anderen Seite steht dessen wohl größter Fan, der glühende Foodie Tyler (ein beklemmender Nicholas Hoult), der schon vor jedem Bissen ins Schwärmen gerät. Er hat noch kurz die Begleitung geändert und die undurchschaubare Margot (Anya Taylor-Joy) mitgebracht – die einzig rebellische Unbekannte in dieser Gemengelage, was Slowik missfällt, ein klarer Regelbruch.

Reich an Überraschungen

Regisseur Mark Mylod treibt sein maliziöses Spiel mit Übertretungen im Stile Hitchcocks. Im brutalistischen Ambiente des Restaurants passieren von Mahl zu Mahl unerhörtere Dinge, die dem Publikum einige Überraschungen bescheren. Auch die Inszenierung des Abends, die Luis Buñuel mit einem Schuss William Castle kredenzt, ist ungewöhnlich. Colin Stetson hat dazu einen überraschend klassischen, streicherlastigen Score komponiert, der die Irritationen subtil verstärkt.

Mylod begeisterte zuletzt mit der Serie Succession über einen US-Medienclan. Produzent Adam McKay bürgt geradezu für progressives Hollywoodkino, als Regisseur hat er den politischen sowie medialen Zug zur Idiotie (Don’t Look Up, The Big Short) mehrfach aufs Korn genommen. The Menu ist dagegen leichtere Kost. Gegen die ausgelassene Kapitalismuskritik vom Cannes-Sieger Triangle of Sadness wirkt er etwas gezähmter.

Dennoch hebt dieses satirische Abendmahl rund um Themen wie enttäuschte Eitelkeit, fehlgeleitete Perfektion und die kulturelle Ignoranz der Elite die Laune. Müsste man Michelin-Sterne vergeben, würde es wohl nicht zur Höchstwertung reichen, aber die bittere Note dieses Menus verdient jede Achtung. (Dominik Kamalzadeh, 17.11.2022)