Die Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh geht in den Endspurt. Am Wochenende müssen die Verhandlerinnen und Verhandler einen Schlussstrich ziehen unter den Gipfel, bei dem sie jährlich um Lösungen ringen, um die Erderhitzung aufzuhalten. Es ist das 27. Mal, dass sie für die COP – das Akronym steht für Conference of Parties – der UN-Klimarahmenkonvention zusammenkommen.

Noch ist allerdings keine Einigung zu Kernthemen in Sicht. Allen voran sorgt der Streit um die Entschädigung für Klimaschäden für Frust: Kommt der eigene Fonds? Die Staaten der G77 bestehen darauf, die EU hält nichts von ihrem Vorschlag. Und auch in der Diskussion darüber, ob der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen in die Abschlusserklärung kommen soll, klaffen die Positionen der Staaten noch weit auseinander. Für die EU ist der Ausstieg das klare Ziel, die Afrikanische Union hingegen reagiert ablehnend.

Was in den offiziellen Verhandlungen vor sich geht, ist nicht einfach zu überblicken: Sie finden in verschiedenen Gremien oftmals hinter verschlossenen Türen statt. Je heikler und detaillierter die Materie, desto kleiner und abgeschotteter der Rahmen, in dem die Staaten zusammenkommen.

Neben den offiziellen Verhandlungen finden zu jedem Zeitpunkt auch dutzende Side-Events, etwa Podiumsdiskussionen, statt.
Foto: Reuters/Ahmed Famy

Kriegsgeschüttelte Eiche und Erdbeersmoothies

Sehr viel präsenter sind auf dem Konferenzgelände die unzähligen Events, die die Staaten oder Organisationen in den insgesamt knapp hundert Pavillons organisieren. Jener der EU wird von einer Wand aus Europaletten umrundet, "Act Now" steht da in großen gelben Buchstaben. Die Ukraine hat für ihren Stand ein Stück einer von Kugeln getroffenen Eiche mitgebracht. Vor dem Pavillon des Amazonas treffen sich Indigene mit Federschmuck auf dem Kopf. Ein paar Meter weiter stellt Israel Tech-Lösungen für die Klimakrise vor. Und beim japanischen Pavillon drängen sich Teilnehmende um Tabletts mit kleinen Brötchen und schenken sich Erdbeersmoothie oder Kaffee ein.

Guter Orientierungssinn wird hier belohnt: Anders als auf früheren Klimakonferenzen gibt es kaum Karten, die das ganze Messegelände übersichtlich machen, es sind bloß Pläne von Teilabschnitten an den Eingängen der Messezelte aufgehängt. Die Suche nach Treffpunkten, Empfängen, Toiletten, dem Ausgang wird schnell zum Irrweg.

Redakteurin Alicia Prager im Zoom-Interview.
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Mehr als komplizierte Texte

Was bei den eigentlichen Verhandlungen passiert, ist aus dem Wirrwarr nicht einfach herauszufiltern. "Wow, wie sehr ich es hasse, dass die Dinge sich hier in eine Welt-Klima-Messe verwandelt haben mit einigen Verhandlungen auf der Seite", twittert dazu Brandon Wu von der NGO Action Aid. Das biete zu viel Platz für "Bullshit", während die eigentlich wichtigen Konferenzräume oder Arbeitsplätze unmöglich zu finden seien.

Andere sehen genau in dieser Masse an Veranstaltungen einen Hauptzweck der Klimakonferenz. "Es entsteht bei einer COP sehr viel mehr als Papiere mit komplizierten Texten", sagt Jasmin Duregger von Greenpeace. Auf ihrem Handy ploppen im Sekundenrhythmus neue Nachrichten auf. "Ich bin in vier Signal-Gruppen mit meinen Teams, und die feuern ohne Ende", sagt sie.

Dichtes Programm

Jeden Tag um halb acht in der Früh trifft sich Greenpeace für das erste interne Briefing, danach geht es in Plenarsitzungen, zu denen viele Organisationen als Beobachter Zutritt haben, und in bilaterale Treffen mit Regierungen und anderen NGOs. Kaum wo gebe es so viele Möglichkeiten für den direkten Kontakt mit Entscheidungstragenden im Klimabereich wie auf der Klimakonferenz, erklärt Duregger.

Ähnliches twittert auch die US-amerikanische Aktivistin Alexandria Villaseñor: "Wir haben für keine Schlagzeilen gesorgt, wir sind nicht viral gegangen, aber es ist der fünfte Tag – und wow, wir sind fertig." Ein Schlüsselteil der Arbeit ihrer Organisation Earth Uprising auf der COP geschehe bilateral und "off the record", also vertraulich. "Aber nur weil unsere Arbeit damit nicht öffentlich sichtbar ist, heißt das nicht, dass sie nicht wirkt. Wir erzielen große Fortschritte mit Politikern und Unternehmen."

Umweltorganisationen, Aktivisten, aber auch die fossile Lobby nutzen die Aufmerksamkeit, die jedes Jahr auf die Klimakonferenz gerichtet ist.
Foto: IMAGO/Xinhua/Sui Xiankai

Gleichzeitig biete das Format aber auch mehr Raum für Lobbyisten. Die Uno hat 636 Vertreterinnen und Vertreter von Öl-, Gas- und Kohlekonzernen registriert, um ein Viertel mehr als bei der Konferenz in Glasgow im vergangenen Jahr.

Neue Erdgasdeals auf der Klimakonferenz

Wie erfolgreich sie sind, zeigt die Zahl der neuen Erdgasprojekte, die allein auf der Klimakonferenz angekündigt wurden: Unternehmen und Regierungen haben seit dem Start der COP acht neue Deals für die neue Förderung bekanntgegeben – unter anderem in Tansania, in Mauretanien, im Libanon und in Ägypten.

Trotz solcher Negativschlagzeilen sei es wichtig, dass Klimakonferenzen stattfinden, sagt der Wissenschafter Nelson Grima vom Internationalen Verband Forstlicher Forschungsanstalten (IUFRO), einem Netzwerk mit Sitz in Wien. So lag die Prognose zur Erderhitzung vor Abschluss des Pariser Klimaabkommens bei 3,6 Grad. Heute sagt die Uno voraus, dass sich das Klima um 2,5 Grad erhitzen wird, wenn alle Staaten ihre Ankündigungen einhalten. Das ist ein Fortschritt – wenn er auch noch zu langsam ist, um die Welt unter dem 1,5-Grad-Limit zu halten, das als noch halbwegs sichere Schwelle gilt.

Die Rolle des Essens

Damit die Lösungen, die auf der COP verhandelt werden, wissenschaftlich fundiert sind, sind Forschende aus aller Welt angereist. Sie sprechen einerseits auf den Podien, die abseits der Verhandlungen organisiert werden, und haben andererseits ein Auge auf die Argumente, die die Staaten in den Sitzungen verwenden. Als Beobachter dürfen viele von ihnen in den Plenarsitzungen zuhören und intervenieren, wenn in den Diskussionen Behauptungen aufgestellt werden, die wissenschaftlich falsch sind.

"Meine Rede halte ich dann am Ende der Plenarsitzung", erklärt Grima. Er nehme an der Konferenz teil, damit der Schutz der Wälder in den Verhandlungen ernst genommen wird, sagt er.

Hinter ihm, in einem der Innenhöfe zwischen den Konferenzzelten, hat sich vor einem Essensstand eine Schlange gebildet. Während in der ersten Woche der Verhandlungen immer wieder das Wasser ausging und die Preise für Sandwiches bei rund 15 Euro lagen, hat sich das Angebot in der zweiten Woche verbessert: Die Vorräte wurden aufgestockt und die Sandwichpreise fast halbiert.

"Habt ein Herz und tut etwas", fordert die 10-jährige ghanaische Klimaaktivistin Nakeeyat Dramani auf der COP27 bei einer Rede vor Delegierten und dem COP-Vorsitz im ägyptischen Sharm el Sheikh
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Es wird wohl länger dauern

Das Essensangebot ist auch für einen guten Ausgang der Verhandlungen wichtig, um die Delegierten bei Laune zu halten, sagen Teilnehmende der Konferenz – nur halb im Scherz. Die Energie werden sie brauchen: Die Abschlusserklärung soll bis Freitag unter Dach und Fach sein.

Ein pünktliches Ende ist allerdings unwahrscheinlich. Von den bisherigen 26 Klimakonferenzen endeten nur acht pünktlich. Die meisten dauerten bis Samstag, jene in Madrid 2019 sogar bis in den Sonntag hinein. Und so bereiten sich die Verhandlerinnen und Verhandler auf einen wohl noch längeren Sprint vor, bevor sie das Abschlussdokument nach Hause tragen. (Alicia Prager, Philip Pramer aus Sharm el-Sheikh, 17.11.2022)