"Sonic Frontiers" soll die Rettung für den angeschlagenen Igel sein.

SEGA

Man hat es nicht leicht als "Sonic"-Fan. Seit vielen Jahren giert die Fangemeinde nach einem hochwertigen 3D-Abenteuer des schnellsten Igels der Welt und bekam dennoch seit Erscheinen von "Sonic Adventure 2" vor über 20 Jahren allerhöchstens solides Mittelmaß serviert.

Die Gründe für diese beinahe schon atemberaubende Mittelmäßigkeit der "Sonic"-Spiele waren mannigfaltig. Mal wurde der Spielefluss durch eigenartige Gameplayentscheidungen geprägt – beispielsweise durch die sensationelle Idee, Spiele, die rein auf Geschwindigkeit beruhen, durch träge Plattformpassagen als Werwolf oder mit Schwert bewaffnet zu bremsen –, woanders störten technische Probleme den Spielspaß.

Neue Hoffnung

Abgesehen von durchwegs gelungenen 2D-Ablegern und dem vielgeliebten "Sonic Generations" ließen sich die Entwicklerinnen von Sonic Team allerlei Kuriositäten einfallen, um ihre Titel zu einfach, zu umständlich, zu unvollständig oder zu langweilig werden zu lassen. Unter den Fans war die Hoffnung, dass jemals ein durch und durch gelungenes "Sonic"-Spiel erscheinen könnte beinahe schon erloschen.

Sonic Team schien es einfach nicht zu gelingen, die Gamingerfahrung in ein Spiel einzubringen, nach dem sich die Community sehnt: einen Action-Plattformer mit schnellem Gameplay, Geschwindigkeitsgefühl, solider Steuerung, stimmigem Soundtrack und bitte ohne Experimente.

Eine offene Spielwelt soll "Sonic" aus der Krise befreien.
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Doch an dieser Stelle muss ich die "Sonic"-Fangemeinde loben. Selbst nach Totalreinfällen wie "Sonic Boom" und "Sonic Forces" blieb er bestehen: der Glaube daran, dass sich die angeschlagene Spielereihe des ikonischen Igels erholen könne und der Highspeed-Säuger einmal mehr seinen Platz an der Spitze neben "Super Mario" einnehmen würde. Nun ist "Sonic Frontiers" erschienen. Nachdem weder Werwölfe noch Ritterkämpfe das Franchise retten konnten, soll diese Mammutaufgabe im neuesten Ableger also eine offene Spielwelt lösen. Ob das gutgehen kann?

Mehr Freiheit, mehr Probleme?

Die Entwickler haben mit diesem Spiel ein Bewegungssystem geschaffen, das durchaus zu überzeugen weiß und Spaß macht. Für einen Titel, dessen Fokus ganz klar auf möglichst coole Abläufe von Sprüngen, Grinds und akrobatischen Luftmanövern liegt, ist ein unterhaltsames Movement schon die halbe Miete. Planlos in der Gegend rumzurennen und dutzende kleinere Geschicklichkeitspassagen zu absolvieren ist motivierender und spaßiger, als ich mir getraut hätte vorzustellen.

Die jeweiligen Aufgaben sind lächerlich einfach zu bewältigen. "Sonic Frontiers" glänzt allerdings eher mit Quantität statt Qualität. Alleinstehend würde keines der Rätsel oder Minilevel einen Innovationspreis gewinnen. Stopft man jedoch dutzende davon in eine frei erkundbare Welt, in der alleine schon der Weg von einer Aufgabe zur nächsten Spaß bietet, geht das Konzept auf. Irgendwann entfaltet sich dieser "Nur noch eine Runde"-Effekt. Nur bietet "Sonic Frontiers" keine Runden, sondern kleine Instanzen, die nach maximal zwei Minuten ohne viel Können zu bewältigen sind.

"Sonic Frontiers" erschien für die PS5, PS4, Xbox Series X, Xbox Series S, PC und Switch.
PlayStation

Der Reiz besteht darin, die verhältnismäßig leichten Level zu perfektionieren. Die reibungslosesten Bewegungsabläufe kennenzulernen, zu wissen, wo wann welcher Gegner wartet, um im passenden Moment zu springen oder zu beschleunigen. So können schon einmal einige Stunden ins Land ziehen.

Hässliche neue Welt

Ich komme nicht herum, den Igel im Raum anzusprechen. "Sonic Frontiers" ist wahrlich kein schönes Spiel. Die Texturen sind verwaschen, die Animationen oft holprig, Umgebungsobjekte erscheinen aus dem Nichts, und rein optisch wäre hier weitaus mehr möglich gewesen. Dafür läuft das Spiel an sich sehr solid. An dieser Stelle mag erwähnt sein, dass mir bewusst ist, wie unglaublich tief mein eigener Anspruch in Bezug auf "Sonic" über die Jahre gesunken ist.

Ein würdiges Comeback?

Trotz aller offensichtlichen Mängel, die "Sonic Frontiers" vorzuweisen hat, kann ich den Fakt nicht von der Hand weisen, dass mir das Spiel sehr viel Spaß bereitet. Ist es ein überdurchschnittlich gutes Spiel? Ganz sicher nicht. Ist es die beste "Sonic"-Erfahrung, die ich seit Jahren (wenn nicht Jahrzehnten) erlebt habe? Absolut.

So grauenhaft sich der Titel auch teilweise präsentieren mag, so viele Nostalgieknöpfe drückt er zur richtigen Zeit. Ich weiß, es ist nicht fair, aber ich verzeihe "Sonic Frontiers" viele seiner Gamedesignschwächen aus dem Grund, da ich unendlich glücklich bin, einen Ableger der Reihe spielen zu können, der mich von Anfang bis Ende gut unterhält – und das in vielerlei Hinsicht.

Sonics Sprüche sind mal mehr, mal weniger clever.
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Die Dialoge sind nämlich wie gewohnt kitschig und aufgesetzt, aber teilweise sogar witzig! Ich konnte es selbst kaum glauben, dennoch hat mich "Sonic Frontiers" mit seinen atemberaubend billigen Dialogen öfter zum Schmunzeln gebracht. Spätestens aber beim ersten Bosskampf, der gleichzeitig stellvertretend für das ganze Spiel steht, hatte mich dieses Stück Software in seinen Bann gezogen.

Der erste Bosskampf fordert den Spieler nämlich nicht. Vielmehr ist er überwältigend leicht. Er gibt sich auch keine große Mühe, auf Hochglanz poliert zu sein. Vielmehr bedient er sich komplett überladener Action und Klischees. Er nimmt sich in keiner Weise ernst. Vielmehr referenziert er das "Sonic"-Franchise selbst sowie andere ikonische popkulturelle Charaktere. Das ist genauso billig, wie es klingt; aber es ist halt leider auch verdammt cool, und dafür liebe ich dieses Spiel.

Sonic's the Name, Speed's his Game!

Ist "Sonic Frontiers" also die Rettung für den schnellsten Igel der Welt? Um ehrlich zu sein, bin ich zu oft von ihm enttäuscht worden, um solch eine Voraussage leichtfertig treffen zu wollen. Sonic Team hat immerhin oft genug bewiesen, dass sie nach einem Schritt vorwärts unmittelbar fünfzehn Schritte rückwärtsgehen können. Trotzdem bin ich zum ersten Mal nach sehr langer Zeit wieder optimistisch. Grundsätzlich wird hier nämlich ein Paket abgeliefert, auf dem sich aufbauen lässt. Ein möglicher Nachfolger muss noch an vielen Schrauben drehen, damit sich nicht nur jahrelang enttäuschte hungrige Fans auf Abenteuer der Sega-Ikone freuen. Ich hoffe inständig, dass dieses Spiel nicht das Ende, sondern den Anfang einer Reise darstellt, an deren Ende ein Videospiel steht, das möglicherweise sogar wieder Topwertungen kassieren kann. (Maximilian Leschanz, 18.11.2022)